Archiv 2020
KOLONIALKUNST
Die vergessenen Meister
Dass die Handelsgesellschaft British East India Company, berühmt für Ausbeutung wie Unterdrückung auf dem indischen Subkontinent, jahrzehntelang gezielt Kunst in Auftrag gab, ist ein selten angesprochenes Kapitel in der Kolonialgeschichte.
Shaikh Zain ud-Din Indian Roller on Sandalwood Branch, Impey Album, Calcutta, 1780 Gift of Elizabeth and Willard Clark, © Minneapolis Institute of Art home Bildquelle © The Wallace Collection London |
Ein Fachbuch zeigt, welch ungewöhnliche Mischform indisch-britischer Kreativität sich während jener Jahrzehnte entwickelte, in der reiche Londoner Geschäftsleute mit ihrer Aktiengesellschaft das Leben in Indien bestimmten. Die Publikation sei all jenen empfohlen, die sich für diesen Kulturraum interessieren.
Asian Openbill Stork in a Landscape, Lucknow, c. 1780 Courtesy Private Collection (Photo: Margaret Nimkin) Bildquelle © The Wallace Collection London
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Vorausgegangen war dem 192 Seiten starken Bildband eine Ausstellung zum selben Thema. Die kleine Schau, 2020 zu sehen bis zum Ausbruch der Coronakrise, zeigte die Londoner Wallace Collection und nicht etwa eines der großen Schauhäuser in der Finanzmetropole.
Präsentiert wurden überaus realistische Gemälde, Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle von 17 indischen Künstlern aus der reinen Company-Zeit bis 1857, also vor dem „British Raj“, der direkten Herrschaft der britischen Krone auf dem Subkontinent.
Abgesehen von den höchst lebendigen und originellen Motiven ist es bemerkenswert, dass diese Kunstwerke zum ersten Mal überhaupt ausgestellt wurden. Es ist eine Kunst, die unter dem Terminus „Company Art“ geführt wird und im späten 18. und 19. Jahrhundert entstand. Es waren Auftragsarbeiten, gefördert von der British East India Company und erschaffen von indischen Künstlern.
Family of Ghulam Ali Khan, Six Recruits, Fraser Album, c.1815 Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery [Smithsonian Institution] Bildquelle ©The Wallace Collection London |
Diese schillernden, naturgetreuen und oft überraschenden Zeichnungen, die keinen einheitlichen Stil repräsentieren, spiegeln sowohl die Schönheit der Natur als auch die soziale Realität der Zeit. Sie bieten einen seltenen Einblick in die kulturelle Verschmelzung britischer und indischer Kunststile während der Herrschaft der Kolonisatoren.
Buchcover Foto © Verlag Philip Wilson Publishers
Vishnupersaud Arum tortuosum (now Arisaema tortuosum, family Araceae) ca. 1821. © The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew. Bildquelle © The Wallace Collection London
Sheikh Mohammah Amir English Gig, c.1840 Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery [Smithsonian Institution] Bildquelle © The Wallace Collection London |
Die Publikation titelt „Forgotten Masters – Indian Painting for the East India Company“. Es ist eine Art Ehrung der historisch bislang meist übersehenen indischen Künstler und sie beleuchtet eine fast vergessene Phase in der anglo-indischen Kunstgeschichte.
Die gezeigten Maler waren vor ihrer Tätigkeit für die unternehmungsfreudigen und erfolgreichen Londoner Geschäftsleute in der Regel für die heimischen Moguln tätig und in der mogulischen Malerei ausgebildet worden. Regionale Schulen existierten vor allem in Kalkutta, Lucknow, Patna, Faizabad, Madras und Delhi.
Zentrum für diese Form kultureller „Bestandsaufnahmen“ war das feudale, prächtige und pompöse Kalkutta (heute Kolkata), der damalige administrative Sitz der „neuen Herren“ von der Insel.
Es waren vorrangig Kaufleute, die Kunstaufträge erteilten, aber auch Mediziner, Plantagenbesitzer, Militärs, Diplomaten oder Verwaltungsbeamte, die sich Bilder mit typisch indischen Motiven über Land und Leute fertigen ließen.
Beliebt waren farbreiche Zeichnungen der exotischen Tier- und Pflanzenwelt, Impressionen von Festivitäten, landestypische Kleidungen sowie Artikel der Handwerkskunst.
Was die Company-Repräsentanten gemeinsam auszeichnete, war ein mehr oder weniger ausgeprägtes wissenschaftliches Interesse für Indiens reiche Kultur, die Landesgeschichte und die ganz offensichtliche ökologische Artenvielfalt.
Es ist bezeichnend für das kulturelle Engagement jener Zeit, dass 1814 in Kalkutta mit dem Bau des Indian Museum das erste öffentliche Museum in British-Indian eingeweiht wurde. Ein räumlich mächtiges Haus in der Tradition der europäischen Universalmuseen, initiiert von der örtlichen Asiatic Society of Bengal (siehe unten).
Noch vor nicht allzu langer Zeit waren die grafischen Kunstwerke der „Company Art“ für überschaubare Summen auf Auktionen zu erwerben. Heute fallen sie unter den Begriff der „Forgotten Masters“ und werden zu den bedeutendsten Malereien der historischen indischen Kunstschöpfung gerechnet.
K2M
► Als vergessene Meister gelten Kreative, die hierzulande so gut wie niemandem etwas sagen, aber im Land ihrer Väter Kultstatus besitzen. Zu ihnen zählen Shaikh Zain ud-Din (auch: Zainuddin), Bhawani Das, Shaikh Mohammad Amir von Karriah, Sita Ram und Ghulam Ali Khan.
► Der bengalisch muslimische Sheikh (Scheich) Zainuddin wurde durch seine ungeheuer präzisen und ästhetischen Gemälde, die mogulische und europäische Maltechniken und Materialien vereinten, berühmt. Die Arbeiten zeichnen sich durch hohen wissenschaftlichen Wert aus und werden im Ashmolean Museum in der Universität Oxford aufbewahrt.
Literaturhinweis:
Dalrymple, William: Forgotten Masters, Indian Painting for the East Indian Company (englisch), 192 Seiten, Verlag Philip Wilson Publishers 2020 ISBN-13: 978-1781-301012
► Wenn Sie mehr über historische und aktuelle Kultur am Beispiel der Megametropole Kolkata erfahren wollen, lesen Sie „City of Joy“ (hier).