Archiv 2021
KRITZELEIEN
Disegni Fellini
Der große italienische Filmregisseur Federico Fellini war mit einer blühenden Fantasie gesegnet und auch ein begnadeter Zeichner. Letzteres ist allgemein nicht sehr bekannt.
Federico Fellini Die Marktfrauen auf Rädern, um 1972, Zeichnung zu Amarcord, Faserstift, 25 x 35 cm, Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Bildquelle Museum Folkwang 2021 |
Was er auf Papiere, Servietten, Dokumente und sonst wo mit Kugelschreiber, Buntstift, Filzer oder Fineliner festhielt, waren Studien für seine spektakulären Filmfiguren mit Namen wie Zampanò oder Paparazzo. Heute gängige Begriffe in der Alltagssprache.
Anonym Amarcord, 1973, Filmplakat, Offsetdruck 83,7 x 59,2 cm. In dem Film zeichnet Fellini ein Sittengemälde der italienischen Gesellschaft in den Dreißigerjahren. „A m´arcord“ bedeutet im Rimini-Dialekt „Ich erinnere mich“. Exponat in der Ausstellung. © Deutsches Plakatmuseum im Museum Folkwang Essen. Foto © rheinische ART 2021
Federico Fellini o.T. (Kopfstudie zu Tittas Vater Aurelio), 1972–1973, Zeichnung zu Amarcord, Filzstift und schwarzer Fineliner, 27 x 22 cm. Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Bildquelle Museum Folkwang 2021
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Federico Fellinis (1920–1993) Skizzen und Karikaturen erlauben einen faszinierenden Blick auf seine Arbeitsweise am Set und auf die mit Oscars gekrönten Kinohits. Er selbst nannte sie „Kritzeleien“ und sie waren ihm nicht sonderlich wichtig. Gesammelt wurde alles von seiner Entourage.
Man muss nicht in seine Geburtsstadt Rimini reisen, um in dem dort im August 2021 eröffneten Fellini-Museum derartige zeichnerische Notizen zu sehen und ihre Ausprägung in den Filmen zu bewundern.
Das Folkwang Museum in Essen würdigt nun mit einer umfangreichen Ausstellung diese Facette von Fellinis Schaffen. Titel: „Von der Zeichnung zum Film“. Die Schau ist reich bestückt mit über 200 zeichnerischen Exponaten, dazu Filmausschnitte, Filmplakate aus der eigenen Folkwang´schen Plakat-Kollektion sowie 190 Fotografien. Zu zwölf seiner 21 gedrehten Filme werden „Disegni“ präsentiert.
Warum er die Gestalten seiner Filme zunächst male, wurde er oft gefragt. „Weil ich graphische Notizen von ihren Gesichtern mache, von den Nasen, den Bärten, den Krawatten, den Handtaschen…“ Dies sei, so Fellini 1983 in einem Interview, seine Art, sich an den Film, den er gerade mache „heranzupirschen, dahinterzukommen, was es mit ihm auf sich hat, und ihm verstohlen ins Gesicht zu blicken.“
Das Zeichnen war sein wichtigstes Werkzeug, um markante alte und junge, skurrile, eigenwillige männliche und weibliche Charaktere als Filmfiguren zu entwerfen, sie auszuformen, Kostüme, Dekors und andere Requisiten zu skizzieren oder Schauplätze optisch zu umreißen.
Pierluigi Praturlon Armando Brancia und Federico Fellini am Set von Amarcord, 1972–1973, Silbergelatineabzug, 18 x 24 cm, Sammlung Jakob und Philipp Keel © Reporters Associati & Archive, Rom Bildquelle Museum Folkwang 2021 |
Es war ein Talent, das sich bereits als Kind zeigte. Denn der kleine Federico lebte in seiner Heimatstadt Rimini in Traumwelten, war von Rummelplätzen, Zirkussen, Kinos, Clowns, Zauberern, Hexen und Magiern fasziniert.
Die Kinder-Kritzeleien gingen über in Karikaturen, die er als 17-Jähriger während des faschistischen Mussolini-Regimes fertigte und – zwischenzeitlich nach Rom übergesiedelt – 1938 in Zeitungen und Satire-Magazinen veröffentlichen konnte.
Ab 1944, der Italo-Faschismus war passé und alliierte Soldaten nahmen Rom ein, eröffnete der Autodidakt Fellini mit Freunden den „Funny Face Shop“. Ein Laden in Roms Via Nazionale für „Profiles, Portraits, Caricatures“, in dem sich Soldaten aus den USA und Kanada in lustiger Weise zeichnen lassen konnten.
Anonym La Strada, 1954, Filmplakat. In den Hauptrollen Fellinis Ehefrau Giulietta Masina als naiver Clown Gelsomina und Anthony Quinn als Schausteller Zampanò. Für La Strada wurde Fellini 1957 ein Oscar in der Kategorie ´Bester fremdprachiger Film` verliehen. Bildquelle France musique 2021
Federico Fellini Anita als Priester verkleidet, 1959, Zeichnung zu La Dolce Vita, Tusche und Faserstift, 29,7 x 21 cm, Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Bildquelle Museum Folkwang 2021
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Ein Jahr später hatte er den italienischen Film, den Neorealismus (mehr) und die Filmstadt Cinecittà für sich entdeckt. Er wurde Co-Autor für Drehbücher, so unter Roberto Rossellini für den Schwarz-Weiß-Endkriegsfilm „Rom, offene Stadt“ (Roma, città aperta) und arbeitete als Regisseur.
1954 ist das Jahr seines internationalen Durchbruchs: Sein neorealistischer Film „Das Lied der Straße“ (La Strada) kommt in die Kinos. Das Melodrama mit Gattin Giulietta Masina als naive Gelsomina und Anthony Quinn als Zampanò wird drei Jahre später mit einem Oscar ausgezeichnet. Es folgen drei weitere Oscar-Prämierungen.
Als regelrechter Kassenschlager entwickelte sich 1960 der Film „Das süße Leben“ (La Dolce Vita) mit Anita Ekberg und Marcello Mastroianni. Er zeigte die dekadente Seite des Wirtschaftswunders in den italienischen Nachkriegsjahren und war in dem katholischen Land ein Skandal.
Darin inszenierte Fellini die blonde Hauptdarstellerin Ekberg in seinen Zeichnungen dämonisch und mit monströsem Busen im Priestertalar. So sollte es bleiben! Denn der Starregisseur hatte ohne Zweifel eine Obsession für gewaltige, oft nackte Damen, füllig, übergroß mit ausladenden Hintern, auf denen sich der Maestro selbst und klein hockend ironisch portraitierte.
Gleichwohl zeichnete ihn auch der Blick für zeitgenössische Strömungen aus, konkret zum Beispiel für Vorläufer von Pop, Punk und Wave. Denn in La Dolce Vita räumte er der damaligen Visionärin, Sängerin, Schauspielerin und Komponistin Nico, mit bürgerlich-rheinischem Namen Christa Päffgen (1938–1988 mehr) aus Köln, einen Auftritt ein: Sie spielte sich einfach selbst. Fellini produzierte danach weitere Aufreger wie 8 1/2 (1962), Amarcord (1973) oder Stadt der Frauen (1980).
Federico Fellini Ohne Titel, um 1980, Zeichnung zu Stadt der Frauen
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Nicht alles, so erfährt man in dieser an „Aha-Effekten“ reichen Schau, war fürs Kino bestimmt, wie Museumsdirektor Peter Gorschlüter erklärte.
Federico Fellini pflegte jahrzehntelang am Morgen seine nächtlichen Träume zu dokumentieren. Daraus wurde ein Traumtagebuch mit fantasievollen, abstrusen, clownesken Bildern. Heute gilt es als „kostbares Kaleidoskop nicht nur seiner Seele, Leiden und Gelüste, auch seiner gesellschaftlichen Kreise“ wie es einmal hieß. Zum Nachlesen und Sehen in einem jüngst erschienenen seitenmächtigen „Buch der Träume“.
Das Schöne an der Folkwang-Ausstellung: Man muss kein Film-Enthusiast sein, keinen der Filme kennen, um zu verstehen, worum es bei diesen ästhetischen Papierarbeiten geht. Kurator Tobias Burg stellt diversen Filmtrailern und -ausschnitten die jeweilige Handlung bündig auf Texttafeln zur Seite. Drehbuchauszüge und Szenenfotos unter den Zeichnungen ermöglichen den Vergleich mit den Filmbildern. Die Ausstellung ist, wie es Museumschef Gorschlüter treffend formuliert, eine „Art Schule des Sehens“. Der Besucher kann sich in der Tat in einzelne Szenen sehr vertiefen und viel Zeit damit verbringen. In Summe: Wunderbar!
cpw
► Die Zeichnungen und Fotografien stammen aus der Sammlung Jakob und Philipp Keel (Zürich) und umfassen fast den gesamten Zeitraum der Filmproduktion Fellinis, vom Beginn der 1950er Jahre bis in die frühen 1980er Jahres.
► Filmtrailer zu La Dolce Vita hier
Die Ausstellung Federico Fellini Von der Zeichnung zum Film wird bis zum 20. Februar 2022 gezeigt.
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel 0201 8845 160
Öffnungszeiten
DI, MI, SA, SO 10 - 18 Uhr
DO, FR 10 - 20 Uhr