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rheinische ART 09/2024

DELIRIOUS TOYS
Über Wundersames und Wohlbekanntes


Waren Sie schon einmal in einer museal aufbereiteten zeitgenössischen Wunderkammer? Zum Beispiel in einer über „wahnsinniges Spielzeug“?

 

Ausstellungsansicht Mark Dion. Delirious Toys, Bonn, Foto: Simon Vogel, 2024. Halfpipe der Großfahrzeuge, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

 

Falls nicht, sollten Sie sich die Chance auf einen Blick in die Welt der Spielwaren und des Spielens als eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit nicht entgehen lassen.

     Derzeit präsentiert die Bonner Bundeskunsthalle die Schau Delirious Toys des US-amerikanischen Installationskünstlers Mark Dion. Die Ausstellung speist sich im Wesentlichen aus Exponaten der Spielzeugsammlung des Stadtmuseums Berlin.

 

Ausstellungsansicht Mark Dion. Delirious Toys, Bonn, Foto: Simon Vogel, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

 

Das Berliner Haus zählt mit über 70.000 Objekten zu den größten seiner Art in Deutschland. Dion erkundete monatelang die riesigen Bestände und stellte, nach Themen geordnet, mehrere hundert Puppen, Tiere, Fahrzeuge und Spielsachen jeglicher Art aus unterschiedlichen Epochen und Materialien zusammen.

 

Spielzeuge aus der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Gestaltung: e o t . Berlin. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH 2024

 

Das raffinierte daran: Er griff die Idee der europäischen Wunderkammern auf, die seit der Renaissance die Menschen immer wieder ins Staunen versetzten.

     Als bunte Ansammlungen von Antiquitäten und Naturalien, Volkskunst und Raritäten spiegelten sie die Vielfalt der großen weiten Welt wider. Bei seiner Kuratoren-Arbeit ließ sich Dion von dem uralten Spieltrieb der Menschen leiten: Denn spielend, so heißt es in Bonn, begreift der Mensch die Welt und verwischt dabei die Grenzen zwischen Realität und Fantasie.

 

Die gezeigten Installationen und Themenräume entziehen sich einer strengen Ordnung und Chronologie, sie folgen ästhetischen Vorlieben und freien Assoziationen.

     Die Ausstellungsstücke scheinen dabei ein Eigenleben zu führen: Sie versammeln sich zu geheimnisvollen Zusammenkünften und Gruppen, erzählen eigene Geschichten und ziehen die Besucher in den Bann.

 

Puppen aus der Sammlung © Stadtmuseum Berlin, Foto Stefan Petri, Berlin | Gestaltung: e. o t. Berlin. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH 2024

 

So gesehen ist die Ausstellung Delirious Toys selbst ein Kunstwerk, begehbar, geheimnisvoll wie auch Bullerbü-bunt im Sinne einer Spielzeug-Wunderkammer. Hier scheint tatsächlich alles möglich zu sein.

     Mark Dion lädt die Betrachter ein ins Reich der Fantasie, in Miniaturwelten, Tierprozessionen und in die Spielzeugwelt der Technik, der Autorennen und Rennstrecken mit ihren Geschwindigkeitsritualen, in zauberhafte Puppen-Kollektionen, in die jahrtausendealten Labyrinth-Spiele bis hin zu aktuellen Video- und Computerspielen. Besonders bemerkenswert ist der Griff des Ausstellungsmachers in den Giftschrank des Metiers. Also in jene grenzwertigen und grenzüberschreitenden Spielsachen, die im Kinderzimmer nichts zu suchen haben.

 

Spielzeuge aus der Sammlung © Stadtmuseum Berlin, Foto Stefan Petri, Berlin | Künstlerfoto © Mark Dion | Gestaltung: e. o t. Berlin. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH 2024

 

Spielzeuge aus der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Gestaltung: e o t . Berlin. Bildquelle © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH 2024

 

Und es gibt auch einen kritischen Blick auf das Kriegsspielzeug. Die erhaltenen Objekte verschiedener Epochen zeigen jeweils die neuesten Waffen ihrer Zeit. Eine wichtige Erkenntnis: Vor allem unmittelbar vor und während kriegerischer Zeiten wuchs das Interesse am Kriegsspielzeug. Umgekehrt führten die Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu umfassenden Bestrebungen und sogar gesetzlichen Initiativen, Kriegsspielzeug zu verbieten.


Kinderspielzeug, soviel ist klar, wird von Erwachsenen entworfen und ist stets auch Zeugnis eines geschlechtsbezogenen Verhaltens.

     Denn es steht, etwa bei Kriegsspielzeug und technischen Modellen, bis heute vorzugsweise im Dienste der „Er-Ziehung“ von Knaben zu Männern, betont die Kunsthalle. Die Mädchen hingegen sollten mit Puppen, Kinderwagen oder Barbie-Rosa das weibliche Rollenideal einüben.

     Ein Beispiel ist da der US-Spielzeugkonzern Mattel. Ab 1957 brachte er die Barbie-Puppe heraus, zunächst noch ohne Funktion. Dann verpasste man dem Blondchen einen „coolen Style“ und ließ sie zunehmend als ideales Frauenbild auf Stöckelschuhen in die Kinderstuben laufen. Die rosa Barbies wurden Puppenkult, millionenfach verkauft und ein Spielzeugklassiker. Und, wenn man so will, auch ein Stück Kulturgeschichte und damit auch museal, versteht sich!
rART/ cpw

 

► Mark Dion wurde 1961 in New Bedford, Massachusetts, USA, geboren. Er erhielt einen Bachelor of Fine Arts (1986) und einen Ehrendoktortitel (2003) der University of Hartford, School of Art, Connecticut. Außerdem wurde ihm die Ehrendoktorwürde des Wagner Free Institute of Science und der University of Massachusetts, Dartmouth, verliehen.

 

Die Ausstellung Mark Dion. Delirious Toys – Die Spielzeug-Wunderkammer, endet am 9. Februar 2025.
Kunst- und Ausstellungshalle
der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Museumsmeile Bonn
Helmut-Kohl-Allee 4
53113 Bonn
Tel. 0228 / 9171–0
Öffnungszeiten
DI + MI 10 – 21 Uhr
DO - SO 10 – 19 Uhr

 


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