ARCHIV 2012
Unter dem Kölner Rathausplatz: Die „Archäologische Zone“
Direkt unter dem Pflaster
Kopf eines Engels von der Kopie des Tympanons von 1881 © Stadt Köln |
Es ist das spannendste archäologische Projekt Kölns: die „Archäologische Zone“, ein Großprojekt, an dem seit 2007 aktiv gegraben wird. Die durchgängige Besiedlung Kölns führte zu einer Überlagerung verschiedener Bauschichten aus unterschiedlichsten Epochen, die den Rathausplatz in Köln zu einer einzigartigen Ausgrabungsstätte machen. Was die Archäologen vermuteten, hat sich im Laufe der Grabungsarbeiten bestätigt. Hier existiert ein historisches Schwergewicht, dessen Bedeutung über die Stadtgrenze Kölns weit hinaus in die Region und das Land reicht. Die archäologischen Reste beginnen praktisch direkt unter dem Pflaster.
HATTE man ursprünglich die römischen Artefakte und damit die Zeit vor 2000 Jahren im Blick, so sieht man das heute anders. Es gleicht einer Zeitreise durch die Historie, die den Wissenschaftlern bei ihrer immer tiefer führenden Arbeit durch die Sand- und Steinschichten präsentiert wird. Wiederholt stellt sich aufgrund der einmaligen Funde die komplexe Frage: Wo hört man an welcher Stelle auf, tiefer zu graben? In der Neuzeit? Im Mittelalter? - wohl wissend, dass alles, was sich darunter verbirgt, dann vermutlich nie ans Tageslicht gelangt. Für die Wissenschaft, die natürlich immer weiter erkenntnisreich forschen will, ein nicht einfacher Umstand.
Blick auf den Museumsneubau "Archäologische Zone / Jüdisches Museum"am Rathausplatz mit dem Historischen Rathaus. Hinter dem Neubau liegt direkt das Wallraf-Richartz- Museum © Wandel Höfer Lorch & Hirsch |
Die Entscheidung ist durchaus von historischer wie politischer Bedeutung, denn die Einmaligkeit dieses Großprojektes ist auch darin zu sehen, dass hier gleichsam für die Öffentlichkeit eine Ausstellungsstätte mit Blick in das geschichtsträchtige Köln entstehen soll. Dieses lange diskutierte Projekt eines eigenen Museumsbaus ist mittlerweile positiv entschieden. Als „Archäologische Zone / Jüdisches Museum“, zwischen dem Wallraf- Richartz- Museum und dem Historischen Rathaus gelegen, wird hier eine neue historische Visitenkarte der Stadt Köln entstehen. Die Grabungsstelle ist bereits unter dem Stichwort „Schaustelle“ seit 2008 ein Publikumsmagnet und lockte über eine halbe Million interessierte Besucher an.
Ohrring aus Gold © Stadt Köln / Archäologische Zone
Delfter Kachel © Stadt Köln / Archäologische Zone
Eine 3D-Rekonstruktion zeigt eines der seltenen baulichen Zeugnisse aus der Anfangszeit des Judentums in Europa. |
Mittlerweile wurden über 250.000 Artefakte geborgen. Es sind Funde aus 2000 Jahren Stadtgeschichte: Römische Zeit, Mittelalter, Neuzeit. Teilweise spektakulär sind die Funde aus Kölns großer Zeit als Goldschmiedezentrum im Mittelalter. Ein ganzes Viertel, nicht nur die heutige Straße, hieß „Unter Goldschmieden“ (Inter aurifabros oder Inter aurifices). Das Gewerbe war hochdifferenziert, es gab Goldschmiede, Goldschläger (Blattgoldherstellung), Goldspinnerinnen und Goldstickerinnen, deren Ruf weithin reichte und deren kostbare Produkte noch heute in Museen und Kirchen in ganz Europa bewundert werden. Die Präsentation „Goldschmiede: neue Funde aus Kölner Werkstätten“ ist im öffentlichen Praetorium zu sehen.
Das jüdische Köln
Besonders das jüdische Köln zeigt sich mit Überresten von Synagoge, Mikwe und anderen Baudenkmälern des jüdischen Viertels. Sie machen den Kölner Rathausplatz europaweit zu einem einzigartigen Fundort jüdischer Geschichte, denn die Stadt beherbergt das größte erhaltene jüdische Bauensemble mit antiker Substanz in Mitteleuropa. Nirgendwo sonst findet man Relikte eines jüdischen Viertels über einem römischen Statthalterpalast (Praetorium).
In Köln stand die älteste bisher bekannte Synagoge nördlich der Alpen. „Bei der jetzigen Ausgrabung wird sorgfältig darauf geachtet, sämtliche Bauteile der Synagoge zu bergen. Putzstücke, Steine, Estrichreste, Werksteine, Säulen und Kapitelle [...] Zur Anschauung oder als Grundlage für die Rekonstruktion dient ein dreidimensionales Modell des Befundes; für Wissenschaftler ein wichtiges Mittel zwischen Theorie und Praxis. Für Laien, die in wissenschaftlich sensationellen Befunden oftmals nur alte Steine sehen, wird Geschichte so unmittelbar begreifbar“, sagt der Leiter der Archäologischen Zone Sven Schütte.
Schütte, der Archäologe, hat mit Marianne Gechter, der Historikerin, nunmehr die zweite Auflage der wissenschaftlichen Publikation „Von der Ausgrabung zum Museum. Kölner Archäologie zwischen Rathaus und Praetorium. Ergebnisse und Materialien 2006-2012“ herausgegeben. Der Grabungsbericht portraitiert den spannenden Prozess einer Ausgrabungsstätte im Wandel zum Ausstellungsareal. Es ist eine Zwischenbilanz auf dem langen Weg von der ersten Idee zur endgültigen Realisierung.
Zur Geschichte
Auch wenn gerne behauptet wird, dass der Kölner sich überschätzt – seine Geschichte, die mit den Römern erst ihren Anfang nahm, gibt ihm einfach recht. Köln war im hohen Mittelalter die volkreichste und bedeutendste Stadt im deutschen Sprachraum und davor sogar nördlich der Alpen, ehe Städte wie Paris und London ihren Aufstieg nahmen. Die Colonia Sancta war kirchenreich und bedeutsam. In den Mauern der Stadt sammelte sich ein ungeheures wirtschaftliches Potential. Schon die ehemalige römische Provinzhauptstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium war von militärischer Bedeutung für das Imperium. Nach dem Ende der römischen Herrschaft residierten hier die fränkischen und merowingischen Könige und schließlich die fränkischen Hausmeier und Könige bis zu Karl dem Großen. Danach ist es die Stadt der Erzbischöfe, die nah an der weltlichen Macht standen: Erzbischof Bruno (10. Jahrhundert) war der Bruder Kaiser Ottos des Großen, Erzbischof Rainald von Dassel war im 12. Jahrhundert nicht nur Kanzler von Italien, sondern lebte unmittelbar in der Umgebung des Kaisers Friedrich Barbarossa. Seit dem 13. Jahrhundert gewann das Patriziat und das Bürgertum die Oberhand gegen den Erzbischof – die Stadt Köln regierte sich selbst.
Blick in das Praetorium, ehemaliger römischer Statthalterpalast © Stadt Köln |
Das alles spielte sich zwischen Dom und Rathaus ab. Der römische Palast wurde noch durch die fränkischen Könige genutzt und nach einem Erdbeben um 780/90 nicht wieder aufgebaut. Auf diesem Gelände bildete sich danach eines der bedeutendsten jüdischen Stadtquartiere Europas heraus.
Blick in den Vorraum der Mikwe © Stadt Köln / Archäologische Zone |
Im Jahre 1096 wurde dieses Viertel durch den Mob der Kreuzfahrer erstmals zerstört und mit der Pest kam es 1349 zur großen Katastrophe, der Vertreibung der Juden. 1424 wurde die Synagoge umgebaut und zwei Jahre später zur Ratskapelle St. Maria in Jerusalem geweiht. Ein halbes Jahrtausend mittelalterlicher und neuzeitlicher Geschichte gingen über den Ort hinweg bis zu den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, der auch die Ratskapelle zum Opfer fiel.
Bereits 1957 arbeitete der Ausgräber Otto Doppelfeld auf dem Rathausplatz und bestätigte die Vermutung, dass unter der Ratskapelle die Synagoge gestanden hatte. Gleich mehrere Bauphasen der Synagoge wurden entdeckt und Doppelfeld konnte 1959 eine umfängliche Veröffentlichung vorlegen. Auch wenn die Grabung damals wieder mit Erde bedeckt wurde, die Idee einer unterirdischen archäologischen Landschaft wurde weiter verfolgt. Das Projekt "Archäologische Zone" entstand.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
► Die Gesamtprojektkosten Archäologische Zone werden mit 51,3 Mio Euro (37 Mio tragen die Stadt Köln und 14,3 Mio das Land Nordrhein-Westfalen) angegeben. Die Museumseröffnung ist voraussichtlich Ende 2015.