rheinische ART
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rheinische ART 03/2015

Archiv 2015

REMBRANDT IN AMSTERDAM

Emotional, intim, innovativ

 

Es ging dem Mann nicht gut. Er war gerade Mitte Vierzig, seine Frau Saskia war verstorben, das Erbe verbraucht, Haus und Besitz versteigert. Schicksalsschläge für einen Menschen, die leicht Verzweiflung und Entwurzelung nach sich ziehen. Vielleicht waren es die familiäre Tragik, die Misserfolge und der Bankrott, die den Maler-Unternehmer Rembrandt frei und unkonventionell leben und arbeiten ließen. Seine späte Schaffenszeit war ungeheuer kreativ und die späten Werke gelten als seine schönsten und intimsten.

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn Die Vorsteher der Tuchmachergilde (‘De Staalmeester’), 1662, Foto © Rijksmuseum Amsterdam

 

Die offensichtlich honorige Männergesellschaft wendet sich ihrem Betrachter irritiert, fast überrascht zu, als fühlte sie sich ein wenig in ihrer Arbeit gestört. Es sind die Vorsteher der Amsterdamer Tuchmachergilde, Qualitätsmanager könnte man heute sagen, die gefärbte Tuche mit Musterbüchern abgleichen.

     Das harmonische, natürlich und lebendig wirkende Gruppenportrait des kaufmännischen Gildequintetts - der sechste „unbehutete“ Herr ist der Hausverwalter - malte Rembrandt 1662. Es ist eines der Spitzenwerke aus des Meisters später Phase, die derzeit im Amsterdamer Rijksmuseum präsentiert werden. De Staalmeester, so der Originaltitel, gehört zu den Bildern, die Rembrandts geniale Technik der Hell-Dunkel-Malerei deutlich werden lässt.

     Das Rijksmuseum Amsterdam präsentiert unter dem Titel „Der späte Rembrandt“ (Late Rembrandt) eine umfangreiche Übersicht über das Spätwerk des Barock-Künstlers Rembrandt Harmenzoon van Rijn (1609-1669). Spätwerk meint, großzügig bemessen, ab dem Jahre 1652. 90 Gemälde, Zeichnungen und Radierungen aus jener Phase zeigen ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Die großartige Schau ist eine leicht erweiterte Version der vorher in der National Gallery of London gezeigten Ausstellung, die eine Viertelmillion Besucher zählte.

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn Die Judenbraut (Isaac and Rebecca, Known as ‘The Jewish Bride’) c. 1665 - c. 1669, Foto © Rijksmuseum Amsterdam

 

Rijksmuseum-Direktor Wim Pijbes: „Diese Ausstellung über sein Leben wird einer neuen Generation die Meisterschaft von Rembrandt nahebringen, der größten Persönlichkeit in der niederländischen Kunst des Goldenen Zeitalters und möglicherweise dem berühmtesten aller Holländer.“ Mit Superlativen ist man im Rijksmuseum nicht sparsam. „Der späte Rembrandt“ sei ein Erlebnis, betont der Museumschef: „Das ist die spannendste und schönste Ausstellung, die man je gesehen hat.“

     In der Tat: Wann hat man schon einmal so zahlreich Rembrandt´sche Werke derart konzentriert zusammen bewundern können? Sie hängen nicht nur nebeneinander, sondern auch nur wenige Meter entfernt von dem berühmtesten Gruppengemälde aus seiner Hand: Die Nachtwache, 1642 geschaffen, das Glanz- und Renommierstück des Rijksmuseum (mehr).

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn

Badende Frau (A Woman bathing in a Stream [Hendrickje Stoffels?]), 1654. Oil on oak 61.8 x 47 cm. Holwell Carr Bequest, 1831 © The National Gallery, London Foto © Rijksmuseum Amsterdam

 

Emotional Rembrandts späte Werke strahlen eine große emotionale Tiefe und Zärtlichkeit aus. Dies gilt etwa für das Ölbild Die Judenbraut, von dem einst Vincent van Gogh (mehr) schwärmte: „Ich würde zehn Jahre meines Lebens geben, um 14 Tage lang `Die Judenbraut´ zu sehen.“ Ähnlich tiefgründig Rembrandts Badende Frau. Das Bild zeigt vermutlich Rembrandts Haushälterin und spätere Lebensgefährtin Hendrickje Stoffels (1626-1663), mit der er nach dem Tode seiner ersten Frau Saskia zusammenlebte. Die Frau steht gedankenversunken bis zu den Waden im Wasser, hebt ihr Gewand und entblößt Brust, Beine und sogar die Scham. Doch dies, so Kurator Gregor Weber, sei vom Meister nur angedeutet, er mache den Betrachter bewusst zum Voyeur: „Rembrandt fordert uns heraus, das Bild durch unsere Augen und Gedanken zu vervollständigen“.
     Zahlreiche Gemälde Rembrandts lassen seine radikale Wende in den späten Jahren erkennen. Kurator Weber sieht den Meister von Licht und Schatten in seiner Spätphase „…freier, lockerer und emotionaler“ zu Werke gehen. Tatsächlich wirken die Farbaufträge wie mit dem groben Palettmesser auf die Leinwand geschmiert. Der Maler habe gearbeitet „wie ein Maurer mit der Kelle“. Verstärkt wird der rustikale Stil Rembrandts durch Kratztechniken: mit dem Pinselgriff ritzte er in die nasse Farbe, verwischte klare Konturen bei Kleidung und Körpern wie bei einer schnell hingeworfenen Skizze.

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn Junge schlafende Frau (Young woman sleeping [Hendrickje Stoffels?]), c. 1654. Foto © Rijksmuseum Amsterdam / The British Museum, London

 

Rembrandt Harmensz. van RijnSelbstbildnis mit zwei Kreisen (Self portrait with two circles), c. 1665-1669. Foto © Rijksmuseum Amsterdam /The Iveagh Bequest, Kenwood House, London

 

Das war revolutionär für die damalige barocke Zeit, stieß nicht überall auf Anerkennung und veranlasste Zeitgenossen, den großen gefeierten Meister und einst vielbeschäftigten Künstler als „Ketzer der Malerei“ zu verteufeln. Gleichwohl gab es auch jene, die in ihm den „Größten des Jahrhundert“ sahen.


Intim Die berühmte Zeichnung Junge schlafende Frau ist ein typisches Beispiel der Spätphase des Malers, denn sie beruht auf der höchst intensiven Beobachtung eines sehr persönlichen Augenblicks. 

     Eines seiner intimsten, ja fast schonungslosesten Werke malte Rembrandt ein Jahr vor seinem Tod 1668: sein Selbstbildnis mit zwei Kreisen. Das Konterfei zeigt einen Mann mit dünnen wilden Haaren, die unter einer Mütze hervorquellen, das zerfurchte Gesicht mit der pergamentartigen Haut lassen den eintretenden körperlichen Verfall erahnen. Ein Mann, der trotz wirtschaftlicher, politischer und künstlerischer Blütezeiten auf den Weg in den Abgrund geraten war.

     Seine zweite De-Facto-Ehefrau Hendrickje Stoffels, Stütze und Ansporn in seinen späten Lebensjahren, war fünf Jahre zuvor verstorben. Seinen 27-jährigen Sohn Titus aus erster Ehe raffte im Jahr des Selbstbildnisses die Pest dahin. „Er malt das Leben so, wie es ist“, erläutert Direktor Pijbes. Dennoch wirkt das Bildnis nicht freudlos. Der Maler erscheint wie ein weiser Alter, nicht wie ein am Leben gescheiterter greiser Verbitterter.


Rembrandt Harmensz. van Rijn Portrait des Jan Six (Portrait of Jan Six) c. 1654. Foto © Rijksmuseum Amsterdam /Collection Six, Amsterdam

 

Innovativ Experimentellem war der Barock-Künstler Rembrandt in hohem Maße aufgeschlossen, wie zahlreiche spektakuläre Beispiele aus seinem Œuvre beweisen, in denen er etwa mit überlappenden Farbschichten und Spachtel arbeitete. Seinen Freund Jan Six malte er nicht etwa in strahlender, großer Pose. Eher lässig, wie auf dem schnellen Weg zu einer Festivität, streift sich Six den Handschuh über die weiße Manschette, sein Cape hängt lässig um die Schultern. Die kostbare Kleidung hätte Rembrandt in jungen Jahren wohl eher detailgetreu und farbenreich gemalt, im reifen Alter wirkt sie beim Six-Bild fast oberflächlich und wie hingeworfen gemalt.

     Ein bewusstes Statement, glaubt Kurator Weber: „Seht her, ich muss nicht pingelig mit dem Pinsel jede Stofffalte ausmalen, ich kann es auch so.“ Der Betrachter glaubt auf den ersten Blick, unter dem Cape ein reich verziertes Spitzenhemd zu sehen. Rembrandt erzeugte diesen Eindruck jedoch lediglich mit einem groben Pinselstrich. Und der reichte aus, meint Kurator Weber. „Das war so einzigartig, dass es erst hunderte Jahre später von anderen wieder getan wird.“

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn Die drei Kreuze (The Three Crosses), 1653, Foto © Rijksmuseum Amsterdam /Collection Six, Amsterdam

 

Wie kein Zweiter Nicht nur in der Mal- auch in der Drucktechnik arbeitete Rembrandt in seinen späten Jahren experimentell. Einige seiner charakteristischsten und gewagtesten Werke in seiner Karriere entstanden in jenen Jahren. Seine Arbeit Die drei Kreuze, eine Radierung von 1653, wird als einer der innovativen Höhepunkt angesehen. Niemals zuvor gelang es in dieser Technik, die traditionelle Thematik „Kalvarienszene“ in einem derart dynamischen Kontrast zwischen Licht und Dunkel darzustellen, wie in dieser Arbeit.

     Mit zunehmendem Alter verstand es der Barockmaler, Figuren und Ereignisse in seinen Bildern so zu platzieren, dass ihnen ein dramatischer und dynamischer Effekt eigen war und unvergleichliche Wirkungen erzeugten. Sein weltweiter Ruf als Maler "wie kein Zweiter" wurde letztendlich durch die späten Meisterwerke wie Selbstportrait mit zwei Kreisen, Porträt von Jan Six oder Die Judenbraut geprägt. Für Pablo Picasso war er offensichtlich unübertrefflich. „Ich rede dauernd über Rembrandt“, bekannte das spanische Malergenie einst.


Rembrandt-Forschung Ist das eigenhändig von Rembrandt? Diese Frage ist bei Rembrandt-Kunstwerken nicht selten, eher die Regel. Denn die Zahl der ihm zugewiesenen und damit als echte Bilder „zertifizierten“ Werke ist im Laufe der letzten Jahrzehnte immer schwankend gewesen. Das Œuvre des Amsterdamer Malers reichte von 624 Werken im Jahre 1937 bis zu aktuell 324. Bekannt ist, dass für echt gehaltene Gemälde oft von seinen Schülern oder Angestellten in seiner Werkstatt hergestellt worden waren.

     In einer jetzt erschienenen Publikation schreibt ihm der derzeit führende Rembrandt-Experte Ernst van de Wetering vom Amsterdamer Rembrandt Research Project (RRP) siebzig Werke neu zu, die bislang angezweifelt oder abgewertet worden waren. Das ist eine überraschend stattliche Zahl. Es kann aber künftig auch wieder einmal andersherum gehen. Denn die wissenschaftlichen Urteile der Spezialisten sind uneins und als tonangebende Fachfrauen und -männer treten alle Jahre wieder andere Figuren ins Rampenlicht. Das Gesamtwerk des Meisters aus Amsterdam ist somit noch längst nicht wirklich bekannt.

 

Blick in die Ausstellung “Der späte Rembrandt” Foto © Rijksmuseum Amsterdam Erik Smits


Leben Rembrandt van Rijn (1606-1669), ein Müllersohn aus Leiden, ist der wohl berühmteste holländische Künstler aller Zeiten. Mit 18 Jahren zog er nach Amsterdam, wo er für Pieter Lastman, einen bekannten Maler, arbeitete. Nach nur sechs Monaten kehrte er Amsterdam den Rücken und eröffnete ein eigenes Atelier in seiner Geburtsstadt Leiden. Zu seinen Malerschülern gehörte Gerrit Dou, Ferdinand Bol und Govert Flinck, die selber alle berühmt wurden.

     1631 mit 25 Jahren entschloss sich Rembrandt erneut, in die prosperierende Stadt Amsterdam zu gehen, wo er erste große Aufträge erhielt, so zum Beispiel von Nicolaes Tulp, für den er sein bekanntes Werk ´Die Anatomie des Dr. Tulp` schuf. Der Künstler war in jungen Jahren bereits berühmt und ein gemachter Mann. 

     Es muss wohl der Lebensstil gewesen sein, der ihn an den Bettelstab brachte. 1638 hatte das Ehepaar Rembrandt die Erbschaft der Ehefrau verbraucht. Ein Jahr später zogen sie in eine teure Großimmobilie in Amsterdam, die Kredite dafür konnte der Maler aber nicht mehr bedienen. Seine Frau Saskia van Uylenburgh, die er 1634 geheiratet hatte, starb 1642, die hohen Schulden zwangen Rembrandt, Haus und Besitz zu verkaufen. Der Barockmaler überlebte auch seine spätere Lebensgefährtin Hendrickje Stoffels und seinen Sohn Titus aus erster Ehe. Rembrandt van Rijn starb 1669 völlig mittellos.

Klaus M. Martinetz

 

Die Ausstellung "Der späte Rembrandt" wird bis zum 17. Mai 2015 gezeigt.
Rijksmuseum
Museumstraat 1
1071 XX Amsterdam
Tel. +31 (0) 900 0745
Öffnungszeiten
Täglich von 9 – 17 Uhr

 

Literaturhinweis zur Rembrandt-Forschung:
A Corpus of Rembrandt Paintings VI.
Ernst van de Wetering: Rembrandts paintings Revisited – A Complete Survey
Springer Verlag, Dordrecht 2015, 736 Seiten, 1332 Abb., Euro 1.282,93

 

 

 

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