FAMILY OF MAN
Ein Friedensmanifest
Im Januar 2025 wird die Foto-Ausstellung The Family of Man 70 Jahre alt. Die von dem US-Museumsfachmann Edward Steichen 1955 für das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zusammengestellte Schau ist bis heute die erfolgreichste Foto-Ausstellung aller Zeiten.
Blick in die Ausstellung Family of Man Foto © rheinische ART |
Eigentlich ist diese Bildersammlung, die im Schloss Clervaux im Großherzogtum Luxemburg beheimatet ist, mehr als eine publikumswirksame Schau. Denn angesichts der aktuellen Kriegsszenerien kann sie erneut als eine beeindruckende Manifestation für den Frieden bewertet werden. Und als solche war sie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg auch konzipiert worden.
Edward Steichen Self-portrait with Studio Camera, ca. 1917 Bildquelle © 2016 The Estate of Edward Steichen/ ARS New York
Cover zur Publikation der Ausstellung.(siehe Lit.hinweis unten) Bildquelle © Verlag Tauris
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Vor über 20 Jahren wurde die Präsentation ferner mit dem Status des UNESCO-Weltdokumentenerbes geadelt. Es ist die letzte vollständige und restaurierte Version der einstigen Wanderausstellung. Jährlich werden rund 20.000 Besucher in den Räumen des Schlosses gezählt, wie aus der Museumsleitung zu hören ist.
Man könnte annehmen, die Kollektion mit ihren ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotografien sei in die Jahre gekommen. Doch dies trifft nicht zu! Konzeption und Inszenierung sind nach wie vor anerkannt und gefragt.
Nach der Premiere im MoMA am 24. Januar 1955 ging dieses „kollektive Weltportrait“ der Fotografie, wie es einmal betitelt wurde, auf Welttournee – in 150 Museen in 38 Ländern wurde es gezeigt und über zehn Millionen Besucher strömten nach Schätzungen in diese Ausstellung. Genaue Zahlen konnten nie ermittelt werden.
Nach dem Konzept ihres Kurators Edward Steichen – und dies dürfte entscheidend für den Erfolg gewesen sein – sollten nach den traumatischen Leidensjahren des Zweiten Weltkriegs die Gemeinsamkeiten der Menschheit betont werden.
Die Fotografien zeigen daher Menschen aller Herkunft, aller Kontinente, Altersgruppen und sozialen Schichten. Und in Lebenssituationen, die universelle Gültigkeit haben, in denen sich auch jeder wiederfinden kann: Menschen bei der Arbeit, in der Familie, bei Hochzeiten, bei Geburt und Tod. Junges und Altes, Krieg und Frieden, Glück und Unglück, Hell und Dunkel stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Die Aufnahmen, thematisch gruppiert, tragen außer dem Namen des jeweiligen Fotografen keine Texte und sollen ohne Worte auf der ganzen Welt verstanden werden.
Die ständige Ausstellung The Family of Man im Schloss von Clervaux im Norden Luxemburgs zieht jährlich Tausende Besucher an. Foto © rheinische Art |
Die mythenschwere Sammlung, in der Luxemburger Ausstellung mit Originalen und in ebensolcher Hängung präsentiert, besteht aus 503 Fotografien, aufgenommen von 273 Fotografen aus 68 Ländern. Steichens „Menschheitsfamilie“ wurde von Anfang an als humanistische Fotografie-Kollektion verstanden, als Manifest für den Frieden und die grundsätzliche Gleichheit der Menschen. Daher ist ihre Bedeutung ungebrochen.
Blick in die Ausstellung im Schloss Clervaux Bildquelle © CNA/centre national de l´audio visuel, Clervaux; Romain Girtgen
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Nichts ist in der Welt jedoch ohne Kritik. Die traf diese Foto-Schau auch. Wie nie eine andere gilt sie bis heute als die wohl am stärksten jemals analysierte und bewertete Bilderpräsentation.
Als „sentimentales Spektakel“ und unerträglich flache Bilddarbietung bezeichneten Kritiker sie. Einige sahen in ihr gar eine ideologische Aufladung, die die Schau damit zu einem mehr oder weniger verdeckten Polit-Werkzeug im Kalten Krieg jener Jahre gemacht habe.
Die Bildauswahl selbst blieb ebenfalls ein Stein des Anstoßes. Steichens MoMA-Team extrahierte aus über einer Million Fotografien rund 10.000 Kontaktabzüge, aus denen wiederum die Exponate gewählt wurden. Steichen, selbst berühmter Lichtbildner, war von Beginn an mit fünf eigenen Fotografien vertreten, jedoch ohne Namensnennung.
Exponat aus der Kollektion der Farm Security Administration: Dorothea Lange Wanderarbeiterin mit Kindern/ Nipomo, Californien, 1936 Bildquelle © MoMA New York
Eingang zur Ausstellung auf dem Schloss Clervaux. Foto © rheinische ART
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Das Anstößige für manche Kunstrichter: Die Auswahl stammte überwiegend aus den Archiven der Library of Congress und der Sammlung der Farm Security Administration, die ab 1930 Berufsfotografen mit der Dokumentation der gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA beauftragt hatte.
Viele Fotos kamen ferner aus den Nationalarchiven und vom Magazin Life, von National Geographic oder Fortune. Inhalt und Aussage, so die Gegner, seien durch die Monopolstellung der US-Medien und die führende Stellung des MoMA bestimmt.
Unbestreitbar bleibt, dass Steichen die Aufnahmen von Spitzen-Fotografen wie Ansel Adams, Robert Capa (mehr), Henri Cartier-Bresson (mehr), Walker Evans (mehr), Dorothea Lange, Robert Doisneau, dem Kölner August Sander (mehr) oder dem Straßenfotografen Garry Winogrand auf modernistische und spektakuläre Weise in Szene setzte.
Und: Family of Man war ein Produkt seiner Zeit und seines Schöpfers, seiner politischen und kulturellen Ausrichtung und Denkweise. Somit ist die Dauerausstellung in Luxemburg neben ihrer aktuellen Bedeutung als Friedensmanifest auch ein einzigartiges und überaus wichtiges Zeitzeugnis und zu Recht ein Weltdokumentenerbe.
rART/RMW
► Zum Zeitpunkt des Kuratierens war Edward Steichen 76 Jahre alt und verstand die Sammlung als Krönung seiner Vita. Ein Blick auf seine Karriere verdeutlicht, dass der alleinige Fokus auf seine Family-Superschau seinen Leistungen und seinem Können nicht gerecht wird. Die reduzierte Sicht verdeckt die Bedeutung und das breite fotografische Œuvre des Amerikaners, der als eine der Schlüsselfiguren der Fotografie des 20. Jahrhunderts gilt.
► Unter der Bezeichnung Steichen Collections vereint das Großherzogtum Luxemburg drei Sammlungen, die Steichens mehrgleisige Tätigkeiten zeigen. Im Musée National d´Histoire et d´Art (MNHA) wird er als Fotograf gewürdigt. Das Centre national de l´audiovisuel (CNA) in Clervaux zeigt die Sammlungen The Family of Man. Im Wasserturm von Düdelingen ist die Dokumentation The Bitter Years ausgestellt.
► Mehr zur Vita von Edward Steichen (hier)
The Family of Man
Château de Clervaux
B.P. 31
L-9701 Clervaux
Luxembourg
Tel +352 92 96 57
Öffnungszeiten
MI – SO 12 - 18 Uhr
Führungen außerhalb der Öffnungszeiten auf Anfrage.
Literaturhinweis:
The Family of Man, Revisited, Photography in a Global Age. Edited by Gerd Hurm, Anke Reitz, Shamoon Zamir. 320 Seiten, englisch, Verlag I.B. Tauris 2017. ISBN 978-1784539672