ZUM TOD VON BERTHOLD BEITZ (* 26. September 1913, † 30. Juli 2013)
Buchcover
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Berthold Beitz: Manager und Mäzen
„Was für ein Leben!“
(Helmut Schmidt, 2010)
Vor einem Vierteljahrhundert war die Villa Hügel in Essen Schauplatz der ersten gesamtdeutschen Kunstausstellung. „Barock in Dresden“ bot seinerzeit dem westdeutschen "Klassenfeind“ spektakuläre Kunstschätze aus der sächsischen Glanzzeit August des Starken. Die sensationelle Schau zeigte Gemälde von Rembrandt, Rubens und Tizian sowie Exponate aus dem Grünen Gewölbe. Initiator dieser bahnbrechenden Kulturförderung: der Mittler und Vorreiter der neuen Ostpolitik, Krupp-Chef Berthold Beitz.
ES SEI daran erinnert, dass diese kulturelle deutsch-deutsche Annäherung zu einer Zeit stattfand, als Ostdeutschland noch Deutsche Demokratische Republik hieß und ihr Regierungschef Erich Honecker, als Bonn noch die beschauliche Hauptstadt der westdeutschen Bundesrepublik war und ihr Bundeskanzler Helmut Kohl. Dass für diese Ausstellung ausgerechnet einer der symbolträchtigsten Orte des deutschen Kapitalismus – die Villa Hügel als Stammsitz der Krupp-Dynastie - den Rahmen stellte, kann wohl nur durch das jahrzehntelange erfolgreiche Ostengagement von Berthold Beitz erklärt werden. Denn als eine der Zentralfiguren der deutschen Industrie und Pionier der Entspannung ebnete Beitz dem West-Ost-Handel den Weg und genoss hohes Vertrauen im sogenannten „Ostblock“.
Neubau Museum Folkwang Innenhof, Blick von der Goethestrasse, November 2009
Gartenansicht der denkmalgeschützten Villa Hügel, erbaut 1864 und Stammsitz der Familie Krupp. Seit 1954 ist die Villa Zentrum für Kunst und Kultur
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Das Folkwang-Engagement
24 Jahre später, im Januar 2010, weihte der Mäzen von der Ruhr das größte einzelne Kulturprojekt, das je von der Krupp-Stiftung finanziert wurde, ein: das neue Museum Folkwang. Die Krupp-Stiftung, deren Kuratoriumsvorsitz Beitz seit 1968 inne hatte, ist nach wie vor der gewichtigste Aktionär des heutigen ThyssenKrupp-Konzerns. Das vom britischen Stararchitekten David Chipperfield entworfene neue Folkwang-Gebäude stellte einen markanten Kristallisationspunkt im Rahmen der Ruhr 2010 und in der zur europäischen Kulturhauptstadt erhobenen alten Stahl- und Kohlemetropole Essen dar. Im Grunde, so schreibt Joachim Käppner in seiner Biografie über Berthold Beitz, habe sich Beitz damit einen Traum erfüllt, „ ... jenen, der 1963 mit dem Mies van der Rohe-Projekt gescheitert ist, nämlich in Essen ein helles, lichtes Werk moderner Baukunst zu schaffen“.
622 Seiten Zeitgeschichte
Nachzulesen sind diese und zahlreiche andere kulturelle und wirtschaftliche Engagements durch Beitz und die Krupp-Stiftung in der großartigen Biografie „Berthold Beitz“ von Joachim Käppner. Der Ex-Konzernchef gab bis zu seinem Tode nur wenig Interviews und erzählte nie viel von sich selbst – bis zu diesem Buch. Käppner, renommierter Historiker im Dienste der Süddeutschen Zeitung, hatte uneingeschränkten Zugang zum Archiv der Krupp-Stiftung sowie erstmalig zum Privatarchiv der Familie Beitz. Er beschreibt das faszinierende Leben von Berthold Beitz, des ohne Zweifel über Jahrzehnte maßgeblichen Industriellen in Deutschland. Es ist die Biografie eines Mannes, der Zeitgeschichte geschrieben hat.
Bei der Präsentation des Buches im November 2010 mangelte es nicht an Superlativen in der Presse. Von einer „publizistischen Sensation“ sprach das Düsseldorfer Handelsblatt. Die Wochenzeitschrift DIE ZEIT urteilte, „ein großes Buch über einen großen Mann“, gründlich recherchiert, gut geschrieben „und bis zur letzten Seite fesselnd. Eine Jahrhundertgeschichte.“ Und Ex-Kanzler Helmut Schmidt, Verfasser des Vorwortes, befand hanseatisch knapp: „Was für ein Leben! Was für eine Lebensleistung!“
Hinter den Kulissen
Berthold Beitz, 1913 in Pommern geboren, wurde 1953 von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach als Generalbevollmächtigter in das Stahl-Unternehmen geholt, das zum Sinnbild von deutschen Kriegen und Kanonen geworden war. In den Folgejahren formte Beitz das Unternehmen Krupp zu einem zivilen, modernen Konzern um. Unbeirrt von der feindlichen Natur seiner Gegner und frei von Ideologien war Beitz einer der Vordenker der neuen Ostpolitik und sprach sich beispielsweise schon früh für die Zwangsarbeiter-Entschädigung aus.
Erst spät wurde bekannt, dass er 1942 bis 1944 als Leiter eines Ölunternehmens im damals polnischen Galizien Hunderten von verfolgten Juden das Leben gerettet hat. Von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde er dafür als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Heute, in einer Zeit, in der Gier und Verantwortungslosigkeit das Vertrauen in die Marktwirtschaft erschüttert haben, sind die Prinzipien aktueller denn je, für die der Manager und Mäzen Berthold Beitz ein Leben lang stand: Ausgleich, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung.
Allein schon die Biografie-Kapitel über Beitz´ Wirken in jungen Jahren sind beeindruckend. Vor allem seine Zeit im besetzten Galizien, das Kriegsende und der Neubeginn sind es unbedingt wert, gelesen zu werden. Darüber hinaus bietet sich dem an Wirtschaftshistorie im Nachkriegsdeutschland Interessierten ein einzigartiger Fundus an Hintergrundinformationen.
Machtkämpfe im Krupp-Konzern, Nachkriegsjahre, Wiederaufbau an Rhein und Ruhr, Industrieklubs, Rheinischer Kapitalismus, Adenauer-Ära, Stiftungsgründung und Stahlkrise: Stoff genug, um aus berufenem Munde zu erfahren, was hinter den Kulissen im beschaulich-rheinischen Bonn jener Jahre gedacht, geplant, was hinter den hochherrschaftlichen Türen der Villa Hügel in Essen bei Krupp entsprechend beschlossen wurde.
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach mit Lehrlingen in der Radsatzwerkstatt, Essen, 1961 |
2011: 200 Jahre Krupp
Die 1811 von Friedrich Krupp in Essen gegründete Gußstahlfabrik ist die Keimzelle des Weltkonzerns. Anlässlich der sich zum 200. Male jährenden Gründung zeigte die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ab Juni 2011 erstmals eine umfassende Ausstellung (mehr) von Fotografien der Krupp-Geschichte. Unter dem Titel „Krupp – Fotografien aus zwei Jahrhunderten“ wurde in 15 Räumen der Villa Hügel Bedeutungsvolles aus der einzigartigen Sammlung des Historischen Archiv des Unternehmens Krupp präsentiert. Überwiegend waren es Fotografien, die bislang noch nie öffentlich vorgestellt wurden. Ein Höhepunkt der Schau war ein acht Meter langes Panoramabild der Gußstahlfabrik von 1864.
Claus P. Woitschützke
► Die Krupp-Stiftung fördert laut Satzung „Wissenschaft in Forschung und Lehre; Erziehungs- und Bildungswesen; Gesundheitswesen; Sport, Literatur, Musik und bildende Kunst“. Von den bis zum Jahre 2010 von der Stiftung zugesprochenen Fördermitteln von rund 600 Mio. EUR flossen 56% in Projekte innerhalb des Rhein-/Ruhrgebietes. Davon ist mit 55 Mio. EUR das Museum Folkwang in Essen das größte Einzelprojekt.
Joachim Käppner
Berthold Beitz
Die Biografie
Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt
622 Seiten, gebunden
2010 Berlin Verlag GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8270-0892-3
Preis EUR 36,-
© Fotos: 1 Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, 1 Berlin Verlag GmbH, 1 Folkwang Museum