Archiv 2022
ARCHÄOLOGIE
Carl Humann: Retter oder Räuber?
Waren die deutschen Antiken-Forscher des 19. Jahrhunderts mehr als furchtlose Abenteurer, unermüdliche und selbstlose Ausgräber, die größte Gefahren auf sich nahmen? Oder waren sie Protagonisten von patriotisch übertünchten Beutezügen in Diensten des Kaisers?
Christian Wilberg Ausgrabungsplatz des Pergamonaltars; Bleistiftzeichnung, weiß gehöht; Beschriftung: „Ansicht der Ara kurz vor der Vollendung der Ausgrabung dort. Pergamon 79 (Mai)." Der Maler Wilberg studierte 1870 an der Düsseldorfer Kunstakademie und begleitete 1879 eine Reise von Alexander Conze nach Pergamon. Bildquelle © Wikipedia gemeinfrei |
Einer von ihnen, der Essener Bauingenieur und Hobby-Archäologe Carl Humann, entdeckte vor rund 160 Jahren im osmanischen Pergamon, heute Westtürkei, einen monumentalen Altar. Das antike Kunstwerk ist das bekannteste Exponat im Berliner Pergamonmuseum.
Portrait Carl Humann, Fotograf unbekannt. Bildquelle © Carl-Humann-Stiftung, Essen
Heinrich Schliemann Gemälde von Sydney Hodges, um 1866, Bildquelle © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte
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Nicht nur dieses einzigartige Zeugnis hellenistischer Kultur - einst eines der antiken Weltwunder -, auch das Markttor von Millet, die Löwen von Babylon und die Nofretete-Büste können in deutschen Museen bewundert werden. Aber: War ihr Verbringen in das Deutsche Kaiserreich redlich? Da gehen die Meinungen auseinander. Zu dem Ausgräber Carl Humann später.
Zunächst zu Heinrich Schliemann, an dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr vielerorts erinnert wird, unter anderem mit einer Ausstellung in Berlin (s. unten). Der berühmte Schatzsucher, der ungleich bekannter ist als sein Landsmann von der Ruhr, wird in einem ZEIT-Artikel als „deutscher Held“ tituliert, der heute als Dieb dastehe.
Schliemann grub das antike Troja und vieles andere aus, aber „log, betrog und trickste“, um sensationelle Fundstücke nach Berlin zu schaffen. Eine schillernde wie faszinierende Persönlichkeit, die mit nationalen Kriterien nicht zu fassen ist.
Der gebürtiger Mecklenburger, ein gelernter Kaufmann, wurde russischer Staatsbürger und Millionär, später schwerreicher Amerikaner. Er begründete die moderne Archäologie und schenkte dem Deutschen Kaiser seine Antikensammlung, ehe ihn in Neapel das Zeitliche segnete.
Eines war der multilinguale Selfmade-Man und Kosmopolit nicht: ein staatlich protegierter skrupelloser Grabräuber, auch wenn er mit seinem rustikalen Vorgehen einiges in Troja unwiederbringlich zerstörte. Er finanzierte schließlich alles aus eigener Tasche.
Buchcover „Die Schatzjäger des Kaisers“, Bildquelle © Ch. Links Verlag 2021
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Das taten damals nur wenige. Hingegen gab es bis zum Beginn der 1920er Jahre eine völlig andere Szenerie. Es war der oft als „Das große Spiel" bezeichnete staatlich unterstützte Wettkampf europäischer Länder um die besten, prestigeträchtigsten Ausgrabungsplätze und Funde für ihre Museen.
Eine höchst informative und spannende Publikation gibt Auskunft über dieses politische und archäologische Schachspiel in Kleinasien. Dem Deutschen Reich ging es vor allem darum, mit anderen Großmächten kulturell mitzuhalten. In „Die Schatzjäger des Kaisers. Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient“ unterzieht das Autorenpaar Jürgen Gottschlich und Dilek Zaptcioglu-Gottschlich die dortigen Ausgrabungen und die oft illegalen Ausfuhren von Kunstwerken ins Deutsche Kaiserreich einer eingehenden Prüfung. Und dies unter Auswertung türkischer wie deutscher Archivunterlagen. Sie stellen fest: Antikenraub war deutsche Staatspolitik vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Dies ist insofern bemerkenswert, als sich die aktuelle Raubkunst-Debatte eher um Objekte aus afrikanischen und asiatischen Kolonien dreht, wie derzeit um das Südseeboot im Berliner Humboldt-Forum.
Grabungshütte auf dem Burgberg von Pergamon, 1879. Fotograf unbekannt. V.l.n.r: Der Architekt und Hochschullehrer Otto Raschdorff, Carl Humann, Museumsleiter Alexander Conze, der Architekt und spätere Direktor der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule Hermann Stiller und der Bauforscher Richard Bohn. An der Hüttenwand die Namen von zwei Kanonenbooten (MS Comet und MS Loreley). Bildquelle © bpk / Antikensammlung, SMB / unbekannt, Bild-Nr. 20032658 |
Im Mittelpunkt der Publikation stehen in erster Linie die Expeditionen deutscher Ausgräber wie Carl Humann, Theodor Wiegand, Robert Koldewey oder Baron von Oppenheim. Die Autoren fragen: Ist Deutschland eigentlich der rechtmäßige Besitzer der von diesen Männern ausgegrabenen, berühmten Kulturgüter? Und unter welchen Umständen kamen sie eigentlich ins Deutsche Kaiserreich, wer besorgte das Geschäft mit Bakschisch, Bankscheck und Diplomatendruck?
Eine der führenden Figuren war Carl Humann (1839–1896), dessen Fund des Pergamonaltars ihn zu einem Star seiner Zeit machte. Humann fiel als Schüler im Burggymnasium Essen durch zeichnerisches und mathematisches Talent auf. Sein Berufswunsch: Bauingenieur. Im Feldmessdienst der regionalen Eisenbahn kurzzeitig praktisch geschult, begann er 1860 in Berlin mit einem Studium an der Königlichen Bauakademie. Krankheitsbedingt erlangte er jedoch keinen akademischen Abschluss. Sein älterer Bruder Franz, erfolgreicher Ingenieur in osmanischen, also türkischen Diensten im Fürstentum Samos, holte den chronisch Lungenkranken zur Genesung an die Ägäis. Dort wurde er mit der Erforschung antiker Bauten auf der Insel und in der Küstenregion zwischen Gallipoli und Smyrna (heute Izmir) konfrontiert – und dies wurde zu seiner Lebensaufgabe.
Pergamonaltar im Berliner Pergamonmuseum: Teilrekonstruktion mit originalen Friesen. Er wurde unter König Eumenes II. in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.u.Z. auf dem Burgberg der kleinasiatischen Stadt Pergamon (heute Westtürkei) errichtet. Bildquelle © Pergamonmuseum Staatliche Museen zu Berlin
Carl Humann Grabungstagebuch 1880; Tagebuch der ersten Kampagne in Pergamon 1878-1880, umfasst den Zeitraum vom 10.09.1878 bis März 1880, als tagebuchähnlicher Bericht an Alexander Conze, den „Direktor der Abteilung für Skulpturen der Königl. Museen zu Berlin". Bildquelle © Pergamonmuseum Staatliche Museen zu Berlin
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Bei einer topografischen Erkundung gelangte Humann 1865 das erste Mal auf seinen „Schicksalsberg“, den Burgberg von Pergamon. Ein Schuttfeld und Trümmerhügel, wie er notierte, auf dem Kalkbrenner ihr Unwesen trieben.
Großen Einfluss auf sein wachsendes Interesse an den osmanischen Antiken hatten zwei Kontakte, die er 1870 in Berlin knüpfte. Zum einen erhielt er historische Kartierungen des Geografen Heinrich Kiepert, zum anderen lernte er Ernst Curtius kennen, seinerzeit für die Antiken der Berliner Museen zuständig.
Ab 1871 begann Humann, neben seiner Tätigkeit im Straßenbau, einen Plan des antiken Pergamon zu erstellen und erste Grabungen durchzuführen. Vor allem ließ er Fragmente von Kampfreliefs aus der byzantinischen Burgmauer brechen und verschickte sie illegal nach Berlin, da die Ausfuhr verboten war. Den historischen Wert der sensationellen Friesfunde erkannte erst später der neue Museumsdirektor Alexander Conze.
Humann erhielt über ihn von höchster Stelle den Auftrag, weitere Grabungen zu unternehmen, Friesplatten zu bergen und zu verschiffen. Im September 1878 gelang ein Durchbruch, er stieß auf einen gigantischen Fries und meldet nach Berlin: „Wir haben nicht nur ein Dutzend Reliefs, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und vergessen war, aufgefunden.“ Gleichzeitig fragte er an: „Wie kommt alles nach Berlin?“ Dies geschah mit drei Kanonenbooten der Königlichen Deutschen Marine.
Das Osmanische Reich unter Sultan Abdülhamid II, so die Autoren, war ein Imperium im Niedergang, völlig abhängig von europäischen Großmächten. „Insbesondere das Deutsche Kaiserreich unter Wilhelm II. nutzte seine Rolle als sogenannter Partner“ des Sultans und dessen Zwangslage.
Unter politischem Druck „bis hin zu Bestechung“ beugte sich die osmanische Regierung und veräußerte für 20.000 Mark alle Grabungsfunde aus Pergamon. Offiziell deklariert wurde der Betrag als „Unterstützung für die vielen muslimischen Flüchtlinge“, die nach dem Krieg gegen Russland vom Balkan vertrieben worden waren.
Die Verfasser stellen fest: „Ohne die Zwangslage des Osmanischen Reiches und die dominante Rolle“ des Deutschen Reichs ab 1878, wäre die Regierung in Konstantinopel „niemals bereits gewesen, den Abtransport des Kunstwerkes [Pergamonaltar] ins Ausland zu akzeptieren.“ Die spektakuläre Antike war, wie Tausende andere Stücke, zur politischen Währung verkommen und wurde als Beute ab 1901 in einem speziellen, namensgebenden Museum in Berlin zur Schau gestellt.
Die Verdienste von Humann und anderen großen Pionieren der Archäologie waren enorm, zumal sie unter Einsatz von Leib und Leben arbeiteten. Doch bis auf wenige Ausnahmen, wie die Autoren betonen, waren sie „immer auch Agenten ihrer Länder und Schatzjäger zum Ruhme ihrer Herrscher.“ Eine lesenswerte Recherche über die großen Attraktionen der Berliner Museuminsel und ein wichtiger Beitrag zur anhaltenden Restitutionsdebatte.
cpw
► Es gab Zeitgenossen, die die Plünderung und Zerstörung antiker Anlagen als skrupelloses „Wühlen in fremden Ländern“ und die Entführung von Fundstücken im Rahmen der Antikenbegeisterung beklagten. So etwa schon 1853 der Fotograf Felix Alexander Oppenheim (mehr) ein Mitglied des verzweigten Oppenheim-Bankiersclan.
► Ab Mai 2022 zeigt das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin die Ausstellung „Schliemanns Welten“. Die Schau widmet sich in zwei Teilen der Vita von Schliemann, im Teil zwei insbesondere seiner Rolle als Ausgräber. Ausstellung in Neues Museum, Bodestraße 1-3, 10178 Berlin. Tel 030 / 266 424242
Literaturhinweis:
Jürgen Gottschlich, Dilek Zaptcioglu-Gottschlich: „Die Schatzjäger des Kaisers. Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient“, 336 Seiten, 41 s/w Fotos, 50 Illustr., Ch. Links Verlag/ Aufbau Verlag Berlin, 1. Aufl. 2021. ISBN/EAN: 9783962891268, Preis 25 EUR
Zitate ferner aus: 200 Jahre Heinrich Schliemann, „Vom Entdecker zum Plünderer“. Moritz Aisslinger „Ein deutscher Held und Räuber“ in DIE ZEIT Nr.2, 5. Januar 2022 S. 13 ff
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