Archiv 2011: aus "Theater"
Dank englischen Humors
Sebastian Koch und Philip Cumbus nach der Probe im Globe |
Shakespeare
- ein
deutscher Dichter
Es brauchte nur wenige Quadratmeter Bühne, um die Botschaft zu verkünden: Shakespeare, ein deutscher Dichter. Mittler dieser heimlichen Kulturrevolution waren drei Protagonisten, die wissen, was sie tun. Kein geringerer als der Schauspieler und Charakterdarsteller Sebastian Koch rezitierte die deutschen Texte aus einer zweisprachigen Anthologie von und über Shakespeare. Den englischen Part übernahm der Londoner Globe-Schauspieler Philip Cumbus, das literaturhistorische Manifest dieser Lesung war vom emeritierten Professor am University College London, Martin Swales, zu vernehmen.
IDEE UND KONZEPT wurden in London entwickelt und die Lesung wurde auch im dortigen Globe-Theater aufgeführt. Im deutschsprachigen Raum bot das Neusser Shakespeare-Festival den passenden Rahmen für diesen überraschenden Exkurs in Sachen Shakespeare-Dichtung.
Diese besondere Form der Einbürgerung Shakespeares sei, so Martin Swales, – den englischen Humor berücksichtigend - natürlich etwas ironisch zu verstehen. Doch Tatsache ist, dass das Werk Shakespeares Einfluss auch auf die namhaftesten deutschen Dichter und Denker ausübte.
William Shakespeare, der große englische Dichter – ein Deutscher. Es ist keine Frage, die gestellt wurde - aber, was für eine Aussage. Während sich bei diesem Gedanken so mancher Engländer „not amused“ abwenden wird, kehrt bei der deutschen Dichtergemeinde humorige Gelassenheit ein. Und bei näherer Betrachtung zeigt sich der Funken Wahrheit: in keinem anderen Land der Welt wurde und wird Shakespeares nun 400 Jahre altes Œuvre so häufig, so überaus vielseitig und immer wieder neu zeitgemäß interpretiert.
Die Deutschen sind Shakespeare treu
Die Lesung wurde bei aller auch visuellen Brillianz durch Filmausschnitte diverser Aufführungen zu einem Lehrstück der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Shakespeares Texten und seinem Einfluss auf die deutsche Kultur. Johann Wolfgang von Goethe hat ihn bewundert und der englischen Sprache mächtig im Original gelesen. Seine „Rede zum Shakespeare-Tag von 1771“ war ein höchst persönliches und inspirierendes Bekenntnis und ein Durchbruch der Shakespeare-Begeisterung in Deutschland. Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) und Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) haben als namhafte Dichter, Philosophen und Übersetzer darauf verwiesen, dass Shakespeares Genie und Natürlichkeit dem deutschen Charakter weit näher lägen als die Regeln und Konventionen französischer Dramen. Immanuel Kant hat natürlich über Shakespeare nachgedacht, genau wie Friedrich Nietzsche und andere. Die bedeutendsten Übersetzungen der Dramen stammen von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck im frühen 19. Jahrhundert und machten den Engländer damit geradezu zum deutschen Klassiker.
Die Schauspieler Philip Cumbus, Sebastian Koch und der Moderator der Lesung Martin Swales |
Nach Swales Auffassung ist diese Entwicklung auch darin begründet, dass jede Betrachtung und Übersetzung in ihrer jeweiligen Zeit geschieht. Heute werden Worte bei Übersetzungen benutzt, die es früher noch gar nicht gab, was die Texte frecher, freier und authentischer mache. Dass die Übersetzung auch immer die Freiheit der Interpretation beinhalte, sei ebenfalls von Vorteil. In seinem Heimatland wird Shakespeare selbstverständlich nicht übersetzt und häufig ganz traditionell im Original belassen. Für (Neu)Interpretationen gibt es praktisch kaum Raum. Und was das Verstehen der Engländer ihres großen Dichters betrifft: Die Originale sind im Renaissance-Englisch verfasst, was es nicht leichter macht.
Sebastian Koch, der keine Schauspielrolle braucht, um auf der Bühne zu bestehen, wie sieht er Shakespeare? „Er hat die große Gnade, Dinge wegzulassen. Darin ist er ein Meister. Da kann man extrem viel von ihm lernen.“
Und kaum hat man verinnerlicht, dass der Einfluss Shakespeares in Deutschland weit reicht, so bemerkt Swales mehr am Rande: „Das Gleiche passiert derzeit in England mit Schiller.“ Schiller – ein Engländer?
Irmgard Ruhs-Woitschützke
► Das Londoner und das Neusser Globe
Das Neusser Globe-Theater
Das Londoner Globe-Theater |
Shakespeare begeistert über alle Zeiten hinweg. Die zahllosen internationalen Aufführungen seiner drei Dutzend Komödien, Historien und Tragödien beweisen es. Und so vielfältig die Interpretationen seiner Werke auch sein mögen, die bekanntlich von traditionellen Aufführungen bis hin zum experimentellen Theater reichen – wo ließe sich Shakespeare authentischer genießen als in einem der traditionell runden, kreisförmigen Theater, in dem die Zuschauer steil von oben herab oder von unten hinauf das Geschehen betrachten? Die runde Konstruktion ist dem Amphitheater als Urform des Theaters nachempfunden. Zuschauer und Schauspieler sind sich nah, ganz nah.
Das Londoner Original, „the wooden O“, wie der Dichter es einst zärtlich betitelte, steht heute freilich nicht mehr, auch wenn sein ehemaliger Standort am südlichen Themse-Ufer mittlerweile von einer historisch korrekten Kopie bezeichnet wird. Von den ohnehin wenigen Versuchen, dem berühmten Bauwerk nahe zu kommen, darf sich das Neusser Globe, der Tradition entsprechend aus Holz gebaut, mit Sicherheit zu den gelungenen zählen. Es steht an einem eigentümlichen wie auch exzellenten Standort: der Galopp-Rennbahn. 1991 in Neuss eröffnet - sechs Jahre vor dem Londoner Nachbau -, eröffnet es Zuschauern jeden Sommer die Möglichkeit, im Rahmen des Shakespeare-Festivals den Auftritten international renommierter Künstlergruppen beizuwohnen.
Das Shakespear-Festival endet am 16. Juli 2011.
© Fotos: (5) rArt, (1) Shakespeare-Festival Neuss
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