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rheinische ART 02/2013

 

ARCHIV 2013

Der Expressionist Otto Mueller im LehmbruckMuseum

 

Fast ein Romantiker

 

Otto Mueller, "Akt vor blauem Grund" (1924/25), 68,5 x 51,5 cm, Aquarell und Farbkreiden auf Papier, Sammlung Karsch/Nierendorf, Foto: © Sammlung Karsch/Nierendorf
 

Vom ungestümen Temperament und der ungezügelten Farblust seiner Gefährten in der legendären Künstlervereinigung „Die Brücke“ hatte er rein gar nichts. Zurückhaltend, nachdenklich, verträumt, fast ein Romantiker, so wird er von Zeitgenossen charakterisiert. Und dennoch zählt Otto Mueller zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Expressionismus. Im Duisburger LehmbruckMuseum ist eine seiner raren Ausstellungen zu sehen. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Frauenbild des Künstlers und seinem Zentralmotiv: Die Frau in der Natur.

 

DER IM schlesischen Liebau geborene Otto Mueller (1874-1930) trat erst 1910 im Alter von 36 Jahren der Künstlergemeinschaft "Die Brücke" bei. Ihr Mitglied blieb er bis zur Auflösung der Gruppe drei Jahre später.

 

Untalentiert

 

Der Mittdreißiger hatte bis dato eine Lithografenlehre in Görlitz und ein Kunststudium an der Kunstakademie in Dresden absolviert. Mit dem Schriftsteller und Dramatiker Gerhart Hauptmann, seinem Adoptiv-Onkel, war er durch die Schweiz und Italien gereist. Ein Kunststudium in München quittierte er schon nach einem Jahr 1899, versehen mit der Zertifizierung „untalentiert“, ausgesprochen vom seinerzeitigen Münchener Malerfürsten Franz von Stuck. Es folgten zurückgezogene Jahre im heimischen Riesengebirge, autodidaktische Weiterbildungen und das Malen unter Einfluss von Impressionismus, Jugendstil und Symbolismus. 1908 zog Otto Mueller schließlich nach Berlin und kommt dort in Kontakt mit dem Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, dem Lyriker Rainer Maria Rilke und dem Expressionisten und Brücke-Mitbegründer Erich Heckel.

 

Eigenwillig

 

Otto Mueller: "Stehender Akt mit Dolch (Lukretia)" (um 1903), 175 x 90,5 cm, Öl auf Leinwand, LehmbruckMuseum, Foto: © LehmbruckMuseum / Jürgen Diemer

 

Auslöser für die Aufforderung seiner deutlich jüngeren Kollegen, sich der Dresdner Künstlervereinigung "Brücke" anzuschließen, war die 1903 von Mueller gemalte, lebensgroße Darstellung der mordenden "Maschka als Lucretia", für die seine Frau Maschka Modell stand. Brücke-Mitglied Ernst-Ludwig Kirchner bezeichnete das Werk als "Cranachsche Venus", die - mit Max Pechsteins Amazone, dem Signet der "Neuen Sezession" in Berlin - Ausdruck und "Kampfbild" einer offensiven und gegen den Konservativismus und das Establishment gerichteten Kunst sei. Diese Lucretia ist nicht nur Muellers Eintrittskarte zur „Brücke“, sie ist auch die Initialzündung für Kirchners Beschäftigung mit Cranach und dem Venus-Motiv.

   Trotz des fulminanten Einstiegs in den Kreis der Expressionisten blieb Otto Mueller in diesem Zirkel ein Außenseiter. Für den Kunstbuchautor, Schriftsteller und Museumsgründer Lothar-Günther Buchheim, der 1963 die erste ausführliche Monografie über Otto Mueller verfasste, war er „…ein seltsamer, von Geheimnis umwobener, dem Magischen zugeneigter Mensch“ (Buchheim 1956). Zwar malte er mit Kirchner, Heckel, Pechstein und Nolde zeitweise gemeinsam, hatte jedoch sehr eigene Vorstellungen, die er virtuos mit der schwierigen, gedämpften und freskenhaften Leimfarbentechnik umsetzte. „In dieser Technik fand er das geeignete Medium zum Ausdruck seiner Bildvorstellungen, in denen sich Anmut, Sinnlichkeit und stilisierte Formung verbinden“, so sein Biograf Buchheim.

   Dabei war Mueller keineswegs - entgegen langer Einschätzung - der erfolgs- und folgenloseste Künstler des 20. Jahrhunderts. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es prominente Käufer, die für Mueller-Werke bis zu 500 Mark zahlten – ein durchaus nennenswerter Betrag. Und auch für zwei Portraitgemälde, geschaffen in einem Lazarett 1917 im Rheinland, schrieb er seiner Frau Maschka, gedenke er „…800 Mark dafür zu bekommen“.

 

Otto Mueller: "Am Ufer der Moritzburger Seen Sitzende und Kniende" (1912) 89,5 x 110 cm, Leimfarbe auf Rupfen, LehmbruckMuseum, Foto: © LehmbruckMuseum / Jürgen Diemer

 

Mädchen und Zigeuner

 

Otto Muellers Vorliebe galt stets dem Thema Mensch und Natur, das er vor allem in zahlreichen Aktbildern junger Mädchen und Frauen erfasste. Sie malte er in Nacktheit versunken, anmutig im Einklang mit einer lichten grünen Natur, an Seen, im Wald, auf Wiesen. Stets extrem schlank mit langen Extremitäten, den Plastiken seines Freundes und Vorbildes Wilhelm Lehmbruck angelehnt, aber dennoch immer eigenständig und unverkennbar.

 

Otto Mueller: "Zigeunerin mit Kind auf dem Arm (Ungarn)" (1925), 66,5 x 49,5 cm, Gouache und Tusche auf Papier, Privatsammlung, Foto: © Privatsammlung

 

   Muellers Farbpalette blieb mehr als übersichtlich: warm und gedämpft, erdig-braun und grün mit lyrisch-dekorativer Wirkung, gelegentlich blassblau, schwarze Haarschöpfe, aufgetragen mit Leimfarben auf grobem, leinwandbindigen Gewebe. Expressionistisch sind nachgezogene Konturen, flüchtige Silhouetten und eine flächige Darstellung; dagegen sind grelle Farben und formale Verzerrungen nicht sein Stil. Ab etwa 1920, Mueller ist mittlerweile Kunstprofessor in Breslau, sind es Zigeunerbilder, die ihn populär machten. Auf zahlreichen Balkan-Reisen sucht der Akademiker diese Bevölkerungsgruppe auf, lebt mit ihr, sieht sie als Gegenpol zum Bürgertum, schätzt ihre Lebensweise als Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen. 1927 entsteht die berühmte „Zigeunermappe“ mit neun farbigen Lithografien, die allgemein als Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens angesehen wird.

   Für den Künstler ist „Die Brücke“ allerdings nicht nur Glücksgriff und Beginn eines regen und wichtigen Austauschs, denn sie führte im Nachgang zu einer langdauernden eindimensionalen und inkorrekten Sicht auf den Maler und Lithografen. "Brücke-Maler" und "Zigeuner-Mueller" - mit diesen beiden Etiketten wurde Mueller über Jahrzehnte belegt und damit die Einzigartigkeit seines Œuvres verkannt. Nur drei Retrospektiven sind es, die seine Werke in den Fokus rückten: 1931 (Breslau, Berlin), 1957 (Hannover, Bremen, Hagen, Duisburg) sowie 2003 (München).

Rheinisches Intermezzo

 

Arbeiten von ihm wurden in der bahnbrechenden Kölner „Sonderbund-Ausstellung“ (mehr) bereits 1912 gezeigt. Bemerkenswert ist, dass sich im Gesamtwerk nur wenige Portraits finden. Vier davon entstanden in Neuss. 1915 war der Künstler als Soldat eingezogen worden und zwei Jahre später an der Westfront an einer schweren Lungenentzündung erkrankt. Er sei, schrieb er vom Krankenbett aus seiner Frau Maschka nach Berlin, in „…ein Lazarett bei Köln“ eingeliefert worden. Dies war das Neusser Kamillianerkloster. Den zweimonatigen Aufenthalt dort im Jahre 1917 nutzte der Genesende für Auftragsportraits Neusser Familien.

 

Die Ausstellung wird von einer kunsthistorischen Überraschung begleitet: Bei acht Mueller-Gemälden legten Restauratoren bemalte Rückseiten mit bisher unbekannten Motiven frei. Fünf dieser Werke sind in der Schau von beiden Seiten zu betrachten.


Die Präsentation ist nach Zwickau und Heilbronn in Duisburg in erweiterter Form zu sehen. Die Schau „Einfach. Eigen. Einzig“ bietet mit 140 Werken aus öffentlichem und privatem Besitz einen umfassenden Einblick in Werk und Leben des wichtigen Vertreters des deutschen Expressionismus, der während der NS-Zeit als entarteter Künstler galt. Die 2010 gegründete „Otto-Mueller-Gesellschaft“ in Weimar realisierte die Schau, um in komprimierter Form zu zeigen, was nach neuesten kunsthistorischen Erkenntnissen über Mueller und sein Werk bekannt und nachweisbar ist.
Klaus M. Martinetz

 

Die Ausstellung „Einfach. Eigen. Einzig. Otto Mueller“ wird bis zum 24. Februar 2013 gezeigt. (Verlängert bis zum 10. März 2013.)
LehmbruckMuseum
Friedrich-Wilhelm-Straße 40
47051 Duisburg
Tel. 0203 / 283 3294
Öffnungszeiten
SO 11 – 19 Uhr
MI + FR + SA 12 – 19 Uhr
DO 12 – 21 Uhr

 

 

 

 

 

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