Archiv 2019
INDIANERBILDER
Denkmal für die "edlen Wilden"
„Kennen Sie Edward S. Curtis? Nein? Vermutlich kennen Sie seine Bilder! Curtis' Werk ist der Inbegriff des stereotypen Indianerbildes.“
Edward S. Curtis «Kutenai Duck Hunter» Fotogravur, 1910 McCormick Library of Special Collections, Northwestern University Libraries, Fotoquelle NONAM 2019 |
So verweist das Nordamerika Native Museum (NONAM) in Zürich auf seine Sonderausstellung mit über 100 Jahre alten, sepiafarbenen Foto-Dokumenten des US-Lichtbildners Edward S. Curtis.
Der Fotograf Edward Sheriff Curtis (1868–1952) befasste sich sein Leben lang mit indianischer Kultur. Zwischen 1907 und 1930 veröffentlichte er in einer Art Foto-Dokumentation unter dem Titel „The North American Indian“ eine gewaltige, zwanzig Bände umfassende Text- und Bildersammlung, in der er über 80 Indianerstämme quasi enzyklopädisch erfasste. Sie waren die Opfer des großen Vormarsches der Siedler nach dem „Wilden Westen“. Sie wurden von den neuen Herren gnadenlos aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, in verarmte Reservate gesteckt und - sofern sie die Ausrottungsversuche überlebten - zur Assimilation gezwungen.
Edward S. Curtis «Weasel Tail – Piegan» Fotogravur, 1900 Charles Deering McCormick Library of Special Collections, Northwestern University, Fotoquelle NONAM 2019
Edward S. Curtis «Mosa – Mohave» Fotogravur, 1903 McCormick Library of Special Collections, Northwestern University Libraries, Fotoquelle NONAM 2019
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Curtis' Fotos der amerikanischen Ureinwohner gelten heute als Inbegriff des stereotypen Indianerbildes. Sie haben die allgemeine Vorstellung über die indianische Bevölkerung in Nordamerika ebenso geprägt wie die aquarellierten Indianer- und Landschaftsbilder des Schweizer Malers, Grafikers und Lithografen Karl Bodmer oder die Abenteuerromane von Karl May.
So berühmt Curtis´ Fotografien sein mögen, so wenig bekannt ist allerdings die komplexe Geschichte, die seinem Hauptwerk „The North American Indian“ zugrunde liegt.
Ausgehend vom Diktum der „aussterbenden Rasse“ (Vanishing Race) verfolgte Curtis das Ziel, das Andenken der amerikanischen Ureinwohner zwischen Texas und Alaska für die Nachwelt zu bewahren.
Er fand zahlreiche prominente Förderer. US-Präsident Theodore Roosevelt etwa wertete das Vorhaben als Angelegenheit von nationalem Interesse und verfasste das Vorwort zum ersten Band. Den Bankier und Kunstliebhaber John Pierpont Morgan beeindruckte und überzeugte das Porträt des von Curtis fotografierten Mohave-Mädchens Mósa. Morgan finanzierte einen Teil der Forschungen und fotografischen Arbeiten.
Die Publikation wurde bei ihrem Erscheinen 1907 als Werk der Superlative gefeiert. Sie zählt zu den aufwändigsten, umfassendsten und kostspieligsten fotografischen Projekten.
Der auflagenstarke New York Herold lobte die Fotoserie überschwänglich als „gigantischtes Unternehmen“ seit der King-James-Ausgabe der Bibel 400 Jahre zuvor, jenes Buches also, das wie kaum ein anderes die englischsprachige Welt prägte.
Eines der zentralen Fotos der Sammlung, The Vanishing Race, erschien 2016 in der Time Magazine Liste der 100 einflussreichsten Bilder aller Zeiten. Es zeigt eine Navajo-Gruppe zu Pferde, die „in die Dunkelheit einer unbekannten Zukunft“ reitet.
Edward S. Curtis «The Vanishing Race», Fotogravur, 1904 McCormick Library of Special Collections, Northwestern University Libraries, Fotoquelle NONAM 2019 |
Viele Fotos von Curtis sind weithin bekannt. Sie zeigen Indianer in ihrem Habitus, wie man sie sich vorstellt: mit Federhaube, hoch zu Ross, in spirituellen Posen, in der Prärie oder vor dem Hintergrund dramatischer Monument-Valley-Kulissen. Diese romantisierten Darstellungen wurden und werden von vielen geliebt, andererseits mit dem Hinweis auf Manipulationen und Inszenierungen aber oft auch vehement abgelehnt. Denn die Aufnahmen liefern in der Tat ein verzerrtes Bild der amerikanischen Ureinwohner, die in Curtis´ Werk klischeehaft als "edle Wilde" dem Untergang geweiht werden.
Edward S. Curtis «Watching the dancers» Fotogravur, 1906 Charles Deering McCormick Library of Special Collections, Northwestern University Libraries, Fotoquelle NONAM 2019 |
Die Ausstellung beleuchtet die Bandbreite und Widersprüche von Curtis' voluminöser Arbeit. Wie entstanden diese Bilder und Texte und in welchem Verhältnis stehen sie zur Fotografie, Ethnologie und Politik dieser Zeit?
Die Geschichte von „The North American Indian“ ist nicht nur eine von Superlativen und Stereotypen. Es ist auch eine Geschichte von interkulturellen Begegnungen zwischen der indigenen Bevölkerung und der kolonisierenden Siedlergesellschaft, welche die Bilder hauptsächlich konsumierte.
Aber ohne Zweifel prägen diese Fotografien bis heute das Indianerbild ganzer Generationen. Das Sammelwerk und sein Schöpfer sind zum Mythos geworden – und eben zum Synonym für klischeehafte Indianerbilder.
Curtis´ monumentales Œuvre und seine Geschichte sind jedoch wenig bekannt, wie es in Zürich heißt. Die Ausstellung will beides dem Publikum näherbringen.
Gezeigt werden in der Schau insgesamt 80 großformatige Fotogravuren, sowie zwei Bände des Sets No. 8, welches sich ursprünglich im Besitz von J. P. Morgan befand. Die Fotogravuren werden in vier Etappen zu je 20 Bildern präsentiert.
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► Bei den Originalen handelt es sich um Leihgaben der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen, wo J. P. Morgan 1856 an der Georgia-Augusta-Universität studierte. Neben dem Vatikan und der Guild Hall in London ließ der berühmte Bankier auch seiner Alma Mater in Deutschland eine Gesamtausgabe von The North American Indian zukommen.
Die Sonderausstellung „CURTIS. The North American Indian. Ein Fotograf und sein Mythos“ wird bis zum 1. März 2020 gezeigt.
Nordamerika Native Museum (NONAM)
Seefeldstr. 317
8008 Zürich / Schweiz
Tel +41 44 413 4990
Öffnungszeiten
DI – FR 13 – 17 Uhr
SA, SO 10 – 17 Uhr
Daten der Bildwechsel:
Quartal 1: 10. Mai bis 21. Juli 2019
Quartal 2: 23. Juli bis 29. September 2019
Quartal 3: 1. Oktober bis 15. Dezember 2019
Quartal 4: 17. Dezember bis 1. März 2020