rheinische ART
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rheinische ART 04/2013

 

ARCHIV 2013

Rijksmuseum Amsterdam

 

Großes zwischen Grachten

 

 

Nach einem Jahrzehnt Umbau zeigt sich eines der berühmtesten Museum der Welt in neuem Glanz - grandios inszeniert, Architektur und Sammlung als Einheit einer neuzeitlichen Denk- und Sehweise angepasst. Das Amsterdamer Rijksmuseum, die „Schatzkammer der Niederlande“, hat mit seinen alten Traditionen gebrochen und neue museale Wege beschritten, in dem es die Grenzen der Kunstsparten aufhebt. Ein Wegweiser für andere Kunst-Kathedralen.

 

IN ZEITEN kommunaler Finanzmängel, Spardiktaten und Investitionseinschnitten bei Kulturhäusern, Ankaufstopps oder gar Schließungsgedanken von Museen sind die Zahlen aus der niederländischen Hauptstadt mehr als beeindruckend: Zehn Jahre Entkernung, Renovierung, Modernisierung und Umbau, und damit mehr als doppelt so lange wie ursprünglich geplant, satte 375 Millionen Euro Baukosten, was einer Budgetüberschreitung von 30 Prozent entspricht, einzigartige Kunst auf einer Ausstellungsfläche von 13.000 Quadratmetern, präsentiert entlang eines 1,5 Kilometer langen Rundgangs.

 

Passage. Die Renovierung und Umgestaltung des Museums erfolgte nach Plänen des spanischen Architektenbüros Cruz y Ortiz Arquitectos, Sevilla. Restaurierungen führte der niederländische Architekt Van Hoogevest durch, die Innenausbauten stammen von dem Pariser Designer Jean-Michel Wilmotte. Viele Galerieräume und Dekore aus dem späten 19. Jh. wurden wiederhergestellt und zeigen heute eindrucksvoll ihre alte Pracht. Foto: Pedro Pegenaut, 2012

 

"Art-Walk"

 

Der Besucher flaniert regelrecht durch einen einzigartigen Bestand von über 8.000 Kunstobjekten, wovon eigens für die Neupräsentation 5.000 restauriert wurden. Auf rund eine Million Ausstellungsstücke wird übrigens der gesamte Magazinbestand des Hauses taxiert. Vitriniert oder gehängt sind nun die edelsten Kunstwerke der Museumskollektion in 80 klimatisierten Sälen positioniert und erzählen von fast 800 Jahren niederländischer Geschichte und Lebensart. Spitzenstück in der Malerei ist nach wie vor Rembrandts höchst publikumswirksames und unschätzbares Meisterwerk „Die Nachtwache“ von 1642. Es ist das einzige Exponat im umgebauten Rijksmuseum (Reichsmuseum), das seinen alten Stammplatz zurück erhielt und dort hängt, wo es immer hing, nämlich - einem großformatigen Altarbild ähnlich - im Chorraum, den der Museums-Baumeister und Kirchenarchitekt Pierre Cuypers speziell für das Rembrandt-Bild entworfen hatte.

 

Rembrandt Harmensz. van Rijn, Die Nachtwache (De Nachtwacht) ist eines der bekanntesten Werke Rembrandts und das Glanzstück in der Gemäldesammlung des Rijksmuseums. Der offizielle Bildtitel lautet "Die Kompanie des Frans Banninck Cocq". Das Gemälde zeigt eine Bürgerwehr in Amsterdam aus der Zeit des 17. Jh. unter der Führung des Hauptmanns Frans Banninck Cocq, neben ihm steht der Leutnant Willem van Ruytenburch. Die Schützen gehören der Kloveniersgilde an. Rembrandt spiegelt in dem Gemälde die hierarchische Ordnung der Amsterdamer Gesellschaft und gibt der Szene damit eine soziale Dimesion. 1842, Öl auf Leinwand, 363 cm x 437 cm.

 

Gattungsmischung

 

Frans Hals, Portrait eines jungen Paares. Das Meisterwerk Frans Hals´ zeigt das Hochzeitsportrait des wohlhabenden Getreidekaufmanns Isaac Massa und Beatrix van der Laan, ca. 1622, Öl auf Leinwand, 140 x 166,5 cm.

 

Gemälde des französisch-schweizerischen Malers Jean-Etienne Liotard, Portrait seiner Frau Marie Fargues in türkischem Kleid; 1765. Pastel auf Pergament, 104 x 80 cm.

 

Johannes Vermeer, Dienstmagd mit Milchkrug (Das Milchmädchen, Het melkmeisje), 1660. Öl auf Leinwand, 45x41 cm.

Was neben den schieren Bestandszahlen und den imposanten Baudaten des stattlichen Gebäudes imponiert, ist jedoch etwas anderes. Es ist der Mut (oder vielleicht auch die Weitsicht), mit dem Kuratoren und Direktion des Nationalmuseums die konventionellen Präsentationstechniken zur Seite geschoben haben und auf die sogenannte Gattungsmischung setzen.

   Nicht mehr die strenge Trennung von Gemälden, Skulpturen, Kunsthandwerk und kunstgeschichtlichen Objekten in Form historischer Schiffsmodelle, Musketen, Rüstungen, Tafelsilber, Porzellan oder Möbeln bestimmen die Säle; vielmehr werden all diese Dinge medien- und gattungsübergreifend im Zusammenhang gezeigt. Eine Inszenierung, geordnet nach Epochen oder Jahrhunderten, die Landesgeschichte, wie etwa das berühmte „Goldene Zeitalter“ der Niederlande, facettenreich, lebendig und spannend präsentiert. Man betritt nicht einen Raum, betont das Museum, sondern ein Jahrhundert. Das ist ungewöhnlich in der Museums-Oberliga, vor allem für ein 200 Jahre altes Haus von Weltrang, wie es das Amsterdamer Rijksmuseum nun einmal ist.

 

Vom Malerei- zum Universalmuseum

 

Alles fußt auf einem ausgefeilten Präsentationskonzept. Kurator Frits Scholten sieht denn auch einen Rollenwechsel seines Hauses: weg vom reinen Malerei- und hin zu einem Universalmuseum. Die weltberühmte Sammlung von Altmeisterwerken aus den Ateliers von Rembrandt, Frans Hals, Jan Vermeer, Jan Steen, Jacob van Ruisdael, ter Borch oder Pieter de Hooch soll den Museumsgast mit der innovativen Schaustellung mehr fesseln als je zuvor, soll ihn Kunstgeschichte nacherleben lassen.

   Denn die Mischung der Gattungen helfe, ein besseres Verständnis „für die Werke zu bekommen und für die Zeit, in der sie entstanden.“ Das „Rijks“ strebe gezielt an, Kunst und Geschichte miteinander zu verbinden, so Direktor Wim Pijbes. „Es soll das Gefühl für Schönheit und ein Bewusstsein für Zeit vermitteln.“ Kunsterlebnis und Zeitreise in einem. Mit der Neuausrichtung erwartet die Amsterdamer Direktion ein Anwachsen der Besucherzahlen auf jährlich bis zu zwei Millionen. Gleichwohl wird das neue Prinzip der Mischung nicht durchgängig angewendet, sondern stets nur dort, wo die Wirkung des einzelnen Kunstwerkes nicht beeinträchtigt wird. So bleibt Rembrandts Nachtwache, dieses einzigartige Portrait einer städtischen Schützenzunft, durch Verzicht auf Beigaben in seiner Ausstrahlung unbeeinflusst. Gleiches gilt für Jan Vermeers „Dienstmagd mit Milchkrug“ (1658-1660) oder Frans Hals´ “Porträt eines junges Paares“.

 

Prestigegewinn durch Kunst und Kultur

 

Das neue Atrium umfaßt ein Fläche von 2.250 qm. Mit der Restaurierung der eisernen Dachkonstruktion aus dem 19. Jh. und neuer Verglasung wird der Charakter einer lichten Plaza erzeugt. Foto: Pedro Pegenaut, 2012

Nur wenige Gehminuten vom Rijksmuseum entfernt sind die anderen berühmten Kulturinstitutionen am Amsterdamer Museumsplein ebenfalls einem aufwendigen und teuren Facelifting unterzogen worden: das Van Gogh Museum, das Stedelijk Museum (Stadtmuseum) sowie der 125 Jahre alte Concertgebouw (Konzertgebäude). In der letzten Dekade wurden die drei Museen mit annähernd einer halben Milliarde Euro saniert. Dabei sind zumindest im Van Gogh Museum die Arbeiten noch nicht fertig, für rund 15 Millionen Euro wird nach der Wiedereröffnung ein neues Entrée gebaut.
    Dem aufmerksamen Beobachter entgeht kaum, was hier passiert. Kunst, Idylle und Pitoreskes - und davon hat die schöne Stadt an der Amstel unendlich viel - wird zum Standortfaktor, zur Attraktion für Bewohner, Pendler, Touristen wie auch Unternehmen, die repräsentative, neue Standorte suchen. Hier inszeniert sich eine City als Gesamtkunstwerk und perfektioniert seine Museumslandschaft. Es gilt, im Wettbewerb mit anderen europäischen Kunstmetropolen wie London, Rom, Madrid, Barcelona oder Paris, aber auch mit kunstaffinen Städten eher regionalen Zuschnitts wie etwa Basel, Oslo oder Bilbao mitzuhalten. Der Stellenwert von Kunst und Kultur - und damit eben auch Museen - für Städte oder gar für Regionen ist in seiner Wirkung kaum hoch genug einzuschätzen.

 

Kunst – last minute! Für Kunstfreunde, die als Flugpassagiere nur „en passant“ ihren Interessen nachkommen können, unterhält das Rijksmuseum eine kleine Dependance am internationalen Amsterdamer Flughafen Schiphol. Reisende, die die Passkontrolle passiert haben, können dort zwischen den Gates E und F im „kleinen Bruder“ des Mutterhauses wechselnde Ausstellungen besuchen. Der Eintritt ist frei. Gezeigt werden in der Regel acht bis zehn Originalgemälde. Schiphol ist der erste Flughafen mit einer derartigen Museumsaußenstelle. Öffnungszeiten: täglich von 7.00 bis 20.00 Uhr

Claus P. Woitschützke

 

Das Rijksmuseum Amsterdam ist täglich geöffnet von 9.00 bis 17.00 Uhr.
Rijksmuseum
Museumstraat 1
1071 CJ Amsterdam
Tel. +31 20 674 70 00

Postanschrift:
Rijksmuseum Amsterdam
Postbus 74888
1070 DN Amsterdam

 

 

©Fotos (6) Rijksmuseum / Fotografen