Archiv 2020
LITERATUR UND WANDERN
Tod im dunklen Tann
Vor 70 Jahren, im Herbst 1950, erschien der Kurzroman „Über den Fluss und in die Wälder“. Sein Verfasser bewertete ihn als bestes Werk, das er je geschrieben habe.
Ernest Hemingway und Colonel Charles T. „Buck” Lanham in der Ortschaft Schweiler (Eifel) am 18. September 1944. Bildquelle © JFK Presidential Library and Museum, Boston |
Er hatte viel geschrieben! Aber diese Novelle wurde von den Feuilletonisten und Literaturpäpsten verrissen: als übler Fall sentimentaler Männertümelei, ein Stück Kriegspathos, geschwätzig und überflüssig.
Der Verfasser hieß Ernest Hemingway, war bereits ein vermögender, weltbekannter Schriftsteller und mit „Fiesta“ (1926) und „Wem die Stunde schlägt“ (1941) im literarischen Himmel angekommen. Er sei zwar – so hieß es seinerzeit allenthalben – ob der Kritik arg gekränkt gewesen, stand jedoch über allem. Drei Jahre später erhielt er den Pulitzer-Preis und 1954 in Oslo den Literaturnobelpreis, im Wesentlichen für das Meisterwerk „Der alte Mann und das Meer“.
„Wir sollten täglich mindestens eine Seite Hemingway lesen, schon um das Gespür für Reinheit und Stil nicht verkümmern zu lassen“. Matthias Matussek in „Die wahren Sätze“, DER SPIEGEL 26/2011 S. 100. Ernest Hemingway Bildquelle © JFK Presidential Library and Museum, Boston
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Als Across the River and into the Trees, so der Originaltitel, auf den Buchmarkt kam, war der Zweite Weltkrieg gerade fünf Jahre vorbei.
Hemingway hatte ihn als Kriegsreporter unter anderen für das amerikanische Magazin „Collier´s“ in der Etappe miterlebt: Er war beim Decision-Day (D-Day) in der Normandie dabei wie auch bei der Befreiung von Paris im Sommer 1944.
Dort, im höchst renommierten Nobel-Hotel Ritz, logierte der Starautor, passionierte Jäger, Hochseeangler und anerkannte Macho herrschaftlich und ließ sich in Sachen Freudenfeiern nicht lumpen.
Es gab Champagner, Cognac und fröhliche Partys, seine Unterkunft wurde zum Treffpunkt von Prominenz aus Kunst, Kommerz und Kultur, sofern diese die deutsche Besatzung überstanden hatten (mehr). Darunter neben dem späteren französischen Kulturminister André Malraux der Kinoweltstar in Diensten der US-Army, Marlene Dietrich.
Auch ein anderer, noch junger und unbekannter amerikanischer Nachwuchsautor fand sich im Hotel Ritz bei Hemingway ein: Jerome D. Salinger. Beide sollten sich nur wenige Monate später, nach „Entering Germany“, in der Eifel erneut begegnen.
Im siegestrunkenen Paris kam bei Hemingway der Wunsch auf, an einem der finalen Gefechte auf dem Weg nach Berlin vor Ort zu sein. Er ließ sich als Korrespondent akkreditieren und wurde dem 22. Infanterieregiment der 4. US-Infanteriedivision zugeteilt. Die Truppe unter Regimentskommandeur Charles T. Lanham, ein literaturaffiner Freizeitschriftsteller und Berufsmilitär, war dem Poeten seit der Normandie gut bekannt.
Bei schnellen Vorstößen der US-Army, die unter dem Begriff „Operation Queen“ mit Ziel Rheinquerung liefen, war Hemingway einer von zahlreichen Journalisten (mehr). Aber einer der wenigen, die - neben dem vielleicht berühmtesten Kriegsfotografen jener Jahre, Robert Capa (mehr) - das fürchterliche Blutvergießen mit über 60.000 toten oder verwundeten GIs und fast 28.000 gefallenen deutschen Soldaten im dunklen Tannendickicht des Hürtgenwalds hautnah miterlebte.
Ein Bauernhaus in Hürtgen diente als Unterschlupf für die HQ Company, 121. Infanterieregiment, 8. Infanteriedivision, XIX. Korps, 9. US-Armee. Sie nannten es das "Hürtgen Hotel". 8. Januar 1945. Unbekannter Fotograf. Fotoquelle © Wikipedia, gemeinfrei. |
Das 22. Regiment unter Lanham wurde nahezu aufgerieben. Das Desaster ging in die amerikanische Kriegshistorie ein, als verlustreichster Kampf der US-Army im gesamten Zweiten Weltkrieg in Europa. Es veränderte Hemingways Einstellung zu den Dingen des Leben in einer Weise, die Biografen als auch Kenner seiner Seele - vermutlich auch Hemingway selber - nicht für möglich gehalten hatten.
Infomaterial zum Hemingway Trail, Bildquelle © Konejung Stiftung Kultur / Rureifel Tourismus e.V. 2015
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Wer von dem Literatur-Weltstar erwartet hatte, dass er in seinem berühmten klaren, schnörkellosen Stil ein regelrechtes Epos über den Weltenbrand, einen großen Roman über den Zweiten Weltkrieg verfassen würde, sah sich getäuscht.
Selbst über das Grauen im Hürtgenwald, den deutschen „Drachenwald“ wie er es nannte, schrieb er nie eine Reportage. Die Fronterfahrung in diesem dunklen Tann desillusionierte den Frauenhelden, Waffennarren und Prahlhans. Aus dem Enfant terrible im Tross der kämpfenden Männer wurde ein entfremdeter, seelisch verletzter Augenzeuge wochenlanger Entsetzlichkeiten in den Schützengräben der Nordeifel.
Hemingway brachte diese „posttraumatischen Belastungen“ nur in Ansätzen zu Papier. Wenige Textpassagen in „Über den Fluss und in die Wälder“ zeugen davon. Sie machten damit den Ort der militärischen Handlung, diese „Todesfabrik“ an der Grenze zwischen Belgien und Deutschland, zu einem Stück Weltliteratur (mehr).
Auch der junge Salinger, Mitglied des Militärischen Abschirmdienstes „Counter Intelligence Corps“, der Hemingway während der Kämpfe in einem ländlichen Gasthof im Schnee-Eifel Weiler Buchet bei Bleialf erneut begegnete, durchlief geläutert die brutalen Wochen in der Eifel.
Er verfasste Teile seines späteren Welterfolges „Der Fänger im Roggen“ in den Schützenlöchern. Salinger unterzog sich nach dem Krieg langen psychologischen Behandlungen. 1951 wurde sein Roman erstmals veröffentlich, es wurde ein Kultbuch. Es folgten wenige Kurzgeschichten, ab 1965 schrieb er nie wieder etwas.
► An den Aufenthalt des amerikanischen Schriftstellers Ernest Hemingway in der Eifel erinnert heute ein 9,5 Kilometer langer Rundweg. Der sogenannte Hemingway Trail ist eine historisch-literarische Wanderroute, die an die Schauplätze der Hürtgenwald-Schlachten führt. Sie wurde vor Jahren erfolgreich mit fünf weiteren Rundwegen von der „Konejung Stiftung Kultur“ angeregt und realisiert. Alle Rundgänge können als multimedial unterstützte Wanderungen vorgenommen werden.
rART/cpw
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Literaturhinweise:
► Ernest Hemingway Über den Fluss und in die Wälder; Taschenbuchausgabe, RoRoRo, 288 Seiten. ISBN-13:978-3499104589
► Jerome D. Salinger. Der Fänger im Roggen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten. ISBN-13: 978-3462032185