Archiv 2020
ZUR ERINNERUNG
Madame Morisots Welt
Es war nur eine Frage der Zeit, dass man ihr große Ausstellungen widmete. Die französische Malerin Berthe Morisot, deren Werke zeitweise mehr kosteten als jene ihres Malerkollegen Edgar Degas, war eine Pionierin und trieb den Impressionismus entscheidend voran.
Berthe Morisot (1841-1895) In England (Eugène Manet auf der Isle of Wright) 1875, Öl auf Leinwand, 38 x 46 cm, Paris, Musée Marmottan- Claude Monet Fondation Denis und Annie Rouart, Nachlass Annie Rouart, 1993, © Musée Marmottan Monet, Paris/ The Bridgeman Art Library/ Service presse |
Entgegen allen Gewohnheiten ihrer Zeit und ihres Milieus: Bis zu ihrem Tod spielte Berthe Morisot (1841–1895) eine bedeutende Rolle in der Pariser Avantgarde. Derzeit wird an ihren 125. Todestag erinnert. Sie gilt heute als Malerin des modernen Lebens, als eine Meisterin in Unfertigkeit und als eine der erfindungsreichsten Künstlerinnen ihrer Zeit, radikaler in ihrer impressionistischen Auffassung als ihre berühmten männlichen Kollegen.
Berthe Morisot Selbstportrait, 1885, Öl auf Leinwand, 61 x 50 cm , Paris, Musée Marmottan- Claude Monet, Fondation Denis et Annie Rouart, © Musée Marmottan Monet, Paris/ The Bridgeman Art Library/ Service presse
Berthe Morisot Le Berceau (Die Wiege) 1872, Öl auf Leinwand, 56 x 46 cm (Musée d’Orsay, erworben vom Louvre, 1930, RF2849) Foto © Musée Marmottan Monet, Paris / Bridgeman Images
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Es besteht kein Zweifel, Morisot war eine zentrale Figur in der Pariser Kunstszene, als Frau blieb sie gleichwohl eine Rarität in der malenden Clique Mitte des 19. Jahrhunderts. Und dennoch nahm sie an sieben von acht Ausstellungen der Impressionisten in Paris teil!
Berthe Morisot wurde nur 54 Jahre alt, eine brillante Künstlerin, die jedoch nach ihrem Tode in eine Randrolle der Kunstgeschichte abrutschte. Oder vielleicht auch bewusst gestellt wurde?
Bei der letzten großen Retrospektive im Pariser Musée d´Orsay im September 2019 hieß es: „Die Tatsache, dass sie heute weniger bekannt ist als die anderen Impressionisten, hängt zweifellos damit zusammen, dass sie eine Frau war.“ Sie hätte zeitlebens als charmantes Talent gegolten, wurde aber wohl nie recht ernst genommen und als echte Künstlerin gewürdigt.
In den frühen 1870er Jahren ließ Morisot die akademische Malweise hinter sich und entwickelte sich zu jener aus heutiger Sicht ernstzunehmenden Künstlerin, die den „weiblichen Blick“ des Impressionismus mitprägte. Berühmtes Beispiel ist ihr Werk "Die Wiege". 1872 fand sie im Kunsthändler Paul Durand-Ruel einen frühen Förderer ihrer Kunst, denn der Mäzen erwarb 22 ihrer Gemälde.
Ihre Themen und Motive sind typisch für die impressionistische Malerei: Mondäne Damen im Portrait, Hafen- und Flusslandschaften mit Lichtspiegelungen auf dem Wasser, Familien- und Gesellschaftsbilder mit Tochter, Ehemann, Kindermädchen und Freundinnen im Garten.
Morisot wird heute vor allem als Schöpferin von zunehmend „unvollendeten“ Bildern beschrieben. Ihre Technik und ihre radikalen Experimente mit dem Konzept des Vollendeten und Unvollendeten in ihrem Werk stellt den Prozess des Malens selbst in den Mittelpunkt.
Charles Reutlinger Portrait von Berthe Morisot, Fotografie um 1875, Foto © Musée Marmottan Monet, Paris / Bridgeman Images
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Das Malen nach Vorlage ermöglichte es ihr, mehrere Themen des modernen Lebens zu behandeln, wie zum Beispiel die Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft, die Vorliebe für Kurorte und Gärten, der Stellenwert der Mode, die Hausarbeit der Frauen. Dabei verwischte sie die Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen privatem und öffentlichem Leben, hinterließ ihrem Konzept entsprechend Vollendetes und Unvollendetes absichtlich. Ihrer Meinung nach musste die Malerei „ein Geschehen festhalten".
Morisot war noch keine Mittdreißigerin, als sie gemeinsam mit Claude Monet, Edgar Degas, Auguste Renoir, Camille Pissarro und zwei Dutzend weiteren Künstlern 1874 die Gruppe der Unabhängigen gründete, die noch im selben Jahr ihre erste Ausstellung in Paris eröffnete. Diese Maler wurden später Impressionisten genannt und die legendäre Ausstellung ging als finanztechnischer Totalausfall in die Kunstgeschichte ein. Denn die rund 200 Exponate starke Schau im Nadar-Atelier auf dem Boulevard des Capucines 35 in Paris wurde von der Fachwelt zerrissen. Doch das ist eine andere Geschichte!
bra
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