rheinische ART
Start | | Über uns | Anzeigen | Impressum | Kontakt | Datenschutz

rheinische ART 02/2015

Archiv 2015

DAS ENDE EINER ÄRA
Kodak City

 

Was macht die Digitaltechnik mit einem Ort, der vom Analogen lebt? Sie verändert ihn – langsam aber stetig. In der US-Stadt Rochester, auch Kodak City genannt, passiert das. Vom dortigen, ehemals größten Filmehersteller der Welt, ist nur noch wenig übrig. Der Niedergang Kodaks ist Symbol geworden für die voranschreitende vierte industrielle Revolution: die Digitalisierung.

 

City ohne Vitalitätsschub? Der Kodak Tower an der State Street in Rochester, US-Bundesstaat New York (2007). Der Hauptsitz des Kodak-Imperiums war einmal die Welthauptstadt der Fotografie. Bild © Catherine Leutenegger

 

Es ist ein zäher und leidvoller Prozess, den Rochester, die einstige Hochburg für Fotos, Filme, Fotoapparate und Zubehör, auf dem Weg vom Analogen zum Digitalen durchläuft. Weil der berühmte Großkonzern die Tragweite der neuen Digitaltechnik zwar durchaus erkannte, sich aber im technologischen Wettlauf nicht schnell genug von einem traditionellen Chemie- und Filmunternehmen in einen Elektronikproduzenten für Fototechnik umbauen ließ, rutsche er Anfang der Neunziger Jahre in die Krise.

     In der Werkserie KODAK CITY, die derzeit im Winterthurer Coalmine-Forum ausgestellt wird, zeigt die Schweizer Fotografin Catherine Leutenegger (*1983, Lausanne) die dramatischen Folgen, die der Siegeszug der Digitalfotografie für die Industriestadt Rochester/N.Y. mit sich bringt. 

 

Tragik eines Blue Chip Kodak war eine Marke der Spitzenklasse. Der multinationale Konzern stand unter anderem für epochale Mondlandefotos wie auch Spezialkameras für die Raumfahrt, an der New Yorker Börse (NYSE) war er über Jahrzehnte ein Blue Chip.

 

Ein alter Slogan zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Konferenzsaal von Haus 28 im Kodak Park (2012). Bild © Catherine Leutenegger

 

Bemerkenswerterweise war die Kodak Company, die immer mit dem Adjektiv „hochinnovativ“ belegt war, selbst ein Pionier der digitalen Fotografie. Sie hatte in ihren Labors schon 1975 die erste Digitalkamera der Welt entwickelt. Allerdings keine massentaugliche. Ihr Erfinder war ein Mann des Hauses, der Werksingenieur Steve Sasson. Doch verfolgte der „Gelbe Riese“ die globale Vermarktung in der entscheidenden Phase nicht weiter, schätzte die digitalen Marktchancen falsch ein und verlor den Anschluss. Es folgte der wirtschaftliche Absturz, die Kodak-Aktie fiel unter einen Dollar, die NYSE drohte mit Rauswurf, das Drama endete schließlich 2012 in der Insolvenz. Das „Unternehmen der Bilder“ wurde damit eines der prominentesten Opfer des Strukturwandels. Seither hat Kodak über ein Drittel seiner Betriebsgebäude abreißen lassen und vermutlich rund 30.000 Stellen abgebaut.

 

Traditionelles Kodak-Logo bis 2008

 

Medienwandel Von Rochester aus hatte 1889 der Firmengründer George Eastman (1854-1932) die ersten Fotofilme vermarktet und die Fotografie in alle Haushalte gebracht. Das „Knipsen“ wurde eine der größten Amateurfreuden weltweit. Rund 125 Jahre später ist der Ausgangsort gezeichnet vom Niedergang seines Hauptarbeitgebers, der sozusagen an jeder Ecke präsent war.
     Von 2007 bis 2012, als Kodak Insolvenz beantragte, erkundete Leutenegger die Firmenstandorte der Stadt, führte Gespräche mit Angestellten und Anwohnern und fotografierte die Überreste des Firmenimperiums. Entstanden ist ein fast melancholisches Zeugnis des Medienwandels. Die glorreiche Hinterlassenschaft der Kodak-Werke und ihr Zusammenbruch manifestieren sich in den Straßen der Stadt und den Gesichtern der Bewohner.

 

Das Ende einer Ära. Der Kontrollraum in der Filmfabrikation, Kodak Park (2007), nach Jahren rückläufiger Produktion und dem Stopp der Entwicklungsarbeit. Bild © Catherine Leutenegger

 

Monostruktur Rochester steht in der vormals stolzen Tradition der „Company Towns“: Das Gedeihen der Stadt hing stets wesentlich vom Geschäftsgang der Kodak Company ab, wie das von Chicago von der Autoindustrie. Entsprechend sind heute die Spuren des Abstiegs in der City deutlich: Leere Straßen, öde Plätze, Ladenlokale zum Verkauf. Die marode Fotofilm-Industrie spiegelt sich in der maroden Innenstadt. Von weitem sieht der Konzernsitz imposant aus. Näher betrachtet treten die riesigen, verlassenen Parkfelder ins Blickfeld. Das Innere der Firma, zwar picobello, zeugt von verflossener Größe und von überholten Moden.

 

Alter Charme, jedoch Zeugnis verflossener Größe und einstigem Glanz: Der Empfang der Abteilung Graphic Communications im Kodak Park (2007) Bild © Catherine Leutenegger

 

Wandel Dennoch ist Rochester keine sterbende Stadt. Ganz im Gegenteil: heute sind in diesem Wirtschaftsraum mehr Menschen in Lohn und Brot, als jemals zur guten alten und glücklichen Kodak-Zeit. Erfolgreiche Start-Ups in neuen Business-Parks, oft mit Ex-Kodak-Leuten, und im Umfeld des „Rochester Institut of Technology“ und anderer Hochschulen künden von neuen Zeiten.

 

Zeitdokument Catherine Leuteneggers Fotoreportage hält die Wirkungen der digital bedingten Umwälzungen auf eine einfache wie auch bemerkenswerte Weise fest: mit einem direkten Blick auf ihre Verlierer und Produktionsstätten. Ihr Werk setzt sich mit einem aktuellen Abschnitt der US-Industriegeschichte auseinander und reflektiert gleichzeitig ihren eigenen Berufsalltag als Fotografin und Künstlerin, der sich gleichfalls fundamental gewandelt hat. Ihre Ausstellung ist quasi auch eine Bestandsaufnahme der Fotografie, ihrer materiellen Beschaffenheit und wirtschaftlichen Grundlagen. Und zwar an einem Wendepunkt der Geschichte, dem einschneidendsten wohl, seit Kodak mit Kodacolor, Kodachrom oder Ektachrome in den typischen rot-gelben Filmschachteln die noch pixelfreie Fotowelt beherrschte. Die ausgestellten Fotografien wurden im Übrigen mit beiden Techniken aufgenommen.

Claus P. Woitschützke

 

 Das Ex-Wohnhaus des Kodak-Gründers Georg Eastman in Rochester beheimatet heute eines der großen Foto- und Filmmuseen der Welt. Zu den Exponaten gehören über 4.000 historische Kameras sowie private Filmkollektionen von Regisseuren wie den US-Amerikanern Martin Scorsese und Spike Lee und dem Kanadier Norman Jewison. Als wertmäßig unschätzbar gelten Fotos aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg und Abzüge, die noch von legendären Fotografen wie dem Paris-Chronisten Eugène Atget und Alfred Stieglitz persönlich gefertigt wurden.

 

Die Ausstellung KODAK CITY ist bis zum 21. März zu sehen.

Coalmine Forum für Dokumentarfotografie

Volkarthaus

Turnerstrasse 1
CH-8401 Winterthur / Schweiz
Tel. 052 268 68 68
Öffnungszeiten
MO – FR 8–19 Uhr

SA 11–16 Uhr

 

Literaturhinweis:
Catherine Leutenegger: Kodak City. Kehrer Berlin 2014, Hardcover, 160 Seiten, ISBN 978 3 86828 462 1, Preis: 39,90 Euro