Plakat zur Ausstellung
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Archiv 2010: aus "Besuchenswert"
Bis 02. Januar 2011
Daumier-Karikaturen in Krefeld
Der Anti-Spießbürger
Er war ein sezierend beobachtender Zeitkritiker und Zeichner, scharfsinnig und provokant. Als eher wortkarg und scheu beschrieben ihn Freunde und Zeitgenossen. Seine ab 1829 publizierten Zeitungskarikaturen wurden weltberühmt, sie gelten als Meisterwerke des politisch-satirischen Witzes. Frankreichs berühmtester Karikaturist, Honoré Daumier (1808-1879), verstand es in unnachahmlicher Weise, Spott und Hohn in Bilder zu fassen. 60 davon sind derzeit im Museum Burg Linn in Krefeld zu sehen.
Actualités, Nr. 13, Kreide-Lithographie
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Les beaux jours de la vie Nr. 74
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IM Mittelpunkt stehen Lithografien Daumiers aus dem Zeitraum 1830 – 1850, die sich vor allem mit dem Medium Zeitung befassen. Das Printerzeugnis, im 19. Jahrhundert so gut wie ausschließlich eine Sache von und für Männer, kannte zu jener Zeit bereits die Phänomene Pressezensur, hartnäckige Abonnenten-Akquise und Sensationsgier der Leserschaft. So bietet die Krefelder Ausstellung dem Besucher interessante Parallelen zur heutigen Presselandschaft. Die Ausstellung trägt den Titel „Die Zeitung in der Künstlerkarikatur von Honoré Daumier“.
Daumier veröffentlichte seine ersten bissigen Bilder zunächst in der Wochenzeitschrift „La Silhouette“, später in der politisch-satirischen Zeitschrift „La Caricature“ und in dem Pariser Satirejournal „Le Charivari“ (Das Spektakel). Er griff vielfach Themen des Tagesgeschehens („Actualités“) auf und profitierte zunächst von der nach-revolutionären Pressefreiheit in Frankreich. Mit pointierten Darstellungen prangerte er sowohl die korrupte Rechtsprechung als auch das Beamtentum und die Politik an. Als früher „Bildjournalist“, Grafiker, Bildhauer, Satiriker und Maler schuf Daumier große Karikatur-Zyklen über die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse seiner Zeit, die erstaunlicherweise bis heute nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt haben.
In seiner berühmten Zeichnung „Gargantua“ verunglimpfte Daumier 1831 den französischen Bürgerkönig Louis-Philippe als Vielfraß und wurde dafür ein Jahr später zu sechs Monaten Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung verurteilt. Im Zuge der ab 1835 geltenden eingeschränkten Pressefreiheit wurde in Frankreich die personifizierte Karikatur verboten. Daumier verlegte sich in den Folgejahren daher mehr auf Alltagsthemen und zeichnete mit scharfem Blick und spitzer Feder die gesellschaftlichen Konflikte des Landes. Dies in den Formen satirischer, humoristischer aber auch beißend spöttischer Karikaturen über Sitten und Unsitten des Pariser Bürgertums, skrupellose Geschäftsleute und die Gesellschaft allgemein. Daumiers gesellschaftliche Kritik am Spießbürgertum verdichtete sich schließlich zu einer unvergänglichen Bilderwelt der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, betrachtet wie durch ein Brennglas.
Sein Zeitgenosse und Verehrer, der Schriftsteller Charles Baudelaire, nannte ihn einen „der wichtigsten Männer der modernen Kunst überhaupt“. In fast 43 aktiven Jahren schuf Honoré Daumier ein grafisches Werk von mehr als 4000 Lithographien und 1000 Holzstichen sowie zahlreiche Skulpturen, die sogenannten Parlamentarier-Büsten, die ihm als Vorlage für spätere Karikaturen dienten. Wegen eines Augenleidens musste er 1872 die Pressearbeit aufgeben.
Hans-Ulrich Nieter, Direktor des Europäischen Zeitungsmuseum Krefeld, zu Daumiers Arbeiten: „Er hat allen Schichten den Spiegel vorgehalten“. Dr. Christoph Reichmann, Leiter des Museums Burg Linn, hebt den technischen Aspekt hervor: „Die Drucktechnik der Lithographie war damals als eine Innovation zu sehen.“ Gegenüber der rheinische ART. betont Reichmann den besonderen Reiz der Ausstellung, der unter anderem im Blick auf die aktuelle Situation des Zeitungswesens liege: „Das alte Medium Zeitung ist interessant. Und diese Ausstellung befasst sich mit Pressearbeit und Karikatur.“
Klaus M. Martinetz
► Die Exposition ist eine Wanderausstellung, Krefeld ist die achte Station. Die Sammlung wurde anlässlich des 200. Geburtstages des großen französischen Zeichners 2008 als Gemeinschaftspräsentation des Europäischen Zeitungsmuseums Krefeld und des Deutschen Zeitungsmuseum Wadgassen (Saarland) konzipiert. Die 60 Blätter mit dem Thema Medium Zeitung stammen im Wesentlichen von Hans-Ulrich Nieter vom Europäischen Zeitungsmuseum. Ergänzt wird die Schau durch Arbeiten anderer Künstler und Objekte zur Technik des Flachdrucks.
Verderbliche Ware mit Verfallsdatum
Karikaturen sind täglicher Bestandteil aller - auch der modernen elektronischen - Massenmedien. Ist die Karikatur nun eine journalistische Darstellungsform oder eine Kunstgattung? Oder gar eine in den Journalismus integriert Kunst – also quasi ein Zwitter? Die Meinungen der Fachwelt gehen hier auseinander. Und sind ähnliche Erzeugnisse wie Cartoon oder Comic Strip auch Karikaturen - wie der Sprachgebrauch vermuten lässt? Auf jeden Fall haben Zeitungsartikel und Karikatur eines gemeinsam: Sie sind meist eine verderbliche Ware mit Verfallsdatum. Nur überdauert die bildliche Karikatur aufgrund ihres dekorativ handwerklich-künstlerischen Charakters unter Umständen Jahrhunderte, wird gesammelt, an- und verkauft oder in Ausstellungen gezeigt. Der Ursprung des Begriffs Karikatur als Lehnwort ist dagegen klar. Das aus dem Italienischen stammende Verb caricare [von lat.: carrus = Karren, Beladung] meint im weiteren Sinne die „Überladung, Übertreibung“ und damit die überzeichnete Darstellung von Gesellschaftszuständen oder Menschen. Ob der Begriff tatsächlich den Bologneser Gebrüdern Agostino und Annibale Carracci zugeordnet werden kann, die im 16. Jh. Porträtkarikaturen fertigten und die Begriffe caricatura und ritrattini carichi verwendeten, bleibt fraglich. |
Museum Burg Linn
Rheinbabenstraße 85
47809 Krefeld
Tel. 02151 / 570036
Öffnungszeiten:
bis 31.10.2010
DI - SO und feiertags 10 - 18 Uhr
ab 01.11.2010
DI - SO und feiertags 11 - 17 Uhr
Fotos: rArt (1), Museum (2)
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