Archiv 2015
VOR ÜBER 100 JAHREN
Schöner Wohnen
mit Andachtsbildern
Eineinhalb Jahre lang war das Feld-Haus, die Dependance des Neusser Clemens Sels-Museums auf dem Kirkeby-Feld des Kulturraums Hombroich, geschlossen. Es hatte seinem Mutterhaus während dessen Sanierung zeitweilig als Depot gedient. Jetzt ist das Clemens Sels-Museum wieder geöffnet – und das Feld-Haus meldet sich mit einer besonderen Ausstellung zurück, die da titelt „Ein Bild ist nicht genug“.
Druck u. Verlag von A. Felgner, Berlin Jungfrau Maria, kolorierte und geschmückte Lithografie (Detail), Foto © Clemens Sels-Museum |
Es geht um populäre Druckgrafik und um den unterschiedlichen Geschmack der gutbürgerlichen, gebildeten Klientel und des Kleinbürgertums der vergangenen Jahrhunderte.
Dass die Geschmäcker verschieden waren, stellt der Kurator Ulf Sölter anhand von Lithografien aus der Berliner „Kunstverlagshandlung und Lithographischen Anstalt A. Felgner“ heraus. Mehr als 100 Blätter dieser verlegerischen Aktivität befinden sich in der Sammlung des Feld-Hauses (mehr). Die schillerndsten und auffälligsten wurden für die Ausstellung ausgewählt.
Druck u. Verlag von A. Felgner, Berlin Jungfrau Maria, kolorierte Lithografie, schwarz gestrichener Rand, Tinsel-Dekoration, 47,4 x 36 cm, Foto © Clemens Sels-Museum
St. Andreas (ohne erkennbare Verlagsangabe), kolorierte Lithografie, 46 x 35 cm, Foto ©Clemens Sels-Museum
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Wir schreiben das Jahr 1844 In Berlin wird die Kunstverlagshandlung und Lithographische Anstalt A. Felgner gegründet. Schnell entwickelt sie sich zu einem bedeutenden Produzenten populärer Druckgrafik und verlegt Ölfarbendrucke und Reliefs. Im Verlagsprogramm finden sich auch Lithografien mit den Portraits von Adelsfamilien und Herrschern sowie Andachtsbilder.
Neue Drucktechniken und nicht zuletzt die Lithografie erlaubten es, populäre Druckgrafiken in hoher Auflage zu produzieren. Dabei erfreuten sich die Andachtsbilder mit Szenen aus dem Leben Jesu Christi, Mariens und der Heiligen besonderer Beliebtheit. Seit Jahrhunderten vermittelten ihre Abbilder den Menschen die Grundlagen des Glaubens und regten auch dann noch zum Gebet an, als sie schon zur Massenware geworden waren.
Schlicht Eher schlicht gehalten waren die frühen Andachtsbilder, die Felgner bis Mitte der 1850 Jahre verlegte. Sie waren papiersichtig und wurden nach sorgfältig gezeichneten Blättern produziert. Exemplarisch für diese Zeitspanne steht in der Schau die Lithografie einer Christusfigur (circa 50 x 37 cm). Sie ist auf hellem Papier gegeben, während eine Bildunterschrift alle notwendigen Informationen zu Urheber und Bildthema liefert. Mit diesen einfachen, schwarz-weißen Blättern richtete sich die Kunstverlagshandlung in erster Linie an eine gebildete, gutbürgerliche Klientel.
Druck u. Verlag von A. Felgner/BerlinSr. Königl. Hoheit Friedrich Wilhelm Kronprinz v. Preußen nebst Gemahlin Victoria geb. Prinzess Royal v. England u. Familie, kolorierte Lithografie, schwarz gestrichener Rand, Tinsel Dekoration, 46,5 x 34 cm, Foto ©Cemens Sels-Museum
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Dekoriert Gleich daneben hängt eine zweite Version des Motivs. Jedoch ist diese unbeschriftete Lithografie (47 x 36 cm) von einem kennzeichnenden breiten schwarzen Rand eingefasst, handkoloriert und mit kleinteiligen aufgeklebten Sternen aus Gold- und Silberfolien geschmückt. Reliefartige Applikationen aus goldfarbigem Material, die sogenannten ‚Tinsel', verzieren die Ecken des schwarzen Rands. Geradezu pathetisch mutet die Lithografie an, oder - wie Sölter es formuliert -, aus heutiger Sicht „kitschig und überladen“. Trotzdem: Entziehen vermag man sich der anrührenden Bildwirkung kaum. Dass ein und dasselbe Motiv so verschieden ausgearbeitet wurde, führt das Haus auf den ungleichen Geschmack des gehobenen Bürgertums und des Kleinbürgertums zurück. Denn mit diesen auffälligen, bunten Blättern erschloss sich der Verlag eine ganz bestimmte Käuferschicht, heute würde man sagen „Zielgruppe“: Das Kleinbürgertum.
Druck und Verlag von A. Felgner/Berlin Das heilige Grab Jesu, kolorierte und geschmückte Lithografie (Detail), Foto ©Clemens Sels-Museum |
Durch Handarbeit zum Unikat Von Hand wurden nicht nur die Drucke koloriert, sondern auch die Applikationen aufgetragen, und das vermutlich in Heimarbeit. Die Tinsel wurden zuvor in Spezialfabriken gefertigt. Durch die Handarbeit wird jede Lithografie zu einem Unikat. So ist das Motiv Das heilige Grab Jesu-Christi gleich mehrfach in der Ausstellung vertreten, aber jedes Blatt ist individuell mit Kruzifixen, Sternen, Kandelabern, Leuchtern oder Tinseln dekoriert und koloriert. Das gilt auch für die Herrscherporträts von Friedrich III. und seiner Familie, die im Bildaufbau an barocke Vorlagen erinnern, und die ebenfalls mit einer überbordenden Fülle von feinen metallischen Applikationen wie Bordüren, Knöpfen, Ketten und Tinseln geschmückt sind. Auch eine Lithografie nach Leonardo da Vincis Mailänder Abendmahl zeigt bunte Physiognomien und ist mit aufgeklebten Bordüren, Tinseln und Sternen aus Gold besetzt.
Druck und Verlag von A. Felgner/Berlin Das heilige Grab Jesu, kolorierte Lithografie, schwarz gestrichener Rand, Tinsel-Dekoration, 37 x 46,5 cm, Foto ©Clemens Sels-Museum |
Kunstvermittlung Ein Besuch im Feld-Haus ist immer auch ein wenig eine Zeitreise in unsere westliche gesellschaftliche und kulturelle Vergangenheit. Heutzutage dürfen die elektronischen Medien aber nicht fehlen und im Feld-Haus kommen sie auf besonders ansprechende und eingängige Weise zum Einsatz. Dem Ausstellungs-Konzept des Kulturraum Hombroich folgend ist der Verzicht auf jedwede Beschriftung der Bilder geschuldet. Keine Bildlegende gibt Aufschluß über Urheber, Alter oder Titel. In jenem Raum aber, in dem die 2010 verstorbene Stifterin Irmgard Feldhaus (mehr) mit der „Petersburger Hängung“ noch eine Dauerausstellung konzipierte, informieren Medienstationen über die Druckgrafiken. Mittels der elektronischen Tablets lassen sich Hintergrundinformationen abrufen, die vor 100 Jahren noch Allgemeingut waren. Es geht um Wandbildschmuck, die Petersburger Hängung, um evangelische und katholische Andachtsgrafik und christliche Symbole.
► Clemens Sels-Museum Das sanierte Neusser Haupthaus wurde mit gleich zwei Ausstellungen im Mai wieder eröffnet. Die Ausstellung „re:set“ umfasst zwölf Positionen ungegenständlicher Malerei aus Deutschland, Belgien, Dänemark und den Niederlanden und zeigt, wie vielfältig die aktuellen Künstler auf die Herausforderungen von Digitalisierung und Virtualisierung reagieren. Die zweite Schau von Barbara Breitenfellner findet im Rahmen der dezentralen Ausstellungsinitiative „25/25/25“ der Kunststiftung NRW statt und setzt sich aus einer raumgreifenden Installation und sensiblen Collagen zusammen, die eigens für das Clemens Sels Museum geschaffen wurden.
Marion Lisken-Pruss
Die Ausstellung „Ein Bild ist nicht genug – Der Kunstverlag A. Felgner“ ist bis um 6. September 2015 zu sehen.
Feld-Haus, Museum für Populäre Druckgrafik
Berger Weg 5
(auf dem Kirkeby-Feld zwischen Museum Insel Hombroich
und Raketenstation Hombroich)
41472 Neuss
Öffnungszeiten
Sa + So 11 – 17 Uhr
Clemens Sels-Museum
Am Obertor
41460 Neuss
Tel. 02131 / 904141
Öffnungszeiten
DI – SA 11 – 17 Uhr
SO + Feiertags 11 – 18 Uhr