Archiv 2014
1914 - FARBFOTOGRAFIE VOR DEM KRIEG
Die Welt in Farbe
Ja, es hat sie früh gegeben, die Farbfotografie. Vor über 100 Jahren bereits, noch vor dem Ersten Weltkrieg. Das bekannteste und umfangreichste ethnologische Foto- und Filmprojekt der damaligen Zeit, ein großes farbiges Weltbildarchiv, brachte es auf rund 72.000 Farbbildaufnahmen, gefördert und angelegt von dem französischen Bankier und Kunstmäzen Albert Kahn. „Les Archives de la planète“ (Die Archive des Planeten), so der Name des philanthropischen Großprojektes, sollte in den gesellschaftlich wie politisch emotional aufgeladenen Jahren vor dem Krieg ein Zeichen der Völkerverständigung setzen.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Fotograf Stéphane Passet: Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, 17. Juli 1913 © Musée Albert-Kahn, Département des Hauts-de-Seine ► Stéphane Passet (* 1875, Todesjahr unbekannt) arbeitete ab 1912 für das Archives de la planète. 1913 unternahm er eine ausgedehnte Fotoreise von Griechenland über die Türkei nach China, der Mongolei und Indien. Im Ersten Weltkrieg fotografierte er für Albert Kahn in Frankreich und seiner Hauptstadt. |
Kahns monumentale Medienutopie im Dienste der Friedenssicherung war bekanntlich erfolglos. Der „Große Krieg“, wie der Erste Weltkrieg in Deutschlands Nachbarländern oft genannt wird, brach sich als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts Bahn und war nicht aufzuhalten. Doch der immense Bilderschatz des elsässischen Fotoenthusiasten Albert Kahn in Form früher farbiger Diapositive - auch Autochrome (Autochromes oder plaques autochromes) genannt - blieb erhalten. Die jahrzehntelang zwar nicht vergessene, jedoch wenig beachtete Farbbild-Kollektion ist jetzt der Kern einer so ungewöhnlichen wie faszinierenden Ausstellung im LVR-Landesmuseum in Bonn mit dem Titel „1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg“.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Fotograf Auguste Léon: Frisch verheiratetes Paar im Fotoaltelier von Gerda Söderland, Schweden, Laksund am 28. August 1010, © Musée Albert-Kahn, Département des Hauts-de-Seine ► Auguste Léon (1857-1942) wurde 1909 als erster Fotograf von Albert Kahn für das Archiv-Projekt verpflichtet. Er begleitete Kahn als Privat- und Hausfotograf ab 1910 auf zahlreichen Reisen. Léon leitete von 1919 bis 1937 das Fotolabor im Kahnschen Haus in Boulogne-Billancourt.
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Herr der Bilder Wer war dieser vermögende Mann, der mit einem gewissen Weitblick die Kriegsgefahr im ideologisch aufgeheizten Europa der Jahre vor 1914 erkannte und glaubte, eine Friedensmission erfüllen zu können? Der mit bunten Bildern das Fremde in die Nähe holte, den Menschen eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht ermöglichte und Verständnis für andere Kulturen wecken wollte? Verbunden mit der Hoffnung, der Krieg möge nicht eintreten. Albert Kahn (1860-1940), Spross elsässischer Viehhändler, ehemals Bankkaufmann, studierter Literaturwissenschaftler und Jurist und zum Kompagnon des Pariser Geldhauses Goudchaux aufgestiegen, war seinerzeit einer der reichster Männer des Kontinents. Und erstaunlicherweise keine Person der Öffentlichkeit.
Der Herr der Bilder ist, so Kurator Thomas Schleper im Ausstellungskatalog, selbst kaum auf Bildern zu finden. „Was er zu sagen oder zu zeigen hatte, blieb begrenzt auf einen kleinen Kreis von Auserwählten. Der traf sich in seinen prachtvollen Gärten...“ Dies waren Gartenanlagen par excellence in der Pariser Vorortgemeinde Boulogne-Billancourt, die die Kulturen der Weltregionen widerspiegelten. Kahns Gärten bildeten einen Intellektuellen-Treffpunkt, und die Auserwählten - auch für Fotopremieren - waren unter anderen Diplomaten, Politiker, Wissenschaftler und Künstler wie etwa Albert Einstein, Anatole France und Auguste Rodin.
Kahn gilt als einer der führenden Fotopioniere der beginnenden Moderne. Sein Vermögen setzte er für die Weiterentwicklung und Nutzung der um 1903 von den Gebrüdern Lumière zum Patent angemeldeten Autochromie ein. Es war das erste fotografische Verfahren, das Bilder mit Echt-Farben in einem einzigen Aufnahmevorgang ermöglichte. In seinem Archiv sammelte Kahn gezielt über Jahre Farbfotografien von Minderheiten in Europa, Afrika, Amerika und Asien, dokumentierte so Lebensweisen und Kultureinrichtungen, die zu verschwinden drohten. Zahlreiche renommierte Fotografen, die seinerzeit zur Avantgarde der Zunft gehörten, arbeiteten mit der Autochromtechnik im Auftrage Albert Kahns in aller Welt. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise verlor Kahn sein Vermögen und starb 1940 verarmt in seinem Wohnort.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Fotograf Auguste Léon: Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, Brothändler auf dem Markt am 15. Oktober 1912 © Musée Albert-Kahn, Département des Hauts-de-Seine |
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Fotograf Auguste Léon: Griechenland, Korfu, Drei Frauen in traditioneller Kleidung 1913 © Musée Albert-Kahn, Département des Hauts-de-Seine
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Interdisziplinäres kulturhistorisches Projekt Die in Bonn von Lothar Altringer, Rolf Sachsse und Thomas Schleper kuratierte Ausstellung stellt diese beeindruckenden Fotografien und Filme und die immer noch aktuelle Kahnsche Vision einer Völkerverbindung in einen zeitgeschichtlichen, keineswegs immer nur friedfertigen Zusammenhang, wie der LVR betont. Gezeigt werden ferner die zwischen 1909 und 1915 im Auftrag von Zar Nikolaus II. geschaffenen Farbfotoarbeiten über das Russische Reich von Sergei M. Prokudin-Gorskii. Sie gelten heute als bedeutende Geschichtszeugnisse der letzten Zarenzeit.
Darüber hinaus das „Stollwerk-Album“ des Kölner Schokoladenfabrikanten Ludwig Stollwerk von 1904, das als das erste kommerzielle Farbfotosammelbuch überhaupt gilt, das einflussreiche Großprojekt „Bilder aus den deutschen Kolonien“ oder das Fuhrmann´sche „Kaiser-Panorama“, dessen Colorbilder in 3D damals wie heute faszinieren. Die LVR-Schau ermöglicht einen neuen, farbenprächtigen Einblick in eine vergangene Welt, die man – damals wie heute - bislang überwiegend nur in schwarz-weiß kannte.
Die Ausstellung „1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg“ ist die Auftaktschau im Rahmen eines großen kulturhistorischen Verbundprojektes, mit dem der Landschaftsverband Rheinland (LVR) bis in das Jahr 2015 hinein an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und an die Auswirkungen auf das Rheinland erinnert. Unter dem Leittitel „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“ bietet das Themenjahr in verschiedenen LVR-Häusern der Rheinregion elf Ausstellungen sowie Exkursionen, Eventprogramme und Forschungsprojekte. Erstmals beteiligen sich alle LVR-Museen und eigenen Kulturdienste an einem derartigen interdisziplinären Großprojekt des Verbandes. Die Ausstellung „Welt in Farbe“ ist ein Kooperationsprojekt des LVR-LandesMuseums Bonn und des Martin-Gropius-Baus in Berlin.
Klaus M. Martinetz
Die Ausstellung „1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg“ wird vom 24. September 2013 bis zum 23. März 2014 gezeigt.
LVR-LandesMuseum Bonn
Rheinisches Landesmuseum für Archäologie, Kunst- und Kulturgeschichte
Colmantstr. 14-16
53115 Bonn
Tel. 0228 – 2070-351
Öffnungszeiten
DI - Fr, SO 11 - 18 Uhr
SA 13 - 18 Uhr
► Lumière- Technik
Die Autochromie als Verfahren zur Herstellung von Farbfotos gilt als Meisterwerk der Gebrüder Louis und Auguste Lumière, die diese Technik im Dezember 1903 patentieren ließen. Auf den Markt kamen die zerbrechlichen Lumière Autochromes in industrieller Massenfertigung vier Jahre später. Bis dahin wurden Farbbilder mit langwierigen Belichtungen im sogenannten Drei-Farben-Verfahren erzeugt, wobei nacheinander Blau-, Grün- und Rot-Filter vor das Kameraobjektiv montiert wurden. Lumières Technik bestand dagegen darin, Licht unter Verwendung einer einzigen Drei-Farben-Platte zu filtern. Die Platte, das spätere Farbdia, war mit einer Farbemulsion aus Körnern von Kartoffelstärke (7000 Körner/mm2) in den drei Grundfarben präpariert, die auf die mit klebrigem Latexfilm bestrichene Glasoberfläche aufgetragen und danach unter Beifügung von Dichtmitteln gepresst wurde. Die Farbwirkung wurde für den Betrachter ähnlich dem Pointilismus erst durch die Vielzahl der Farbpunkte, also der Gesamtheit des Bildes, erzeugt. Charakteristisch bleibt für viele dieser frühen Colorbilder aufgrund technischer Handicaps ihre „jahrmarktähnliche Buntheit“, hervorgerufen durch mangelnde Farbsättigung, geringe Empfindlichkeit und Auflösung oder Unschärfe. Erst mit den neuen chemischen Prozessen der 1930er Jahre wurden die Autochromes durch andere Verfahren wie Kodachrome, Ektacolor (1935) und Agfacolor (1936) abgelöst.