ARCHIV 2012
Der Architekt Álvaro Siza und die Ausstellung „Von der Linie zum Raum“
Álvaro Siza, fotografiert von L.Vignelli
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Das Genie und seine Spuren
Der vielversprechende Ort hatte Álvaro Siza von Anfang an interessiert. Es war 1995, als er das erste Mal das Gelände der ehemaligen NATO-Raketenstation betrat und ein Gespräch mit dem Kunstsammler und Gründer des Kulturraums Hombroich, Karl-Heinrich Müller, führte. Und wenn ein Visionär und ein Kosmopolit zusammen kommen, kann nichts in industriellem Maßstab gedacht und realisiert erwartet werden. Letztlich ist es wohl Müllers Beharrlichkeit und Sizas Geduld zu verdanken, dass nach 15 Jahren Plan- und Bauzeit der Siza-Pavillon fertig gestellt wurde.
Der Siza-Pavillon auf der Raketenstation Hombroich |
SIZA baute nicht „auf“ der Raketenstation, sondern integrierte in ihr ein Gebäude. Seine Auffassung von der Architektur eines Hauses bezieht immer auch die Umgebung ein. Der Siza-Pavillon ist ein flaches, eher geducktes Gebäude, das sich zwischen den bestehenden Erdwällen des Geländes nicht hervortut. Man muss zu ihm hin wollen, kein Hauptweg führt an ihm zufällig vorbei und wenn er ins Blickfeld des Betrachters rückt, präsentiert sich erst einmal nur eine lange Wand aus dunkel gebranntem Klinker. Wie man sich auf der Raketenstation das Gebäude erst einmal erlaufen muss, so muss der Besucher seine Erkundung im Inneren des Hauses fortsetzen, bevor sich die weite Aussicht auf die Landschaft vom zentralen Raum aus unvermittelt ergibt. Die ist dann allerdings erstaunlich oder überwältigend, was natürlich ganz im Sinne und Auge des Betrachters liegt. Apropos Betrachter: Er sollte seine tradierten Sichtweisen einmal hintanstellen, denn Siza sprengt die Grenzen konventioneller Vorstellungen. Unverbrüchlich lässt sich die Symbiose Innen – Außen erfahren und lässt eine Ahnung davon aufkommen, was Wohnen und Leben im Einklang mit und parallel zur Natur sein kann.
Bezeichnende Worte fand der Architekt Rudolf Finsterwalder (Vertrauter und Partner von Álvaro Siza bei der Realisation des Gebäudes), um die Arbeitsweise von Siza und dessen Pavillon zu beschreiben, nachzulesen im Katalog zur Ausstellung Von der Linie zum Raum: „Siza folgt einer sehr organischen Denkweise, ähnlich der Frank Lloyd Wrights, der auch versuchte, alle für die Architektur relevanten Themen in ein Gebäude und seine Außenanlagen zu fassen. So ist es auch bei Siza ... alles wird von ihm gedacht und gestaltet ... Es entstehen Räume mit einer sehr starken Atmosphäre, die zwar immer seine Handschrift trägt, jedoch auch immer mit dem Ort harmoniert. So ist z.B. das Architekturmuseum Hombroich ein Bau, der ein Material aus der Gegend, den dunkel gebrannten Klinker aufnimmt, ihn aber im Detail anders als gewohnt einsetzt ... der Klinker fließt wie eine Haut über das Volumen, was die plastische Wirkung steigert. Mit der niedrigen Gebäudehöhe reagiert Siza auf die weite, flache Landschaft der Gegend, verzahnt den Bau mit der Landschaft ... .“
Ausstellung im Grenzbereich Architektur und Skulptur
Álvaro Siza und Rudolf Finsterwalder
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Der Siza-Pavillon auf der Raketenstation beherbergt das Architekturmuseum als Forum für räumliches Denken und ist derzeit Ausstellungsort für Siza selbst. Als seine Exposition eröffnet wird, kommt er viele Stunden zu spät. Doch das liegt nicht an ihm sondern an dem Flieger, der ihn nach Düsseldorf bringt. Und die Besucher und Gäste, die ihn begrüßen wollen, harren geduldig aus. Als er dann endlich da ist und er die Halle betritt, brandet Applaus auf und als Álvaro Siza sich ans Rednerpult stellt, hat er nur freundliche, fast warmherzige Worte für seine Zuhörer. Die Anstrengungen seiner doch länger dauernden Reise sind ihm nicht anzumerken. Mit einer bewundernswerten Haltung, der nur auch leidvoll stilgeprüfte Ästheten fähig sind, absolviert er mit Nonchalance seinen Auftritt. Erst am nächsten Tag wird er seine Ausstellung – und tatsächlich seinen fertigen und nach ihm benannten Pavillon - sehen.
Der portugiesische Stararchitekt und Pritzker-Preisträger gibt hier mit zahlreichen Zeichnungen und einigen Modellen von Museumsbauten einen unverfälschten Blick in seine Arbeitsweise. Da ihm nachgesagt wird, mit dem zeichnenden Stift zu denken, wird mit seinen Skizzen ein ungewöhnlicher Einblick auch in seine Denkweise nicht verwehrt. Siza hat nie mit dem Computer entworfen. Das hat weniger mit einer Technikfeindlichkeit oder seinem Alter (Siza ist 1933 geboren) zu tun als vielmehr mit den begrenzten Möglichkeiten. Die scharfen, mit dem Computerprogramm gezogenen Linien, sind ihm zu fest, zu stark, unflexibel und meist ohne Inspiration, so vermittelt er es im Gespräch. Spielerische Leichtigkeit oder auch das Ausprobieren intuitiver Gestaltungsgedanken und das Finden organischer Strukturen werden durch die gegebene Starrheit erschwert.
Die Frage nach einer guten oder schlechten Architektur stellt sich für ihn nicht. Es sind andere, die ihn nach dem Phänomen wenig gelungener Architektur fragen. Das EDV-gestützte Entwerfen zählt für ihn aber in der Konsequenz zu den Ursachen, die für so viel gefühlte schlechte Architektur in unserem Lebensraum mit verantwortlich sei.
Seine Gedanken erfassen immer wieder neue Möglichkeiten und so kommt es, dass er ein Projekt eigentlich nie zu Ende denkt. Es gibt immer neue, lohnende, weiterführende Gestaltungsansätze einer Idee, erzählt er. Und wann ist ein Gebäude in seinen Augen fertig? Erst ist ein mildes Lächeln die Antwort und dann: „Wenn der Kunde sagt, es ist fertig.“
Irmgard Ruhs-Woitschützke
► Der Siza-Pavillon ist 2010 mit dem Einzug des Heerich-Archivs, der Ausstellungsräume für Fotografie und einer Ausstellung des für Hombroich so maßgeblichen Künstlers Erwin Heerich eröffnet worden. Eine Ausstellung mit Arbeiten von Álvaro Siza ist jetzt nur folgerichtig.
Die Ausstellung „Von der Linie zum Raum“ von Alvaro Siza ist bis zum 4. März 2012 zu sehen.
Siza-Pavillon
Raketenstation Hombroich
41472 Neuss
Tel. 02181 / 82879- 19
Öffnungszeiten
Bis 31. Oktober täglich von 13 – 18 Uhr
Vom 1. November 2011 bis zum 31. März 2012
DI, SA + SO 12 – 17 Uhr
Mehr Informationen zur Raketenstation Hombroich finden Sie hier mehr
©Fotos Stiftung Insel Hombroich (4), rheinische ART. (1)