Archiv 2016
SKULPTURENHALLE SCHÜTTE
Ein Kunstwerk für Kunst
Der Bildhauer Thomas Schütte (61) hat sich ein Denkmal gebaut. Nicht irgendetwas barock-protzig Banales, eher etwas sachlich Kühles, etwas Norddeutsches. Es ist eine begehbare Heimstatt: In der Formensprache eigenwillig, ja geradezu mutig, in der Anmutung elegant und faszinierend. Eine Skulpturenhalle für fremde und eigene Werke und den Nachruhm.
Skulpturale Architektur in der Landschaft. Das neue Privatmuseum der Schütte-Stiftung ist ein markantes Gebäude auf einer leichten Anhöhe zwischen den Kunstarealen der Hombroicher Raketenstation und der Museumsinsel Hombroich in der Erftaue. Das auskragende Dach hat außen eine metallene Untersicht und wirkt daher sehr leicht. Foto © rART 2016 |
Man muss sich schon selbst ein Bild machen von dem, was der international renommierte und weltweit bekannte Künstler Thomas Schütte mit Wohnsitz Düsseldorf auf einem Acker nahe des Kunst-Hotspots „Raketenstation Hombroich“ in Neuss errichten ließ.
Denn dann wird schnell klar, welch enormes Unterfangen jetzt erfolgreich und überzeugend abgeschlossen wurde. Der Schüttebau ist längst keine konventionelle „Kunsthalle“ in der niederrheinischen Landschaft. Die weit geschwungene Dachkonstruktion, teils silbrig glänzend, auf einer leichten Anhöhe signalisiert schon von Weitem: Hier ist etwas höchst Ambitioniertes entstanden.
Der Innenraum wird aus der hölzernen Konstruktion der Speichenraddecke, Wänden aus Sichtbeton und einem geölten und gewachsten Betonboden bestimmt. Im Zentrum der Halle steht ein eigener Raum, als umgedrehter Doppelkonus, die Ringofenklinker aus dem Außenbereich zitierend. Foto © Architekturbüro RKW Rhode, Kellermann, Wawrowsky Düsseldorf 2016 |
High-Tech-Halle Es ist eine 700 Quadratmeter ausmachende, ellipsenförmige Ausstellungshalle mit allen Raffinessen und modernster Technik. Mit vaiierenden Raumhöhen von viereinhalb bis acht Metern; in der Hallenmitte öffnet sich ein ovaler kleiner Raum, den Schütte selbst als „Die Kapelle“ tituliert. Kein Meditations- und schon gar kein Betrefugium, ein Schauraum. Dort kann, im Gegensatz zu den restlichen Wänden, Kunst auch aufgehängt werden. Denn ansonsten, so der Bildhauer, sei sein neuer Ausstellungsort eine reinrassige Skulpturenhalle, in der sich kein Nagel in die Betonwände verirrt.
Klare Formen und ästhetisch ansprechende Details bestimmen auch das Nebengebäude. Dort wurden für die plastisch behandelte Außenwand Ringofenklinker verwendet. In regelmäßigen Abständen ragt immer ein Ziegelkopf leicht aus der Wand heraus. Es entsteht so ein lebendiges Rautenmuster mit Licht- und Schattenspielen. Foto © rART 2016 |
Bibliothek und Archiv vor der Inbetriebnahme. Mit dem unterirdischen Lager und den Nebengebäuden umfasst der Museumskomplex rund 2.000 Quadratmeter. Foto © rART 2016
Lichtschacht und Eingangsfront des Verwaltungs- und Bürotrakts mit grünen Stahlbaublenden Foto © rART 2016
Die Fassadenbekleidung der Halle besteht aus Pappelholz. Die senkrechten Lamellen erzeugen eine große Plastizität. So verschwimmen die Grenzen zwischen der massiven Betonwand und dem transparenten Dach, getrennt durch ein Oberlichtband. Im Hintergrund die Chillida-Skulptur Foto © rART 2016
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Ungewöhnlich Dem Komplex sind auch ein Kuratoren-Büro, ein Ticketschalter, eine Bibliothek mit Archiv und vor allem ein gewaltiges Depot von rund 800 Quadratmetern im Untergeschoß angegliedert.
Das hochgesicherte Lager in der Tiefe enthält einen klimatisierten Grafikraum, in dem Schütte seine sensiblen Zeichnungen, Skizzen, Gemälde und Pläne einlagern will. Der riesige Kellerraum mit seinem Betonboden und den kahlen Wänden ist dimesioniert wie eine übergroße Tiefgarage.
Die Deckenhöhe erlaubt es, auch Schüttes größte Skulpturen sachgerecht und dauerhaft dort einzulagern. Raum braucht der Bildhauer, denn allein seine 18 „Frauen“-Skulpturen würden, so erklärt er, bereits ein Viertel des Lagers füllen.
Ingesamt wirkt das neue Privatmuseum wie ein architektonisches Abenteuer, dem sich das Düsseldorfer Architekturbüro RKW (Rhode, Kellermann, Wawrowsky) stellte.
Dreieinhalb Jahre planten die Architekten in enger Abstimmung mit dem Bauherrn, der in dieser Zeit sieben Baumodelle fertigte, ehe RKW mit der Umsetzung beauftragt wurde.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Kartoffelchip, die -und sie trifft sicher zu - nicht nur amüsant und fast typisch für Schütte ist. Lässt sie doch auf Ideenquell, Technik und künstlerische Arbeitsweise des gebürtigen Oldenburger schließen.
Weder Auster, Blume, Eisscholle noch ein Insekt waren Impulsgeber bei der Formfindung. Die Genese des Bauprojekts geht nach Schüttes Lesart auf eine Bastelei mit einer Streichholzschachtel und einem Pringelchip, beides am Kiosk erstanden, zurück. Schütte, der schon aufgrund seiner Kunst über große Erfahrung im Entwerfen von Gebäuden verfügt (mehr), hatte in seinen Baukasten gegriffen und die beiden Objekte kombiniert: das Zündholzpäckchen unten, das frittierte Naschwerk darüber. Die Idee war geboren, die letztendliche Form errechnete und konstruierte das Architekturbüro.
Etwas Bleibendes Offensichtlich war es eine einfache aber doch grundlegende Frage, die den Bildhauer zunehmend umtrieb: „Wohin mit dem Zeugs, wenn man tot ist?" Das Zeugs, dies sind seine Kunstwerke, etwa Bronze-Kreaturen, einige mehr als mannshoch, Frauenskulpturen zum Beispiel oder Männerköpfe, auf dem Kunstmarkt begehrt, weltweit ausgestellt.
Von Schütte stammen die berühmten übergroßen Holzfiguren mit dem Titel „Der Krieger 1 + 2“, die Keramikgruppe „Die Fremden“ oder die im urbanen Raum unheimlich, geradezu einschüchternd wirkenden Figuren der Serie „Ganz große Geister“.
„Ich wollte etwas Bleibendes schaffen", erklärte Schütte bei der Eröffnung seines neuen Heimplatzes. Der mehrfache Documenta-Teilnehmer und Preisträger des Goldenen Löwen 2005 der Biennale Venedig hat dafür eine Stiftung gegründet. In die brachte er seine 18 „Frauen-Skulpturen“ sowie weitere Großwerke ein.
Thomas Schütte (*1954 Oldenburg) studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und ist Richter-Schüler. Foto © rART 2016
Fast futuristisch in der niederrheinischen Landschaft: die Skulpturenhalle am Abend Foto © Thomas Schütte Stiftung, Nic Tenwiggenhorn 2016
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Der Erlös aus dem Verkauf solcher Arbeiten, so tat er kund, habe die Baukosten in Höhe von rund 6,5 Millionen Euro - die im Übrigen im Rahmen des Budgets geblieben seien - gedeckt und den Lager-und Museumsbetrieb bis etwa 2020 gesichert.
Mit der Stiftung verfolgt Schütte noch einen weiteren Zweck. Sein Kunstwerkebestand, der aufgrund einer bekanntlich eher selektiven und restriktiven „Marktversorgung“ durch den Künstler von beträchtlicher Größe ist, will nicht nur gelagert, sondern auch verwaltet werden – und zwar über den Tod hinaus. Denn auch danach, so Thomas Schütte, soll noch Geld verdient werden.
Das Areal für Schüttes Skulpturenhalle ist mit Bedacht vom Künstler gewählt. Nicht häufig finden sich in Deutschland Orte, die eine Kombination skulpturaler Architektur und Landschaft, hier konkret eines Ausstellungshauses und der freien Natur, zulassen.
Die Halle befindet sich dazu in äußerst erlesener Nachbarschaft. In unmittelbarer Nähe auf der ehemaligen Raketenstation hat der japanische Star-Architekt Tadao Ando das Museum der Langen Foundation in die Erde getrieben (mehr), Alvaro Siza einen Ausstellungspavillon errichtet (mehr) und Raimund Abraham das Musikerhaus gebaut (mehr). Hangabwärts auf der Museumsinsel Hombroich stehen die Pavillons von Erwin Heerich (mehr). Verstreut dazwischen das Kirkeby-Feld mit Drei-Kapellen, Sammlung Kahmen, dem Feld-Haus (mehr) und die große Skulptur des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida (1924-2002), die angesichts des markanten und eleganten Schüttebaus an optischer Wirkung leider eingebüßt hat.
Schüttes Skulpturenhalle ist kein integraler Bestandteil dieser Kulturplätze der Stiftung Insel Hombroich, sondern ein auf eigenem Grund errichteter, eigenfinanzierter Ausstellungskomplex, dessen Bau- und Unterhaltskosten der Bildhauer und seine Stiftung tragen.
cpw
► Thomas Schütte beabsichtigt, zwei Mal jährlich in der Halle Ausstellungen zu zeigen. Den Auftakt macht aktuell eine Schau mit Werken des italienischen Arte Povera-Klassikers Mario Merz (1925-2003).
Skulpturenhalle
Thomas Schütte Stiftung
Berger Weg 16
41472 Neuss / Holzheim
Tel. 02182 - 829 85 20
Öffnungszeiten
FR - SO 10-18 Uhr