Archiv 2024
FOTOGRAFIE
Cologne intime
Radikale Einzelgänger sorgten immer schon für Aufmerksamkeit, Schlagzeilen, gelegentlich für Argwohn in der Gesellschaft. Chargesheimer war so einer.
Chargesheimer Schildergasse, Köln, vor 1957, Gelatinesilberpapier 29,8 x 39,7 cm Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv, Köln Bildquelle © Museum Ludwig 2024 |
Der Kölner Künstler Chargesheimer (1924–1971), bürgerlich Carl Heinz Hargesheimer, war ein solches Individuum. Er galt als Kölner Urgestein, als einer, der vorzugsweise als freischaffender Fotograf in Erscheinung trat.
Chargesheimer war eine zentrale Fotografen-Persönlichkeit im Nachkriegs-Köln, ohne Titel (Selbstporträt), um 1970. Foto © Rheinisches Bildarchiv Köln / Chargesheimer, rba_cch005218_02
Chargesheimer Köln, um 1957. Gelatinesilberpapier 30,4 x 23,3 cm Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln. Bildquelle © Museum Ludwig 2024
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Am 19. Mai 2024 wäre er einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Museum Ludwig im Fotoraum eine Auswahl seiner Werke.
Chargesheimer wurde mit den Fotobüchern Cologne intime sowie Unter Krahnenbäumen bekannt, die der Stadt Köln und ihrem Alltagsleben gewidmet sind.
In der Ludwig-Präsentation sind dreiundvierzig der in diesem Zusammenhang entstandenen Fotografien zu sehen. Zwei Videos erlauben Einblicke in die Bildbände. Außerdem bezieht die Schau wenig bekannte Skulpturen – sogenannte Mediationsmühlen – von ihm ein und zeigt sechs seiner abstrakten Fotoexperimente.
Chargesheimer verfolgte zahlreiche Interessen. Ihn ausschließlich auf sein fotografisches Wirken – das unter anderem aus einzigartigen dokumentarischen Nachkriegs-Abbildungen seiner Kölner Heimat bestand – zu beschränken, griffe zu kurz.
Er war Fotograf und ein vielfach talentierter Künstler, der in den kargen 1950er-Jahren stets die engen Grenzen des damaligen Kulturbetriebes überschritt. Er galt als Bohemien und Provokateur, als radikaler Einzelgänger, er schuf Bühnenbilder und arbeitete als Theaterregisseur, baute kinetische Skulpturen und experimentierte mit neuen Fototechniken (mehr).
Chargesheimer Formlose Mitte, 1949, Gelatinesilberpapier, Lichtgrafik 59,6 x 47,7 cm, Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln. Bildquelle © Museum Ludwig 2024
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Letzteres bereits ab Ende der 1940er Jahre, als er begann, mit den Mitteln von Lichtgrafik und fotochemischen Prozessen Fotografien ohne Kamera herzustellen. „Schwenken, Wischen, Schaben, Abkühlen, Brennen – Zufügung von Säuren, Basen, Farben und Lacken“ so beschrieb er seine Experimente mit Fotoplatten und Negativen im Text zu seiner ersten Ausstellung in Mailand 1950. Die Ergebnisse dieser Foto-Experimente waren malerisch im Stil des damals dominierenden Informel. Beispiele dieser Fotokunst sind Arbeiten wie Formlose Mitte von 1949 sowie die Gelantinemalerei il suono (Der Klang) von 1950.
Chargesheimer Köln, vor 1957, Gelatinesilberpapier, 29,9 x 39,7 cm, Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv, Köln. Bildquelle © Museum Ludwig 2024 |
1957 erschienen Chargesheimers Fotografien in dem vom damaligen Leiter des Kölner Nachrichtenamtes, Hans Schmitt-Rost, betreuten Fotobuch Cologne intime. Der amtliche Auftrag lautete, repräsentative Aufnahmen des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Stadt anzufertigen. Dabei aber sollten auch die „typischen“ Kölnerinnen und Kölner im Bild festgehalten werden. Chargesheimer steuerte Fotografien bei, die sich durch einen ungewohnten und direkten Blick auf das Alltagsleben rund um den Dom auszeichneten.
Chargesheimer Unter Krahnenbäumen, Köln, vor 1958, Gelatinesilberpapier, 24,8 x 21,3 cm, Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln. Bildquelle © Museum Ludwig 2024
Chargesheimer Autobahnzubringer im Rechtsrheinischen, Köln, vor 1957, Gelatinesilberpapier, 39,7 x 29,8 cm, Museum Ludwig, Köln. Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv Köln. Bildquelle © Museum Ludwig 2024
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In seinem 1958 erschienenen Buch Unter Krahnenbäumen, das er alleine verantwortete, setzte er solche Fotografien zu kontrastreichen Motivserien zusammen.
Ungeschönt – aber auch ohne Zweifel sehr liebevoll – fotografierte er jene Straße in Köln, deren Name dem Buch seinen Titel leiht. Er zeigte das Straßen- und Kneipenleben eines noch intakten und lebendigen Kölner Viertels. Heinrich Böll schrieb im Vorwort: „Vielleicht wird nur in Straßen, wie diese eine ist, richtig gelebt.“
Aus den 1950er Jahren stammen ferner bemerkenswerte Schwarz-Weiß-Fotografien der lokalen Jazz-Szene. Chargesheimer dokumentierte die Gastkonzerte internationaler Jazz-Stars in mehreren Fotostudien. Darunter etwa die Tänzerin und Sängerin Josephine Baker im März 1953 mit Schnappschüssen hinter der Bühne oder die US-amerikanische Jazzsängerin Billie Holiday 1954 in den Kölner Messehallen. Diese Zeitdokumente sind allerdings nicht in der Schau vertreten.
Der Non-Konformist blieb lebenslang ein kritischer Geist. Sein Bildband Im Ruhrgebiet, der 1958 erschien und den Heinrich Böll mit einem kritischen Text anreicherte, löste im Revier einen Skandal aus. Wohl kaum zuvor hatten zwei Kölner dort so viel Emotionen und Reaktionen provoziert, soviel Kritik und Zorn auf sich gezogen.
Gut zehn Jahre später, ab 1967, schuf er die genannten kinetischen Skulpturen aus Plexiglas, seine Meditationsmühlen. Drei davon werden im Museum Ludwig nun nach rund zwanzig Jahren erstmals wieder präsentiert.
In den kuppelförmigen Konstruktionen sind über mehreren Ebenen kristalline Elemente aus Plexiglas organisiert, die durch ein komplexes Zahnradsystem in Bewegung gesetzt werden.
Die verwirrende Fülle der Plexiglasprismen mit ihren Lichtreflexen bildet einen auffälligen Kontrast zur präzisen Mechanik der Zahnräder. Chaos und Kontrolle scheinen sich hier zu ergänzen, betont das Museum.
bra
Die Ausstellung Chargesheimer im Fotoraum des Museum Ludwig kann bis zum 10. November 2024 besucht werden.
Museum Ludwig
Heinrich-Böll-Platz
50667 Köln
Telefon 0221 / 221-26165
Öffnungszeiten:
DI – SO 10 – 18 Uhr
jeden ersten DO 10 – 22 Uhr
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