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rheinische ART 08/2018

Archiv 2018

RARITÄTEN IN MOYLAND

Kriegskunst aus der Schatulle

 

Was sich vom Attentat in Sarajevo 1914 bis zum Waffenstillstand von Compiègne 1918 als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts ereignete, ist in den letzten vier Jahren vielfach thematisiert worden. Im Museum Schloss Moyland zeigt eine Schau den Ersten Weltkrieg aus seltener Sicht.

 

Paul Adolf Seehaus „Die neuen Mächte“, 1915, Kreidelithografie, handkoloriert in Aquarell, auf chamoisfarbenem, rauhem Maschinenpapier, 34,6 x 40,9 cm (Blatt), 29,1 x 31 cm (Darstellung), Abbildung: © LETTER Stiftung, Köln. Der Künstler greift das Thema neue Kriegstechnologien auf: U-Boot-Geschütze nehmen ein Luftschiff unter Beschuss.

 

Die Wanderausstellung, die unter anderem in Berlin-Spandau und im Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt zu sehen war, titelt „Der Große Krieg im Kleinformat“. Moyland ist die fünfte Station dieser sehr speziellen Kollektion, die sich der Graphik- und Medaillenkunst zum Ersten Weltkrieg verschrieben hat.

     Damit richtet sie einen interessanten Blick auf völlig andere als die üblichen bekannten Dokumente jener Zeit, die der offiziellen Bildpropaganda unterlagen und auf Flugblättern, Postkarten oder bunten Bildbögen entstanden.

 

Melchior Grossek Kampf, 1923, Reproduktion nach Scherenschnitt, 24,1 x 32,1 cm (Trägerblatt), 19,6 x 29,1 cm (Blatt = Darstellung max.) Abbildung: © LETTER Stiftung, Köln. Es handelt sich um Blatt 6 der Mappe „Gestalten des Todes. Ein Totentanz des Weltkriegs“ 1923 (Erscheinungsjahr der Mappe)

 

Kurator Bernd Ernsting konfrontiert die Besucher mit einer Art „Schubladenkunst“. Es ist eine eher heimliche Kunst, die oft in Schubladen, Schatullen, Kommoden und Kartons verborgen wurde und in Form von Grafiken, Plaketten und Medaillen, zumeist in Deutschland und Österreich, entstand. Sie war, wie es im Museum heißt, eher als die staatlich gelenkte Propaganda geeignet, „die wirklichen, die schrecklichen Seiten des Ersten Weltkriegs auch abseits öffentlicher Wahrnehmung in drastischer Weise zu thematisieren“.

     Im Gegensatz zu den großmaßstäbigen Schlachtengemälden der staatlich bestellten Kriegsmaler, sind die kleinformatigen Exponate „jeweils nur durch den Einzelnen intensiv zu betrachten“ – etwas tendenziell Subversives zeichnet sie damit aus und der Kreis der Sammler, Betrachter und Bewahrer blieb in der Regel sehr klein.

     Ab 1914 setzte im Rahmen der kollektiven kriegslüsternen und der ideologisch aufgeheizten Stimmung eine geradezu inflationäre Produktion von patriotischer Kleinreliefkunst und Grafik ein. Dem setzt die Ausstellung in Moyland nun andere Werke entgegen mit einer Kollektion, die man ohne Übertreibung als Raritätensammlung einstufen kann.

 

Ludwig Gies Totentanz 1914-1917, 1917, Bronze (einseitige Guss) 12,2 cm (Durchmesser, kreisrund) Abb.: © Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, R. Saczewski

 

Ihre Schöpfer sind meist kaum bekannte oder vergessene Kreative wie etwa der Bildhauer, Medailleur und Hochschullehrer Ludwig Gies (1887–1966). Der gebürtige Münchner, der zuletzt in Köln wohnte und dort auch verstarb, schuf Werke konträr zur patriotisch eingefärbten staatlichen Kunstlinie jener Jahre, was ihn zeitweise der Zensur unterwarf.

     Seine Arbeiten, so kommentiert das Haus Moyland, übersetzten das „aktuelle Geschehen oftmals ins Überzeitliche“ und waren zumeist mehr von menschlicher Anteilnahme als von jubelndem Heroismus und Militarismus bestimmt. Seine bekannteste Arbeit ist der große Bundesadler (1953) im alten Bonner Bundestag.

 

Willibald Krain Die Frauen, 1916, Kreidelithografie von drei Steinen auf chamoisfarbenem Maschinenvelin 34,1 x 25,7 cm (Blatt), 30,9 x 23 cm (Einfassungslinie) Abbildung: © LETTER Stiftung, Köln

 

Ähnlich verhält es sich mit Werken des rheinischen Expressionisten Paul Adolf Seehaus (1891–1919). Der von Landschaften und Technik faszinierte Bonner Maler und promovierte Kunsthistoriker wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg von dem legendären Galeristen und Mäzen Alfred Flechtheim (mehr) ausgestellt.   

     Sein Gemälde „Leuchtturm mit rotierenden Strahlen“ (1913) gelangte im Zuge von Restitutionen ab 2012 in die Schlagzeilen. Von Seehaus, der heute der Öffentlichkeit kaum mehr bekannt ist, zeigt das Museum Moyland das Werk „Die neuen Mächte“.       

     Selten zu sehen sind Arbeiten des schlesischen Malers, Zeichners und Illustrators Willibald Krain (1886–1945). Er schuf antimilitaristische und sozialkritische Zeichenblätter, die in linksorientierten Medien veröffentlicht wurden, wie unter anderem im Simplicissimus oder der Wochenzeitung Berliner Illustrirte Zeitung. Von ihm stammt aus der Mappe „Krieg“ die ausgestellte Arbeit „Die Frauen“.

     Fast vergessen ist ferner Melchior Grossek (1889–1967), der „Priester mit der Schere“ aus Oberschlesien. Der Kleriker bildete sich in Kunst in München, Bonn und Aachen weiter und schuf beeindruckende Linol- und Holzschnitte. „Gestalten des Todes“ gehört zu seinen herausragend ausdrucksstarken Werken.

 

Richard Seewald Flug über Paris, 1914, handkolorierter Holzschnitt auf chamoisfarbenem Japan 35,9 x 25,9 cm (Doppelblatt, gefaltet), 15,2 x 8,4 cm (Einfassungslinie) © Fondazione Richard e Uli Seewald, Ascona. Abbildung: © LETTER Stiftung, Köln

 

Die Ausstellung ist nach Themen geordnet und präsentiert rund 300 Exponate von 137 Grafikern und Künstlern. Sie verdeutlicht, wie aus Begeisterung und Euphorie mit der Zeit Depression, Desillusionierung und Kriegsmüdigkeit wurde. Es mehrten sich daher gegen 1918 eindeutig kritische Bildbeiträge: Sie gaben bald Zeugnis einer persönlichen Betroffenheit zwischen bitterer Enttäuschung, fassungsloser Verzweiflung und zorniger Anklage – eine Welt und ein Weltbild brachen mit Ende des Ersten Weltkriegs zusammen.
     Die meisten grafischen Zyklen entstanden in den Kriegsjahren in Deutschland, die Ausstellung zeigt gleichwohl auch Beispiele aus Frankreich und Belgien. Dass viele Grafiker erst ab 1919 ihr erlittenes Kriegstrauma in gedruckten Zyklen zu bewältigen suchten, ist schlicht dem Umstand zuzuschreiben, dass nur selten in Schützengräben radiert, lithographiert oder in Holz geschnitten werden konnte, vermerkt das ausstellende Haus.
cpw

 

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der LETTER Stiftung Köln. Aus Stiftungsbeständen stammen zahlreiche Mappenblätter aus regelmäßig publizierten Künstlerflugblättern, teils aus Gemeinschaftsmappen oder aus Zyklen, die einzelne Grafiker zum Krieg schufen. Darunter sind die geläufigen Avantgardisten jener Zeit, die als Kriegsfreiwillige „ins Feld“ zogen, beispielsweise Oskar Kokoschka, Wilhelm Lehmbruck, Max Ernst oder Ludwig Kirchner, nicht vertreten.

 

Die Ausstellung „Der Große Krieg im Kleinformat. Graphik- und Medaillenkunst zum Ersten Weltkrieg“ kann bis zum 30. September 2018 besucht werden.

Schloss Moyland
Am Schloß 4
47551 Bedburg-Hau
Tel. 02824 / 951 060
Öffnungszeiten
DI – FR 11 – 18 Uhr
SA, SO 10 – 19 Uhr

 

 

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