rheinische ART
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rheinische ART 06/2017

Archiv 2017

NAPOLÉONS WASSERKREUZ 
Technik unter der Trikolore


Es funktioniert wieder! Nach fast dreijähriger Restaurierung und jahrzehntelanger Dümpelei ist das Neusser Epanchoir, ein historisches Wasserbauwerk aus napoléonischer Zeit, als technisches Bodendenkmal wieder in Betrieb.


 

Das Neusser Epanchoir ist größtes technisches Bodendenkmal am Niederrhein. Es besteht aus zwei festen Überlaufwehren sowie zwei beweglichen Schütztafeln an Zahngestängen. Sie werden mit Kurbeln gehoben und gesenkt beeinflussen damit den Wasserstand. Foto © rheinische ART 2017

 

Die Anlage ist ein Ingenieurkunstwerk der Sonderklasse und darf in Deutschland Einzigartigkeit beanspruchen.

 

Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867) Napoléon I. im Krönungsornat auf dem Kaiserthron, 1806, Öl auf Leinwand, 260 x 163 cm Musée de l'Armée, Paris, © Musée de l'Armée. Exponat der Ausstellung „Napoléon und Europa. Traum und Trauma“ Bundeskunsthalle Bonn 2011

 

Etienne-Alexandre Bardin „Geografische Ingenieure“ Zeitgenössische Darstellung von Vermessungsarbeiten. Unter Napoléon wurden die Rheinlande 1801 bis 1814 erstmals genau vermessen. Dies war Voraussetzung für den Bau des Nordkanals. Abbildung am Info-Center Epanchoir Neuss Foto (Ausschnitt) rheinische ART 2017

 

Man muss über 200 Jahre zurückgehen, um zu verstehen, warum der französische Herrscher und seine technischen Stäbe das raffinierte Staubecken mit dem Schleusenwerk nahe der Neusser Innenstadt errichten ließen.

     Und es bleibt festzuhalten, dass das geflügelte Wort des Historikers Thomas Nipperdey „Am Anfang war Napoléon“ auch auf die rheinische Stadt Neuss zutraf. Denn die sogenannte Franzosenzeit von 1794 bis 1814 war alles andere als eine von fremdländischer Unterdrückung geprägte düstere Epoche.

     Dem Rheinland brachten die zwanzig Jahre fundamentale Neuerungen in Gesellschaft und Verwaltung, Recht und Kirchenwesen. Diese grundlegenden Veränderungen machte die Bevölkerung vorrangig an der Person Kaiser Napoléon Bonapartes (1769-1821) fest. So auch in Sachen Epanchoir in Neuss.


Napoléon veranlasste 1804 den Bau einer rund 53 Kilometer langen künstlichen Wasserstraße namens „Grand Canal du Nord“, oder zu Deutsch: Nordkanal. Der Wasserweg sollte vom Rhein bei Neuss-Grimlinghausen bis an die Maas bei Venlo verlaufen, später weiter bis an die Schelde nach Antwerpen.

     Eine insgesamt rund 160 Kilometer lange neue strategische Verkehrstrasse, mit der das Kaiserreich ein vorrangiges Ziel verfolgte: den Schiffsverkehr vom Rhein bis zum damals nördlichsten französischen Seehafen Antwerpen unter Umgehung der niederländischen Zölle umzuleiten.

     Denn das Königreich der Niederlande war zu dieser Zeit noch nicht vom französischen Kaiser besetzt. Dies sollte sich allerdings schon bald ändern.


Bis dahin wurde das ehrgeizige wie kühne Kanalprojekt jedoch kraftvoll vorangetrieben. 1808 begannen nach detaillierten Vermessungen die Kanalarbeiten. In kurzer Zeit entstandenen technische und bauliche Meisterleistungen wie eine Schleuse bei Straelen-Herongen oder das Wasserkreuz Epanchoir in Neuss.

     Die Planungen oblagen einer Abteilung des „Corps des ingénieurs des ponts et chaussées“, wobei vor allem der französische Chefingenieur Aimable Hageau (1756-1836) eine herausragende Rolle spielte. Er verkörperte die Tradition französischer Ingenieurkunst par excellence, ein Star in der Gilde der Wasserbautechniker.

     Jahre zuvor war er unter anderem an Planung und Bau des Wasserscheidenkanals „Canal du Nivernais“ zwischen Loire und Seine beteiligt und für seine Meisterwerke, darunter die Schleuse von Dole, berühmt.

 

Historischer Plan des Epanchoir, die Böschungskegel am Prise d´eau sind gut erkennbar. Foto © Stadtarchiv Neuss 2017


Dem Epanchoir von Hageau´s Reißbrett kam in den Planungen eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Wasserkreuzung wurde dort errichtet, wo die Trasse des Nordkanals die Obererft erreichte, eine im späten Mittelalter künstlich angelegte Abzweigung des Flusses Erft. Sie sorgte für den kontrollierten Wasserzufluss in den geplanten Nordkanal, der damit zuverlässig schiffbar gehalten wurde.

     Gleichzeitig sollte die Wasserkraft für die großen Getreidemühlen in der Stadt gesichert werden. So gesehen spielte das Epanchoir seinerzeit für die ökonomische Entwicklung der Kommune eine überaus gewichtige Rolle.

 

Napoléonstein Foto © Stadt Neuss Marketing 2017 Josef Thiel Fotografie

 

Bis heute erinnert ein Gedenkstein an die Einweihung des Wasserkreuzes am 3. August 1809. Vollzogen wurde diese symbolträchtige Handlung durch Graf Montalivet, Staatsrat und Generaldirektor der Brücken und Landstraßen, Kanäle und Handelshäfen. Zwei Inschriften - eine auf Französisch, eine auf Latein - geben Auskunft: „PRISE D’EAU ET EPANCHOIR DE L’ERFT MDCCCIX NAPOLEON EMPEREUR“.

     Nach Beendigung der französischen Besetzung und dem Beginn der Verwaltung durch Preußen 1815 (mehr) wurde der fertige Kanalabschnitt zwischen Neuss und Neersen über 16 Kilometer schiffbar gemacht. Ab 1823 wurde auf ihm Kohle getreidelt, in den 1840erJahren kam der Personentransport hinzu. Die Eisenbahn ließ das Interesse am Nordkanal jedoch schwinden. Im Oktober 1850 fuhr das letzte Schiff auf dem Nordkanal.

 

Info-Center Stehen wo einst Napoléon bei der Einweihung stand: Stelen und Schautafeln am Informationscenter, einem ehemaligen Trafohäuschen, davor ein Funktionsmodell des Epanchoir. Foto © rheinische ART 2017

 

Nach dem Ersten Weltkrieg lebte die Kanalidee noch einmal kurz auf. Neuss trat 1919 dem „Rhein-Schelde-Kanal-Verein“ bei; darüber hinaus wurde die Stadt Mitglied des 1926 gegründeten „Verein zur Förderung eines Kanalbaus von Aachen über Rheydt-Mönchengladbach, Neuss am Rhein“. Angesichts der technischen Schwierigkeiten wurden diese hochfliegenden Pläne jedoch 1930 endgültig aufgegeben.

     Der Nordkanal wurde nie fertiggestellt und fiel in einen „Dornröschenschlaf“. Heute dient er allein wasserwirtschaftlichen Zwecken und erinnert kaum mehr daran, welche Meisterleistungen mit seiner Projektierung einst verbunden waren.


Neue Aktualität gab dem Thema Epanchoir der 200. Jahrestag der Grundsteinlegung 2009 sowie eine viel beachtete Napoléon-Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn 2011 (mehr).

     Die Beratungen über eine Restaurierung und Wiederherstellung des Baudenkmals wurde vom Neusser Stadtrat noch im selben Jahr abgeschlossen und positiv beschieden. Die teils komplizierte Rekonstruktion des Wasserbauwerks in seinen historischen Dimensionen von 22 x 45 Metern konnte beginnen.

     Die Kosten für die denkmalpflegerischen Arbeiten an dem größten technischen Bodendenkmal des Niederrheins betrugen rund 900.000 Euro, die Gesamtkosten der Instandsetzung einschließlich der infrastrukturellen Anpassungen und Korrekturen lagen bei 1,3 Millionen Euro.

     Aufgrund der Initiative und des Engagements des Vereins der Freunde & Förderer des historischen Nordkanals konnten über eine halbe Million Euro durch Stiftungs- und Fördergelder sowie Privatspenden eingeworben werden. Namhafte Partner bei der Finanzierung waren die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in Bonn (DSD), der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und die NRW Stiftung, sowie eine Reihe in Neuss ansässige Unternehmen.
Simon Hopf


Zur Bedeutung der technischen Bezeichnungen: Epanchoir geht auf das französische Verb "s'épancher" zurück, womit "aus etwas herauslaufen" umschrieben wird. Das Wort hat seinen Ursprung im lateinischen "expandere", sich ausbreiten. Das Prise d´eau ist der Wassereinlauf, mit dem das Wasser aus der Obererft in den Kanal gelangte. Es ist trichterförmig angelegt, um die Querströmung zu verminden und die Schifffahrt zu schützen.

 

Historische Wasserkreuzung
Epanchoir
Nordkanalallee/ Ecke Selikumer Straße
41460 Neuss

Information Neuss Marketing

Tel. 02131 / 90 83 00

Tourist Information Neuss

Tel. 02131 / 40 37 795