Archiv 2011:aus "Über die Grenze geschaut"
Neues Schaufenster für Cocteau-Werke in Südfrankreich
Der Surrealist und sein Sammler
Jetzt ist sie endlich zu sehen, die renommierte Collection Séverin Wunderman, mit Arbeiten des französischen Multitalentes Jean Cocteau (1889-1963). Und das in einem neuen, spektakulären Museumsgebäude in der schönen „Gartenstadt“ Menton. Der Sammlungsschwerpunkt liegt auf den malerischen, vorwiegend grafischen Werken Cocteaus. Das Museum verfügt nach eigenen Angaben über die weltweit größte Sammlung von Werken des Dichters und surrealistischen Malers.
Eine architektonische Besonderheit: Blick nach oben von Innen nach Außen mit verschattetem Dach
Eines sei vorweg genommen: Die Ausstellung ist ein Genuss, der Neubau architektonisch einzigartig und absolut sehenswert.
Oben: Museumsvorplatz mit dem Boden-Mosaik und Blick auf die Markthalle Mitte: Asymmetrische Tragpfeiler folgen der Formensprache des Künstlers Cocteau Unten: Kolonadenartiger Umgang an der Süd-West-Fassade des Gebäudes |
Die Architektur
Kaum ein Besucher dürfte sich der Ausstrahlung der Außenarchitektur entziehen können. Sie spiegelt den Stil des Universalkünstlers wider, der als Schriftsteller ebenso tätig war wie als Regisseur und Maler - spielerisch, fließend, exzentrisch. Nur einen Steinwurf vom Wasser entfernt, duckt sich ein heller Block, sowohl schlicht als auch futuristisch, zwischen Meer und Altstadt. Der erste Eindruck ist bestechend und verwirrend zugleich. 42 wellenförmige Tragpfeiler, aus kalkmuschelfarbenem, polierten Beton, erzeugen die Anmutung eines antiken Säulentempels. Dunkel, fast schwarz getöntes Sicherheitsglas, dem Sonnenschutz geschuldet, lässt von innen eher transparent wirkend großartige Blicke auf das Meer zu und setzt einen starken Kontrast zu den vorgelagerten Pfeilern.
Ein kolonadenartiger Umlauf über braune Holzplanken ermöglicht dem staunend-tastenden Besucher einen geschützten Gang um dieses eigenwillige Gebäude. Dem einen oder anderen mag es auch als undefinierbarer „Tausendfüßler“ erscheinen, mediterran, maritim, spinnen- oder krabbenartig. Was sich dem Architekturfreund nicht sogleich erschießen kann: Das Flachdach des Hauses erinnert mit seiner ungewöhnlichen Formensprache an ein loderndes Flammenmeer; der Vorplatz zeigt ein großes Mosaik-Bodenbild aus Kieselsteinen, einen Gecko im künstlerischen Stil des Namensgebers Jean Cocteau. Zu sehen aber nur aus der Vogelperspektive! Mit den Kieselsteinen wird eine Mosaiktechnik aufgegriffen, wie sie im ersten örtlichen Cocteau-Museum, der alten Bastion nur wenige Meter weiter, vom Künstler selbst in den 60er Jahren angewendet wurde.
Der Mäzen
Den entscheidenden Schritt zu diesem kleinen aber großartigen Museum vollzogen der amerikanische Kunstsammler und Mäzen Séverin Wunderman (mehr) und die Kommune Menton. Mit 19 Jahren erstand Wunderman sein erstes Werk, die Originalzeichnung einer Szene von „Les Enfants Terribles“. Sie wurde die Basis der Sammlung, die er sein ganzes Leben lang erweiterte. Der Stadt Menton schenkte er 2005 seine Kunst-Kollektion mit der Auflage, dass diese ein Museum baue und zusammen mit dem bestehenden Erbe des französischen Künstlers vor Ort die Werke zeige.
Im jährlichen Wechsel werden lediglich ein Fünftel der Cocteau-Werke gezeigt. Nach Museumsangaben handelt es sich bei den Beständen zum großen Teil um lichtempfindliche Zeichnungen und Druckgrafiken, die aus konservatorischen Gründen zum Schutz in die Archivkammer zurück müssen
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Die Sammlung Wunderman umfasst 1.800 Werke, davon stammen 990 von Jean Cocteau und der Rest von künstlerischen Freunden wie u.a. Picasso, Modigliani, De Chirico oder Miró. Cocteau hat nie den Ruhm erfahren, den sein Gefährte und Künstlerfreund Picasso erlangte, aber er ist stilistisch so unverwechsel- und erkennbar wie dieser. Dass beide eine intensive Freundschaft verband, ist auf vielen Fotos dokumentiert. Sie sind in Menton zu sehen - und derzeit auch in Köln im Museum Ludwig. Die Ausstellung „Ichundichundich - Picasso im Portrait“ (mehr) zeigt neben Picasso eben auch mehrfach Jean Cocteau. Das neue Museum zeigt Werke aus der Zeit von 1910 bis etwa 1950. Überwiegend sind es Zeichnungen, daneben werden Fotos, Plakate, Briefe, Manuskripte, Filmausschnitte und Theaterarbeiten, Kunstbücher und ähnliches präsentiert. Die Exponate sind in sieben Sequenzen aufgeteilt. Sie ermöglichen ein chronologisches und thematisches Bild von Cocteaus Leben und seinen künstlerischen Etappen.
Die Ideen
Die Entwürfe für das neue Kulturhaus lieferte der Architekt Rudy Ricciotti. 2009 erfolgte die Grundsteinlegung. Ricciotti setzte sich, dem kreativen Anspruch folgend, intensiv mit der künstlerischen Lebensleistung Cocteaus auseinander und entwarf ein Gebäude, das als „dem Geist der Gegend und der Kunst folgend“ charakterisiert wird. In der Tat ist dem Architekten ein ungewöhnlicher Baukörper gelungen, der durch seine organische Formensprache und seinen prominenten Platz – gegenüber der historischen Markthalle und in Sichtweite des ersten Jean-Cocteau Museums in der Bastion – eine augenfällige Modernität signalisiert und der sich gleichzeitig unaufdringlich in die historische Umgebung und altstädtische Schönheit einbringt, diese angenehm aufwertet, aber nicht dominiert. Das Innere des Museums erscheint insgesamt jedoch kleiner als erwartet. Ein großer Ausstellungsraum ebenerdig und ein weiterer im Souterrain werden nur durch Schiebewände geteilt.
Klaus M. Martinetz
► Der französische Star-Architekt Rudy Ricciotti (*1952) ist für moderne und kreative Entwürfe bekannt. Der in Bandol ansässige Ingenieur hat mehrere Fassaden und Bauobjekte mit markanten schrägen oder unregelmäßig gegossenen Tragsäulen entworfen, wie etwa in Aix-en-Provence und Marseille. In Deutschland ist er durch die moderne Gestaltung des Nikolaisaals der Philharmonie Potsdam (1996) in einem barocken Umfeld bekannt geworden.
Musée Jean Cocteau
Collection Séverin Wunderman
2, quai de Monléon
F-06500 Menton
Tel. 033 (0) 4 89 81 5250
Öffnungszeiten:
MO, MI-SO 10.00 bis 18.00 Uhr
DI geschlossen
FR 10.00 bis 22.00 im Juli und August
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