Archiv 2016
ZUR DEUTSCHEN EINHEIT
Bananen im Bunker
Kunst in Hoch- oder Tiefbunkern ist längst nichts Ungewöhnliches mehr. Wird sie in einem milliardenteuren und atombombensicheren Regierungsbunker aus der Zeit des Kalten Krieges zelebriert, ist das schon ein Aufhorcher.
Thomas Baumgärtel, Harald Klemm Russisch Brot, 178 x 317 cm, Acryl/Spraylack 2015 Foto © Baumgärtel / Klemm |
Ort des Geschehens: das idyllische Bad Neuenahr-Ahrweiler mit seinen Weinbergen, gut 30 Kilometer südlich von Bonn.
Dort existierte über etwa vier Jahrzehnte einer der vermeintlich geheimsten Orte der Bundesrepublik Deutschland: Der autarke Regierungsbunker der Bonner Republik. Er sollte im Falle eines atomaren Weltkriegs Politikern und Verwaltungsleuten aus der nahen Hauptstadt für gut einen Monat Schutz gewähren. Die unterirdische Anlage, ursprünglich über 17 Kilometer lang, war seinerzeit die teuerste Einzelinvestition des Landes. Zwölfmal wurde unter strenger Geheimhaltung in den tiefen Betongewölben der atomare Dritte Weltkrieg geprobt. Heute ist von dem historischen Bauwerk nur noch ein kleines Teilstück erhalten und zugänglich, es dient unter der Bezeichnung „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“ als Museum.
Thomas Baumgärtel, Harald Klemm Stalinallee, 150 x 300 cm, Mischtechnik auf gummiertem Polyestergewebe 1999 Foto © Baumgärtel / Klemm |
Der Originalschauplatz des Kalten Krieges stellt nun zum ersten Mal den Rahmen einer Kunstschau mit dem Titel „Deutsche Einheit“. Es ist eine Sonderausstellung im Zuge der Ahrweiler Freiheitswochen. Präsentiert werden Werke der rheinischen Künstler Thomas Baumgärtel (mehr) und Harald Klemm. Damit werde, so erklären die Ausstellungsmacher, jetzt endlich realisiert, was eine Bonner Künstlergruppe schon 1982 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt vorgeschlagen hatte.
Allerdings erst 18 Jahre nach Aufgabe der Geheimhaltung des Regierungsbunkers 1998 und mit einem Thema, das eng verknüpft ist mit Frieden und Freiheit und für die Redundanz des Regierungsbunkers steht: Der Wiedervereinigung von Ost und West und der friedlichen Revolution von 1989. Seither setzen sich Baumgärtel und Klemm mit dem Thema „Deutsche Einheit“ auseinander. Bereits 1999 begannen sie mit ihren großformatigen Gemeinschaftswerken und sehen bis heute ihren Bilderzyklus als nicht abgeschlossen an.
Thomas Baumgärtel, Harald Klemm Blühende Landschaften, 150 x 300 cm, Mischtechnik auf Leinwand 2002 Foto © Baumgärtel / Klemm |
Thomas Baumgärtel (*1960 Rheinberg) ist als „Bananensprayer“ national und international bekannt geworden. Seine Spraybanane ziert viele Kunsteinrichtungen, darunter auch so hoch renommierte Kunsttempel wie das Guggenheim Museum in New York oder das Puschkin-Museum in Moskau. Baumgärtels Banane ist zu einem Logo für "gute Kunst" der Kunstszene geworden und für den Künstler selbst zum Symbol der Freiheit für die Kunst. Daher ist es nur selbstverständlich, dass sich Bananen respektive Teile von ihr auf fast allen Bildern der Gemeinschaftsarbeiten zur „Deutschen Einheit“ finden. Sie ermöglichen es, sich politisch brisanten Themen auf humorvolle und ironische Weise zu nähern. Dabei sind die Bilder immer hintergründig, nichts ist so, wie es zunächst scheint.
Harald Klemm (*1960 Mönchengladbach) hat sehr persönliche Verbindungen zum Thema deutsche Teilung. Ein Großteil seiner Familie war durch die Mauer getrennt. Flucht und Vertreibung sind zentrale Elemente seines Lebens. So ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Bildern von Klemm und Baumgärtel das Brandenburger Tor in Berlin. Im 18. Jahrhundert gebaut als Symbol für den Frieden wechselte es seinen symbolischen Inhalt in der Zeit des Kalten Krieges und stand fortan für die Trennung von Ost und West. Heute wieder offen repräsentiert es als Symbol für Freiheit, Frieden und Einheit die deutsche Hauptstadt in der Welt.
Ausblick in den zurückgebauten Tunnel; Fotograf: Sascha Kelschenbach © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Bad Neuenahr Ahrweiler 2016
Eingangssperrbauwerk zum „Ausweichsitz der Verfassungsorgane“, so die ehemalige offizielle Benennung des Bunkers. Die Anlage trug die Codebezeichnung „Rosengarten“. Fotograf: Kajo Meyer © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Bad Neuenahr Ahrweiler 2016
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Bunker-Rückblick Der ehemalige Regierungsbunker bei Bad Neuenahr-Ahrweiler wäre im Ernstfall Fluchtort für 3.000 der wichtigsten Amtsträger aus dem Bonn Regierungsapparat gewesen. Die Versorgung war auf eine Dauer von 30 Tagen ausgelegt.
Das Ganglabyrinth unter den Weinbergen des Ahr-Tals hat eine lange und bewegte Geschichte. Die Basis bildeten zwei unvollendete Eisenbahn-Tunnel aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Röhren wurden in den Dreißigerjahren zeitweise zur Champignonzucht verwendet. Von 1943 an dienten sie einige Monate als Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald, in der - wie auch in dem KZ-Ableger Dora-Mittelbau bei Nordhausen am Harz - von Häftlingen Raketenteile gefertigt oder verbaut wurden. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die örtliche Bevölkerung die Tunnels als Schutzräume.
Erste Planungen für den Regierungsbunker datieren aus dem Jahr 1950. Die Bauarbeiten begannen 1962, fertiggestellt war die unterirdische Notfallstadt 1971. Sie umfasste 897 Büro- und 936 sonstige Räume. Darunter einen Plenarsaal, ein TV-Studio, Materiallager und Dekontaminationsräume. Dem Bundespräsidenten stand neben einem Büro auch ein Badezimmer mit Wanne zur Verfügung, Luxus in Zeiten einer strahlenden Welt. In den neun Baujahren waren rund 17.500 Menschen - teils wegen der erforderlichen Geheimhaltung nur kurzzeitig - mit dem verborgenen Komplex beschäftigt. Die Kosten sollen nach heutigen Maßstäben bei über 3,5 Milliarden Euro (seinerzeit rund sieben Milliarden Mark) gelegen haben.
Kommandozentrale im Regierungsbunker. Fotograf: Sascha Kelschenbach © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Bad Neuenahr Ahrweiler 2016 |
► 1997 wurde der Bunker, der ein einzigartiges Zeugnis atomarer Angst darstellt, aufgegeben und zwischen 2001 und 2006 rückgebaut. Seit 2008 betreibt der gemeinnützige Heimatverein Alt-Ahrweiler das öffentliche Teilstück der Anlage. Die Exponate sind Originalgegenstände aus der Zeit des Kalten Krieges.
Klaus M. Martinetz
Die Sonderausstellung „Deutsche Einheit“ wird bis zum 1. Mai 2016 gezeigt.
Dokumentationsstätte Regierungsbunker
Am Silberberg 0
53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
Tel.: 02641 / 9117053
Öffnungszeiten
MI, SA, SO 10-18 Uhr (Um Anmeldung wird gebeten.)