rheinische ART
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rheinische ART 10/2018

Atrchiv 2018

20 JAHRE LUDWIGGALERIE
Gestenreich

 

Der britische Premier Winston Churchill tat es, Jahrzehnte später der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann: Sie zeigten dem Volk das Victory-Zeichen. Die Fotografien dieser Gemütsäußerungen wurden zu Ikonen und machten Geschichte.

 

Gunter Sachs Ascot. Kirstin Kober, 1995. Foto © Estate Gunter Sachs

 

Churchills Handzeichen war eine politische Geste, ein vielgedrucktes Kultbild der Politikgeschichte und Symbol für Widerstand und Siegeswillen.

 

Churchill grüßt mit dem Victory-Zeichen, London, Downing Street, 5. Juni 1943. Foto © British Government HU 55521 from the collection of the Imperial War Museums

 

Roy Lichtenstein Finger Pointing, 1973 © Estate of Roy Lichtenstein / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Ackermanns V-Bekundung, mit gebleckten Zähnen nach einem Gerichtsurteil, zählt zu den unauslöschlichen Belegen der Kapitalismuskritik und ging als Manager-Entgleisung in die Annalen ein.

     Unvergessen sind auch die Fingerspiele von Fußballstar Stefan Effenberg oder der Sängerin Madonna, lange vor Ex-NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück, sowie anderer Prominenter. Sie alle bedienten sich der Geste des „Stinkefingers“.  

 

Mit Gesten, das weiß jeder, kann man sich in der Fremde durchaus gut verständigen. Daumen hoch, Daumen runter, geballte Faust, erhobener Finger oder Fingerkreis stehen für so allerhand: Lob, Tadel, Freude, Zuneigung. Man kann aber auch ins Fettnäpfchen treten und Obszönes signalisieren oder andere interkulturelle Missverständnisse erzeugen.
     Daher gilt grundsätzlich: Vorsicht! Denn die Konnotation der Zeichen ist weltweit längst nicht einheitlich. Wer in Indien den Kopf schüttelt erreicht das Gegenteil von dem, was er wollte. Und wer im Arabischen dem Gegenüber bei übergeschlagenen Beinen die Schuhsohlen zeigt, begeht einen Affront und bekommt unter Umständen direkt die Quittung – Gesprächsabbruch!

 

Tibet, Lama mit Vitarka Mudra © Sasa Fuis / VAN HAM Kunstauktionen

 

Eckart Hahn nothingness, 2015 © Eckart Hahn

 

Mit der Geste lässt sich auch eine Kunstausstellung gestalten. Anlässlich ihres 20. Geburtstags hat die Ludwiggalerie in Oberhausen „mit großen Dank und ebensolchem Jubel“ eine Schau zum Thema aufgelegt.

     Die Gesten zu solchen Emotionen, so lässt das Haus verlauten, fänden sich auch bei Kunstwerken wieder. Daher titelt die Schau schlicht „Die Geste“ und zeigt Kunst zwischen Jubel, Dank und Nachdenklichkeit mit Meisterwerken aus der Sammlung Peter und Irene Ludwig (mehr). Hinzu kommen zahlreiche internationale Leihgaben.


Der Bogen ist überaus weit gespannt. Er reicht von der Antike über Albrecht Dürer, den Informel-Maler Karl Otto Götz (mehr), den Kölner Peter Gilles (mehr) und den DDR-Panoramamaler und Leipziger Schule-Vertreter Werner Tübke bis Roy Lichtenstein. Auch vertreten: Ex-Unternehmer, Fotograf und Dokumentarfilmer Gunter Sachs. Alles zusammen ist geeignet, der nonverbalen Kommunikation in der Kunst, der „stummen Dichtung“, wie Leonardo da Vinci die Kunst benannte, nachzuspüren.
     Dabei treten, wie es in der Ludwiggalerie heißt, ganz im Sinne des Sammlerehepaares, Werke aus unterschiedlichen Zeiten und Weltregionen in einen Dialog, von der präkolumbianischen Kunst etwa bis zum europäischen Mittelalter. Die Frage, was die Dinge im Inneren vereint oder auch trennt, sei für die Ludwigs immer eine zentrale gewesen, betonen die Kuratoren: „Die Begegnung der Werke unter einer gemeinsamen Fragestellung führt dieses Interesse weiter.“

 

W. Mattheuer Jahrhundertschritt, 1984/85 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 / Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen, Foto: Anne Gold, Aachen

 

Franz Anton Bustelli Der stürmische Liebhaber, 1756, Sammlung Ludwig © Museen der Stadt Bamberg

 

Thomas Baumgärtel 5 : 3, 2006 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Als eines der Schlüsselwerke in der Geburtstagsschau gilt Wolfgang Mattheuers Bronzeplastik Jahrhundertschritt. Mattheuer, ein weiterer Vertreter der Leipziger Schule, schuf die Bronze 1984, also noch zu Vorwendezeiten. Sie ist eine Parabel auf die Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts; die Gesten, darunter Hitlergruß und Arbeiterfaust, werden hier zum Bedeutungsträger im politischen und gesellschaftlichen Kontext.


Bustellis stürmischer Liebhaber von 1756 dagegen verkörpert ganz die Wucht der emotionalen Auswirkungen, die das andere Geschlecht auslösen kann.

     Fingerzeig und Segensgestus, Victory-Zeichen wie auch der Stinkefinger zeugen von vielgebrauchten Handstellungen.

     Die gestische Malerei findet sich formvollendet in den Schwüngen eines Karl Otto Götz. Aber auch das nachdenkliche „den Kopf-in-die-Hand-stützen“ kennt die ganze Welt. So vereint diese Ausstellung erstaunliche Gesten, bei denen auch die Merkel-Raute nicht fehlt.

     Die Kanzlerin ist ferner in einem an den Richter-Stil erinnerndes Acryl-Bild von Bananensprayer Thomas Baumgärtel zu sehen, Titel 5 : 3. Vorlage ist ein Pressefoto von der Fußball-WM 2006, das die überschwänglich jubelnde Politikerin zeigt. In diesem Fall offenbar keine politische, vielmehr eher eine für sich selbst sprechende Geste.
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Die Ausstellung ist thematisch gruppiert und bietet zum Beispiel Arbeiten unter den Überschriften „Politische Gesten“, „Expressive Gesten“ oder „Sprechende Gesten“. Die Exponate stammen von 88 Künstlern.

 

Die Ausstellung "DIE GESTE Kunst zwischen Jubel, Dank und Nachdenklichkeit / Meisterwerke aus der Sammlung Peter und Irene Ludwig von der Antike über Albrecht Dürer bis Roy Lichtenstein" wird bis zum 13. Januar 2019 gezeigt.
Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
Konrad-Adenauer-Allee 46
46049 Oberhausen
Tel. 0208 / 4124928
Öffnungszeiten
DI – SO 11–18 Uhr

 

 

 

 

 

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