Archiv 2015
WIEN - AUSSTELLUNG MAL ANDERS
Flirten mit Kunst
Wie wäre es einmal mit einer Schau, nur so zum Spaß? Unkompliziert und unkonventionell? Ohne klassische kunsthistorische Einordnung, ohne Stilgeschichte, wirkmächtige Deutungen oder wissenschaftliche Kategorien? Dafür flott angehäuft, spielerisch arrangiert und luftig positioniert? Die Herbstausstellung im Wiener 21er Haus hat den Schritt gewagt.
Bruno Gironcoli Ohne Titel (gelbe Madonna), 1975–1976, Aluminiumguss mit Lackfassung, Rosshaar, 273 × 413 × 175 cm, Dauerleihgabe Galerie Elisabeth & Klaus Thoman und Christine Gironcoli Foto © Belvedere Wien 2015. Mit spezifischem Formenvokabular werden Dinge in Beziehung gesetzt: Marienfigur auf altarartigem Aufbau mit Weizenähren und Toilettenschüsseln, Sinnbild für Fruchtbarkeit und Gebären, Mutter und Kind, Mann und Frau. |
Was dem Besucher geboten wird ist - wenn er sich darauf einlässt - ein Flirt. Ein Flirt mit zeitgenössischer Kunst, zusammengestellt aus allem, was das 21er Haus in seinen Beständen hat. Und das ist eine ganze Menge.
Spiel statt Ordnung Flirting with Strangers – Begegnungen mit Werken aus der Sammlung titelt die irgendwie spaßige, aber doch sehr ungewöhnliche Ausstellung. Luisa Ziaja und Severin Dünser, die Kuratoren, haben das Format der Sammlungspräsentation einmal völlig anders gedacht.
Sie gehen, wie die beiden Kuratoren betonen, bewusst ahistorisch und unabhängig von Stilgeschichten vor, heben manches Mal scheinbare Nebensächlichkeiten, möglicherweise auch weit hergeholte Ähnlichkeiten heraus mit der Absicht, das Detail des Einzelnen im Blick des Zuschauers zu fokussieren und unvermutete Beziehungen zwischen den Dingen zumindest in den Raum zu stellen. Weg mit allem Ballast! Spiel statt strenge Ordnung, Kunst quer durch alle Stile, Strömungen und Techniken – gewöhnungsbedürftig, aber warum nicht.
Erwin Wurm Frau mit Orangen, 2000
Gelatin Mona Lisa, 2007 Plastilin auf Holz, 77 x 51,5 x 8 cm, © Artothek des Bundes
Damien Hirst Love, Love, Love, 1994-1995, Glanzlack und Schmetterlinge auf Leinwand in Originalrahmen, Dauerleihgabe Heidi Horton © Bildrecht, Wien 2015/16
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130 Kunstwerke von rund 100 Künstlern treffen mehr oder weniger verständlich und verschachtelt gruppiert, aber immerhin ästhetisch komponiert, aufeinander. Das älteste Exponat stammt aus dem 14. Jahrhundert, das jüngste ist von 2015. Was miteinander im Dialog steht oder stehen soll, erschließt sich längst nicht sofort. Und was der Besucher mag, was seine Sympathie weckt, soll sein Auge entscheiden.
"Die Ausstellung ist dann gelungen, wenn die Dinge für sich selbst stehen und sich gleichzeitig gegenseitig verstärken“, so Kuratorin Ziaja. Da trifft die gelbe Madonna von Bruno Gironcoli mit einer von Erwin Wurms (mehr) skurrilen Schöpfungen, hier eine junge Frau mit Orangen im Dekolleté, zusammen und eine eigenwillige verformte Mona Lisa aus Plastelin des Künstlerkollektivs Gelatin aus Wien schaut unklar in die Welt und begegnet dabei Lovis Corinth. Ob da immer der Funken überspringt und ein veritabler Flirt entsteht?
In dem mit Stellwänden geteilten Räumen hängt dann auch Damien Hirsts Love, Love, Love (mehr) mit seinen bunten Schmetterlingen aus den 90er-Jahren. An anderer Stelle laden Edvard Munchs (mehr) Männer am Meer, eine Aktbild von 1908, und Kiki Kogelniks schöne Frauenbilder (Triangel, 1975) zu lustvollen Assoziierungen ein, und für Freunde der Tierwelt gibt es eine spezielle Abteilung, etwa mit Hund. Oskar Kokoschkas Zwitterwesen Tigerlöwe von 1926 passt dann wieder gut zum Verformer Erwin Wurm, da treffen sich zwei mit sehr speziellem Humor.
Perspektivwechsel Dass im Wiener Belvedere-Ableger 21er Haus, ein Museum, das der zeitgenössischen Kunst verpflichtet ist, derzeit alles so ist wie es ist, geht auf eine einfache Frage zurück. Wie kann man aus über 7.000 Werken der Gegenwartskunst, die das 21er Haus bislang angesammelt hat, eine lebendige, spannende Schau entwickeln?
Ausstellungsansicht Foto © Belvedere Wien 2015. Mitte: Franz Barwig d.Ä. Sitzender Bär (1912-1913). Die schwarze Granitskulptur ist eine Auseinandersetzung des Künstlers mit ägyptischen und assyrischen Monumentalplastiken. Dahinter: Alois Mosbacher, Géricault, 2012. Ein Hund, Alter Ego des Künstlers, versetzt in das Geschehen berühmter Gemälde. Ein Werk aus der Serie Beam me up, Scotty! Rechts vorn: Gelatin Doppeltes Unglück 2004. Das humorvolle Objekt thematisiert Pechsträhnen wie etwa Vogelkot von oben. |
Triumphale Unterhaltung Man solle, so die Kuratoren, eine Sammlung doch einmal als ein Beziehungsgefüge zwischen den Dingen, die einander begegnen, verstehen. „Und als eine Gelegenheit, die eine ´tägliche Prosa der Gegenstände, […] eine unbewusste und triumphale Unterhaltung´ etabliere“, wie es der französische Philosoph und Kulturkritiker Jean Baudrillard einst formulierte. Und der hatte bekanntlich so manches vorausgedacht, unkonventionell, wild und neu – vor allem wenn es um Perspektiven ging.
Ausstellungsblick Foto © Belvedere Wien 2015. Vorne: Wally Salner Heavy Metal Ironboard, 2014. Kunst zwischen Mode, Design und Popkultur. Links: John Chamberlain Silverheels, 1963. Metallskulptur aus Autoteilen. |
Flirting with Strangers hat diese Gedanken aufgenommen und inszeniert eine bunte, mutige Bildersammlung, ein wahres Kaleidoskop, das ein spannungsvolles, spielerisches und manchmal auch unerwartetes Aufeinandertreffen von und mit zum Teil „fremden“ Werken aus der gewaltigen Kollektion verfolgt.
Bedarf es vieler Gemeinsamkeiten, um „ins Gespräch zu kommen“ oder den Flirt anzukurbeln oder sind es eher die individuellen Eigenheiten, die den Funken überspringen lassen? Das kann nur jeder Besucher selbst entscheiden. Da thematische Beschriftungen fehlen, ist der 150-Seiten-Katalog als Interpretationshilfe empfehlenswert.
Zum Konzept Kunstwerke sind Dinge, denen ein hoher Grad an Individualität zugeschrieben wird, keines gleicht dem anderen. Mit musealen Sammlungen verbindet man ein Systematisieren der Dinge entlang wissenschaftlicher Kategorien, die Zusammenhänge herstellen, Sinn stiften und als wirkmächtige Deutungsinstanzen verbindliches Wissen produzieren. „Und Ausstellungen sind letztlich (An-)Ordnungen dieses Wissens, die aber zugleich das Potenzial haben, alternative Deutungen zu entwerfen und Aktualisierungen zu ermöglichen“, so Kuratorin Luisa Ziaja.
Eben hier setze die Ausstellung an: Flirting with Strangers versucht, die Argumente und Ordnungsmodi der klassischen Kunstgeschichte bewusst hinter sich zu lassen und die Aufmerksamkeit stattdessen zurück auf die Dinge zu lenken. Entscheidend sei, so verrät der Katalog, dass die zeitgenössische Sammlung des Belvedere – und dies sei auch die subjektive Motivation hinter dieser Ausstellung – als etwa Lebendiges erscheine, „als etwas, das sich stetig entwickelt und wächst…“
K2M
Die Ausstellung „Flirting with Strangers – Begegnungen mit Werken aus der Sammlung“ kann bis zum 31. Januar 2016 besucht werden.
21er Haus
Schweizergarten
Arsenalstraße 1
1030 Wien
Öffnungszeiten
MI, DO 11-21 Uhr
FR-SO 11-18 Uhr