rheinische ART
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rheinische ART 01/2022

Archiv 2022

HISTORIE
Die Edelleute von der Emscher

 

Wer bei dem Titel „Ruhrbarone“ an aristokratische Bewohner des Reviers denkt, liegt falsch. Dies waren Industriepioniere und Repräsentanten aus einer Zeit, in der Steinkohle und Stahlproduktion den Pulsschlag an der Ruhr bestimmten.

 

Nicolaus Mettely nach Johann Martin Metz, Schloss Arnsberg mit Jagdstillleben, um 1757/60, LWL-Museum für Kunst und Kultur. Westfälisches Landesmuseum, Münster, © LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum, Münster

 

Dass es den Adel in dem später oft als Schmelztiegel - nicht nur für Stahl sondern auch für Völkerschaften - charakterisierten Schwerindustriegebiet bis heute noch gibt, zeigt eine Sonderausstellung im Essener Ruhr Museum auf dem Gelände des UNESCO-Welterbes Zeche Zollverein.

 

Johann Anton Kappers Maria Josepha Gräfin von Merveldt, geb. von Westerholt zu Lembeck, um 1735/40, Privatbesitz, © Ruhr Museum, Foto: Christoph Sebastian

 

Blick in die Ausstellung Foto © Ruhr Museum, Foto: Deimel + Wittmar
 

Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr titelt die Schau. Es ist das erste Mal, dass sich eine Ausstellung in großem Umfang der gesamten materiellen Kultur der Oberschicht im späteren Montangebiet, vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart, annimmt. Das macht sie so interessant.

     Territorial betrachtet war die Rhein-Ruhr-Region nie das zusammenhängende Herrschaftsgebiet eines mächtigen Fürsten. Sie zeichnete sich stets durch eine Vielzahl kleinteiliger Herrschaften aus, zu denen neben Herzogtümern und Grafschaften auch geistliche Territorien und Städte gehörten.

 

Wenig bekannt: Von ehemals über 400 Burgen, Schlössern und Herrensitzen sind im Gebiet des Ruhrreviers noch etwa 200 Objekte erhalten, zum Teil allerdings nur als Ruinen.

     Diese Bauten und seine einst privilegierten Bewohner werden in der aufschlussreichen Präsentation ausgeleuchtet.
     Vielen Besuchern dieser „Geschichtslektion“ dürfte ein Gedanke nicht aus dem Kopf gehen: Klassisches Industriegebiet und historische Adelssitze, wie soll das zusammenpassen?

     Aber das Ruhrgebiet, so lernt man schnell, hat auch eine reiche vorindustrielle Vergangenheit, die es einst zu einer der burgenreichsten Regionen Europas werden ließ. Aus vielen Wehranlagen entwickelten sich später prächtige Wasserschlösser und Herrenhäuser.

     Der begüterte alte Geburtsadel wie auch der neue Geld- und Dienstadel hatte es bekanntlich schon immer verstanden, in den idyllischen Landschaften entlang des Rheins nach standesgemäßen Landsitzen und Sommerfrischen zu suchen und zu investieren (mehr).
     Die Ausstellung im Ruhr Museum geht zahlreichen Fragen nach, die die Noblesse abseits des attraktiven Stromgebietes betreffen.

 

Franz Hogenberg Festessen auf der fürstlichen Hochzeit in Düsseldorf, 1585, Garten aus Zuckerwerk, in: Dietrich Graminäus, »Beschreibung derer Fürstlicher Güligscher ec. Hochzeit«, Köln, 1587, Archiv Schloss Hugenpoet, Essen, © Ruhr Museum, Foto: Christoph Sebastian

 

Welche Familien lebten in den später von der Kohlegewinnung überformten Regionen zwischen den Flüssen Lippe, Emscher und Ruhr? Welche Netzwerke entwickelten zum Beispiel Ritter und Prinzessinnen, adlige Stifte und Kirchenfürsten, wie sahen ihr Alltag und ihre Festivitäten aus?

     Auf welchen Säulen basierten ihr Einfluss und ihre Macht, welche Rituale und Symbole gab es? Eine wichtige Frage steht auch bei dieser Schau im Vordergrund: Wie konnte die sich als Elite verstehende Gruppe der Edelleute trotz der Aufhebung ihrer Privilegien und des damit einhergehende politischen Bedeutungsverlustes weiter bestehen? Und letztlich, wie leben die Adeligen heute, welche Veränderungen ergaben sich aus diesem Wandlungsprozess?

 

Johann Jakob Schmitz Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach als Essener Fürstäbtissin mit Kammerdiener Ignatius Fortuna, um 1770, Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung, Essen, © LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Pulheim-Brauweiler, Foto: Viola Blumrich

 

 

Ordenskreuz der Stiftsdamen von Rellinghausen, Rheinland/Westfalen, Mitte 18. Jh., Ruhr Museum, © Ruhr Museum, Foto: Rainer Rothenberg

 

Zur Erinnerung: Mit der Französischen Revolution schwanden viele Vorrechte der Aristokratie. Auch der preußische Staat reglementierte die ritterlich Vorbelasteten stark, eröffnete daneben aber neue Wirkungsfelder vor allem in Verwaltung und Militär.

     Einstige Junker wurden zu Entrepreneuren, betätigten sich in neuen Geschäftsmodellen als Unternehmer, gleichzeitig stiegen Bürgerliche zu „Schlotbaronen“ oder „Ruhrbaronen“ auf.

     Nach den Weltkriegen führt eine Neuorientierung zu einer Rückbesinnung auf die Traditionen und zu einem stärkeren Verantwortungsbewusstsein für die Erhaltung des kulturellen Adel-Erbes, betonen die Ausstellungsmacher.

 

Ein Spezifikum der adeligen Oberschicht in der Rhein-Ruhr-Region macht der Rundgang deutlich: Es waren gerade die kleinräumigen Herrschaftsbildungen, die ganz eigene Besonderheiten und Charakteristika zuließen.

     So etabliert sich in dem adeligen Frauenstift Essen eine fast tausendjährige Frauenherrschaft, die durchgängig von der Gründung des Stiftes bis zur Säkularisierung die Geschicke der Stadt Essen beeinflusste.

     Und in der freien Reichsstadt Dortmund mit ebenso überschaubarem Territorium bildete sich im Spätmittelalter, vor allem in der Hansezeit, ein neuer patrizischer Stadtadel, der über immensen Reichtum und Handelsverbindungen in ganz Europa verfügte.

 

Plakat »Löwenpark Graf Westerholt«, Johannes Schlicker, Essen, 1985, Haus der Essener Geschichte/ Stadtarchiv, 910/1293, © Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv

 

Der Reiz dieser über 800 Objekte umfassenden, ungewöhnlichen und sehenswerten  Sonderschau liegt nicht nur in derartigen Erkenntnissen, sondern auch darin, dass viele adelige Familien nie ausgestellte Exponate zur Verfügung stellten.

     Darunter befinden sich Bildnisse ihrer Vorfahren und andere Gemälde, kostbares Silber- und Porzellangeschirr sowie Glaspokale und Sammlerstücke, die bis heute im Familienbesitz geblieben sind. Urkunden, Stammbäume und illustrierte Bücher aus den zum Teil bis ins 16. Jahrhundert zurückgehenden Adelsbibliotheken geben Einblicke in ihre ehemalige Lebenswelt, dieser „Klasse für sich“.

     In einigen Fällen sind Freizeitparks, Minigolfanlagen und Schlossbesichtigungen zu aktuellen gräflichen Einnahmequelle geworden. „Es macht uns sehr stolz, dass wir mit der Ausstellung viele Kulturschätze erstmals in der Öffentlichkeit präsentieren dürfen. Wir erschließen damit eine Welt, die den Menschen sonst weitgehend verborgen bleibt“, erklärte Ruhr Museum-Direktor und Ausstellungsleiter Heinrich Theodor Grütter.
rART/cpw


Die Ausstellung „Eine Klasse für sich. Adel an Rhein und Ruhr“ wird bis zum 24. April 2022 gezeigt. (Verlängert bis 31.07.2022)
Ruhr Museum
in der Kohlenwäsche
UNESCO-Welterbe Zollverein
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen
Tel. 0201 / 24681 444
Öffnungszeiten

MO – SO 10 – 18 Uhr
Am 31.12. geschlossen