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rheinische ART 04/2010

Archiv 2010 aus "Über die Grenze geschaut"

Alt und neu

Damien Hirst: Hai und kleine Fische


Das Ozeanographische Museum in Monaco gilt nicht gerade als ein Ort, der regelmäßig mit spektakulären Präsentationen von sich reden macht. Die bunte Aquarienwelt und die exotischen Exponate, die Fürst Albert I. von Monaco zu Beginn des 20. Jahrhunderts von seinen Forschungsreisen in die Heimat brachte, verströmen den leicht angestaubten Charme eines etwas altmodischen Naturkundemuseums für die ganze Familie. Bis Ende September kann man hier eine der derzeit originellsten Ausstellungen genießen.


Das dem Museum angegliederte ozeanographische Institut ist eine der ältesten und traditionsreichsten Einrichtungen für die Erforschung der Ozeane. Wirklich bemerkenswert ist vor allem seine Lage: Der klassizistische Bau thront direkt an der Spitze des Felsens von Monaco-Ville und befindet sich somit in unmittelbarer Nachbarschaft zu jenem Element, dass einst den Anlass für seine Erbauung bildete.

 

Der für Damien Hirst so bezeichnende Hai ziert das große Transparent, das auf die Ausstellung hinweist. Hirst zum Anfassen gibt es dem Wind und Wetter trotzend draußen, wie die Arbeit „Hymn“ im Vordergrund


Das Meer ist hier omnipräsent. So wundert einen auch nicht das gewaltige Plakat an der Fassade, auf dem ein die Zähne fletschender Hai zu sehen ist. Die Aufschrift hingegen erstaunt: Damien Hirst – Cornucopia. Einer der bekanntesten, teuersten und skandalträchtigsten Künstler der Gegenwart hat seinen Weg in das Fürstentum gefunden, dessen Ozeanographisches Museum dieses Jahr seinen 100. Geburtstag feiert und mit dieser Ausstellung, die Wissenschaft und Kunst zusammenführt, sein Jubiläum unkonventionell in Szene setzt. Cornucopia – das leitet sich vom Lateinischen ab und bedeutet Füllhorn. Tatsächlich ist diese Ausstellung ein Füllhorn in zweierlei Hinsicht. Zum einen, da sie dem kunstsinnigen Besucher durch ihre ungewöhnliche Symbiose von Alt und Neu völlig ungewohnte Eindrücke verschafft. Zum anderen, dass Hirst hier einige der wichtigsten Werke seiner Karriere zeigt und eine Quintessenz seines bisherigen Schaffens präsentiert.

     Zu den Höhepunkten im Werk Hirsts gehört ohne Zweifel der in Formaldehyd konservierte Hai, der mittlerweile einen ähnlichen Bekanntheitsgrad genießt wie die Mona Lisa. Das hier ausgestellte Exemplar „The Immortal“ von 2005 orientiert sich stark an der ersten Version dieses Kunstwerkes von 1994, das zu den Ikonen britischer Kunst gehört und den erklärenden Titel „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“ trägt. Ein anderer Tank, ein anderes Motiv. Eine scheinbar im Flug festgefrorene Friedenstaube empfängt den Besucher beim Eintreten ins Museum und ist mit „After the Flood“ betitelt. In beiden Werken zeigt sich der bereits ausgereifte Hirst, wo hingegen seine früheren Präparate, etwa das zweigeteilte Schaf „Away From the Flock, Divided“ von 1995, noch große Lust am simplen Schockieren verraten.

 

-Der Hai, die Taube und das Schaf-

 

Ohne Zweifel sind es die Formaldehyd-Kunstwerke, die geradezu symbolisch für Hirst stehen und auch am stärksten seine Verwandtschaft mit dem zahllosen „eingelegten“ Meeresgetier des Museums verraten. Die Ausstellung begnügt sich jedoch nicht mit dieser rein zufälligen Parallele und geht einen entscheidenden Schritt weiter, der maßgeblich ist für die hohe Qualität der Schau: Die Integrierung der Kunst Hirsts in den ständigen, seit Jahrzehnten nahezu unveränderten Bestand des Instituts. In den oberen beiden Sälen des Museums kommt diese ausdrucksstarke Mischung voll zur Geltung. Zwischen Muschelschalen, alten meereskundlichen Stichen, einem altertümlichen, Forschungslabor und verblichenen Quallen in Spiritus finden sich Hirsts makabere Installationen aus Operationsinstrumenten, ein Ventilator hält einen bunten Spielball in der Schwebe und ein weißes, mit Klingen versehenes Podest samt Ablauf in der Mitte weckt schaurige Visionen.

 

Das Skelett eines Wales, aufgehangen in einem der oberen Säle, gehört zum Repertoir des Ozeanografischen Museums. An Größe steht es manchen Werken Hirsts in nichts nach


An den Wänden des Raumes hängen schwarze Leinwände, auf denen Hirst mit Schmetterlingen, Skalpellen und Stecknadeln düstere Emotionen weckt, die den durchweg hoffnungslosen Titeln dieser Werke entsprechen: „No Breath“, „No Feeling“, „No Hope“, No Mercy“. Dennoch ist der Eindruck nie erdrückend oder deprimierend. Eine runde, unablässig rotierende und quietschbunte Leinwand schimmert durch das Gerippe eines Walfisches wie ein gewaltiges Bonbon und vermittelt zusammen mit den anderen Exponaten den Eindruck eines grotesken, bisweilen grausamen Kuriositätenkabinetts in einer bunten Spielzeugwelt á la Alice im Wunderland. Selten hinterlässt die Vermischung zweier vollkommen verschiedener Zeiten und Themengebiete einen so stimmigen, bisweilen verstörenden Eindruck wie in diesen Sälen.

 

-Goldene Schaukästen-

 

Dass Hirst auch ein Kenner der leiseren Töne ist, zeigt sich im Erdgeschoss. Auf blanken Wänden begegnet man dort vergoldeten Schaukästen, die tausende von geschliffenen Edelsteinen in jeweils einer Farbe beinhalten. Grün steht hierbei für „Isolation“; Blau für „Empathy“ und Weiß für „Sadness“. Diese Konstruktionen lassen keine Zweifel an ihrer Modernität, Selbstreflexivität und Ironie. Sie geben sich als „Werke“ im klassischen Sinne aus, die zu Meditation und Erkenntnisgewinn einladen und erinnern gleichzeitig an Maschinen, deren Geheimnis sich dem Betrachter schon deshalb nicht erschließen möchte, weil sie gar keines verbergen. Man kann soviel in diesen Kunstwerken sehen wie man möchte, Hirst schränkt den Betrachter nicht ein.

     Das einzige, was er vorgibt, ist der Preis, den er für seine Kunst verlangt. Dieser ist so exorbitant hoch, dass viele seiner Werke schon deshalb an Aussagekraft zu gewinnen scheinen. Das Mysterium des Verhältnisses zwischen Kunst einerseits und Markt andererseits verdeutlichen die berühmten „Spot-Paintings“ im Treppenhaus des Museums. Diese sind bis zu zwölf Meter hoch, tragen pharmazeutisch klingende Phantasietitel wie „Diphenylpyraline“ und sind mit regelmäßigen bunten Punkten übersät, die Hirst Assistenten aufbrachten. Eine Anekdote berichtet, wie eine von Hirsts Angestellten, die sein Atelier verließ, ihn um eines seiner „Spot-Paintings“ bat. Auf Hirsts Antwort, sie solle sich selbst eines malen, erwiderte sie, dass sie aber eines von ihm selbst haben wolle. Hirst wiederum entgegnete, dass zwischen einem „Spot-Painting“ von ihr und einem von ihm kein Unterschied bestünde - außer der Preis.

 

-Spot-Painting-

 

Das Meer ist omnipräsent und wer einen Blick aus dem Fenster wirft, sieht die blauen Fluten mit der zehn Meter hohen Hirst-Figur, eine schwangere Frau, mit dem Titel „The Virgin Mother“ auf der Mole platziert stehen

 

Im gediegenen Treppenhaus des Museums begnügen sich diese Bilder mit ihrer reinen Dekorativität. Dennoch ist es interessant, sich Gedanken über diese Kunstwerke zu machen und nach einer Aussage zu suchen. Man kann sie sicherlich als eine freche und selbstbewusste Provokation eines Künstlers begreifen, der die finanziellen Aspekte seiner Kunst so meisterhaft handhabt und unverhohlen zur Schau stellt wie kaum ein Künstler vor ihm. In diesem Sinne ist Damien Hirst wirklich modern. In einem so klassischen Umfeld wie dem des ozeanographischen Museums wirkt seine Gegenwartskunst und seine Unterstützung und Zustimmung für diesen Ort umso überraschender. Als „minimal baroque“ hat der Kunsthistoriker und Kritiker Rudi Fuchs Hirsts Kunst bezeichnet – in dieser Ausstellung ahnt man weshalb.

    Schlussendlich hinterlässt die Schönheit von Hirsts Werken, trotz ihrer scheinbaren Gefährlichkeit, den nachhaltigsten Eindruck. Dass sich das Museum durch ihn hunderttausende zusätzliche Besucher verspricht, möchte man nicht meinen, denn nichts vermittelt den Eindruck eines Blockbusters, im Gegenteil: Das ozeanographische Museum hat sich seine Intimität trotz Damien Hirst bewahrt.


Robert Woitschützke

 

 

 


©rheinische-art.de


 

 

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