Archiv 2017
STATUS REPORT GURLITT
Die Kunst kann nichts dafür...
Der „Fall Gurlitt“ und kein Ende. Die Bundeskunsthalle Bonn und das Kunstmuseum Bern zeigen in einer Doppelausstellung unter dem Generaltitel „Bestandsaufnahme Gurlitt“ Kunstwerke, die vor fünf Jahren als „Schwabinger Kunstfund“ weltweit für Schlagzeilen sorgten.
Max Beckmann (1884–1950) Zandvoort Strandcafé 1934 Gouache und Aquarell auf Papier 49,8 x 64,8 cm www.lostart.de/478550 VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Seit 2014: Nachlass Cornelius Gurlitt. Foto: David Ertl, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Endlich, so mag mancher denken, kann angesehen werden, was lange verschlossen, versteckt oder verheimlicht wurde und mangels Fakten für alle Spekulationen offen war: "Nazi-Schätze".
Aristide Maillol (1861–1944) Weiblicher Rückenakt o. J. Rötel auf Vergépapier 41,5 × 34 cm, www.lostart.de/DE/ Fund/478453 Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung. Foto: Mick Vincenz © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Privatfoto aus dem Nachlass Cornelius Gurlitts, Fotograf und Zeitpunkt der Aufnahme unbekannt. Historische Aufnahme aus Cornelius Gurlitts Salzburger Haus. Abgebildet sind Claude Monets Waterloo Bridge, Pablo Picassos Stillleben mit Glas und Früchten, Auguste Rodins Danaide und auf dem Regal die Darstellung eines Falken, ein Uschebti und eine Lekythos. Fotoquelle: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
M.R.(?) Kind am Tisch o. J. Aquarell, Grafit und Deckfarbe auf Velinpapier 50,1 × 32,7 cm, www.lostart.de/DE/Fund/477899 Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung. Foto: David Ertl, 2017 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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Nichts dergleichen! Die mediale Sensationsheische, genährt durch das Schweigen der Verantwortlichen, nahm seinerzeit bizarre Züge an. Auch seriöse Medien heizten ohne genaue Kenntnisse mit emotionalen Reportagen den Hype um die mysteriöse Kunst aus dem Privatbesitz eines alten Mannes an (mehr).
Es ist alles viel nüchterner und in Wirklichkeit ein Skandal: Der „Fund“ im Jahre 2012 war nie einer, sondern eine Beschlagnahme unter rechtlich fragwürdigen Mitteln. Der hypothetische Milliarden-Wert des als „Nazi-Schatz“ titulierten Kunstkonvoluts schmolz unter sachkundiger Bewertung auf Millionen zusammen. Aus dem legalen Nachlass des seinerzeit 80-jährigen Cornelius Gurlitt, der 1578 Objekte umfasste und schnell und übereifrig als „NS-Raubkunst“ etikettiert wurde, konnten bisher nur sechs als solche identifiziert werden.
Die Herkunft, also Provenienz, vieler Objekte ist noch immer unklar oder lückenhaft, einiges wohl unbedenklich. Die eingesetzte „Task-Force Schwabinger Kunstfund“ konnte für zwei Drittel des Kunstbestandes, der damals in den Wohnungen des Händlersohns Cornelius Gurlitt in München und Salzburg beschlagnahmt wurde, „die Herkunft nicht mit zufriedenstellender Sicherheit“ ermitteln, stellte die Schweizer NZZ fest.
Von dem anfänglichen Verdacht, „es handele sich um eine der größten Raubkunstsammlungen in der Geschichte der Bundesrepublik“, ist, wie es die FAZ schon im letzten Jahr schrieb, wenig geblieben. Vieles spräche dafür, dass der Erbe Cornelius Gurlitt (1932-2014) „ein heillos überfordertes Bauernopfer von Justiz und Politik“ gewesen sei.
In der Tat: Der Umgang der bayerischen und der deutschen Behörden in Sachen Beschlagnahme wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung darf rückblickend durchaus als beschämend bezeichnet werden. Das Magazin SPIEGEL sieht in der Ausstellung in Bonn, die von Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Auftrag gegeben worden ist, daher auch den Versuch „das umstrittene Vorgehen des deutschen Staates zu rechtfertigen“.
Um welche Kunst geht es? Zum einen um Moderne-Werke, die auf Hitlers Anweisung ab 1937 in deutschen Museen als „entartet“ eingezogen wurden und gegen Devisen ins Ausland verkauft werden sollten.
Zum anderen um Kunstwerke, die aus dem Besitz verfolgter, meist jüdischer Künstler und privater Sammler stammten, die dem NS-System zum Opfer fielen. Es geht aber auch um Objekte, die Hildebrand Gurlitt im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit als prominenter Kunsthändler im „Dritten Reich“ zu Schleuderpreisen etwa auf den Kunstmärkten der besetzten Gebiete angekauft hatte.
Ausstellungsansicht Vitrine mit Geschäftsbuch und Dokumenten des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt und einer Fotografie der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ (mehr) im Düsseldorfer Museum Kunstpalast 1938. Foto: David Ertl, 2017 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Die Bonner Schau zeigt 250 Werke und trägt den Untertitel „Der NS-Kunstraub und die Folgen“; sie ist ohne Zweifel wichtig und von den Verantwortlichen sorgfältig aufbereitet.
Wer sie besucht, kann eigentlich wenig genießen. Der Vorgang hat ein Geschmäckle und die gebotene Kunst ist als Sammlung zusammengesetzt wie das Angebot aus einem Bauchladen. Von allem etwas, für jeden etwas: Zeichnungen, Druckgrafiken, Gemälde, Skulpturen, Dokumente und Archivmaterial, Fotografien. Die Schau spiegelt damit, um was es sich eigentlich handelt: um einen an Kundenbedürfnissen orientierten Händlerbestand. Darunter Hunderte von Papierarbeiten, die für einen alten, harmlosen Mann - eben Cornelius Gurlitt - den Lebensinhalt bildeten.
Camille Corot (1796–1875) Ernteszene o. J. Öl auf Leinwand, doubliert 25,0 × 33,6 cm (mehr) www.lostart.de/DE/Fund/532971 Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung / aktuell kein Raubkunstverdacht. Foto: Mick Vincenz © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH |
Im München-Salzburger-Konvolut finden sich aber durchaus Arbeiten namhafter Künstler der Moderne und auch andere Hochkaräter: Lucas Cranach etwa, Corot, Kandinsky, Kirchner, Manet, oder Dix und Dürer, auch einen Picasso kann man in Bonn sehen.
Nicht hingegen das teuerste Bild aus dem Gurlitt-Bestand, Cézannes „La Montagne Sainte-Victoire“ von 1897. Das zwar Provenienzlücken aufweisende, aber „saubere“, also nicht unter NS-Raubkunstverdacht stehende Werk, wird auf 50 Millionen Euro taxiert und soll in Bern ausgestellt werden. Dass in Bonn alles in allem keineswegs von einer einmaligen „phantastischen Bilderschau“ oder einer Sensation gesprochen werden kann – dafür kann die Kunst jedoch nichts! Vielmehr ist es diesen Arbeiten zu wünschen, dass das ihnen anhängende fragliche Image alsbald Geschichte ist.
Auguste Rodin (1840–1917) Kauernde, Ca. 1882 Marmor 33,5 x 27,5 x 18 cm, www.lostart.de/521802 Foto: Albrecht Fuchs © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Max Liebermann (1847–1935) Selbstporträt, nach links gewandt o. J. Kohle auf Velinpapier, 28,9 × 19,9 cm, www.lostart.de/DE/Fund/533067 Legat Cornelius Gurlitt 2014, Provenienz in Abklärung. Foto: Mick Vincenz © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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Garniert werden die Exponate in der Bundeskunsthalle mit geschichtsträchtigen Informationen, von einer Schautafel zu den Nürnberger (Rasse-)Gesetzen bis hin zu Paris als Tummelplatz des Kunsthandels und Hitlers „Sonderauftrag Führermuseum Linz“. Dreh- und Angelpunkt ist dabei stets Hildebrand Gurlitt, dessen Werdegang die Schau nachzeichnet, eingebettet in den historischen Kontext. Das macht die Präsentation durchaus interessant, wirkt aber eher wie eine Art Geschichtsparcours mit weniger kunstgeschichtlicher als geschichtlicher Unterfütterung.
Rein Wolf, Intendant der Bundeskunsthalle, machte deshalb zum Ausstellungskonzept klar: Sein Haus sehe es zwar als „historische Aufgabe, das Wirken von Hildebrand Gurlitt aufzuarbeiten“. Es gehe aber auch darum, aufzuzeigen, welche Rolle die Kunst in der NS-Zeit spielte, wie nationalsozialistische Kulturpolitik funktionierte und wie die Adolf Hitler direkt unterstellte Linz-Organisation wirkte, um aus der österreichischen Donaustadt ein Kunstmekka mit einem „Führermuseum“ zu formen. Und für dieses Projekt war schließlich Hildebrand Gurlitt als Hauptkunsthändler skrupellos aktiv. Zwischen Mai 1941 und Oktober 1944 vermittelte er in dieser Sache mindestens 300 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Tapisserien - vorwiegend aus dem besetzten Frankreich - im Gegenwert von knapp 9,8 Millionen Reichsmarkt, wie es in der Ausstellung heißt.
„Kunst war komplett Chefsache“, so Rein Wolfs, und der Ex-Museumsleiter und Kunstexperte Hildebrand Gurlitt sei in der NS-Spitze angesiedelt gewesen. Sohn Cornelius hatte das Erbe verwaltet, nicht mehr und nicht weniger, und gelegentlich, zwecks Liquidität, das eine oder andere diskret aber legal veräußert. Ob er um die Brisanz mancher Werke wusste, kann angenommen aber nicht mehr bewiesen werden.
Bemerkenswert in der Schau sind die als „Stolpersteine“ ausgewiesenen Opferbiographien. Es sind - unglücklich formuliert - "Fallbeispiele" von NS-Opfern jüdischer Herkunft, die jenen Werken zugeordnet sind, die ihnen einst gehörten.
Nur zwei Beispiele: So mussten der Frankfurter Textilhändler Max Braunthal und der Leipziger Musikverleger Henri Hinrichsen Einzelwerke oder Sammlungen veräußern, um der NS-Verfolgung zu entgehen. Braunthal und seine Familie wurden 1942 in Frankreich interniert, entkamen und überlebten. Hinrichsen wurde im selben Jahr in Auschwitz ermordet.
Letztendlich auch bemerkenswert bleibt, dass in der Ausstellung nirgendwo deutlich erkennbar wird, dass Cornelius Gurlitt staatliches Unrecht widerfuhr, als man ihm seine Bilder wegnahm.
Claus P. Woitschützke
► Hildebrand Gurlitt war im Nachkriegsdeutschland auch im Rheinland wohlgelitten. Im Januar 1948 übernahm er die Leitung des traditionsreichen Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf und „war damit wieder in Amt und Würden“, wie die Kuratoren der Bundeskunsthalle vermerken. Bis 1956 realisierte er rund 70 Ausstellungen mit deutschen und europäischen Spitzenkünstlern und verdoppelte die Mitgliederzahl des Kunstvereins.
► Im Grußwort zum Katalog betont die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, die Schauen in Bern und Bonn seien weit mehr als eine Bestandaufnahme. Sie lieferten einen „wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung“ der NS-Gewaltherrschaft.
Die Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt – Der NS-Kunstraub und die Folgen“ wird bis zum 11. März 2018 gezeigt.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Friedrich-Ebert-Str. 4
53113 Bonn
Tel +49 228 9171-0
Öffnungszeiten
DI, MI 10 – 21 Uhr
DO – SO 10 – 19 Uhr
Die Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt – ´Entartete Kunst´ – Beschlagnahmt und verkauft“ wird bis zum 4. März 2018 gezeigt.
Kunstmuseum Bern
Hodlerstr. 8 – 12
3011 Bern CH
Tel +41 31 328 09-44
Öffnungszeiten
DI 10 – 21 Uhr
MI-SO 10 – 17 Uhr
Zitate aus:
- FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.1.2016 „Unordnung und spätes Leid“ von Julia Voss
- NZZ Neue Zürcher Zeitung vom 4. November 2017 „Was geschieht mit Kunst, deren Herkunft wir nie erfahren?“ von Florian Schmidt-Gabain
- DER SPIEGEL Nr. 44/2017 „Ein retuschiertes Bild“ von Ulrike Knöfel