rheinische ART
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rheinische ART 08/2017

Archiv 2017

KUNST UND FREIHEIT

Surrealismus im Schatten der Pyramiden

 

Vor fast 70 Jahren löste sich die ägyptische Künstlergruppe Art et Liberté auf. Dieses surrealistische Kollektiv ist ein fast vergessenes Kapitel der Kulturgeschichte. Derzeit sind Arbeiten der Mitglieder in Düsseldorf zu betrachten. Ein Erlebnis mit Seltenheitswert.

 

Mayo Coups de bâtons (Knüppelschläge), 1937, Öl auf Leinwand, 167 x 243 cm Sergio and Renata Grossetti Collection, Mailand, © ADAGP, Paris 2017 Foto: © Kunstsammlung NRW, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

Es war so etwas wie ein früher „arabischer Kulturfrühling“, der am 22. Dezember 1938 mit einem zweisprachigen Manifest in Kairo begann und zehn Jahre später in den Pariser Nachkriegsjahren desillusioniert endete.

     37 Künstler, Schriftsteller, Journalisten und Anwälte unterzeichneten in der ägyptischen Hauptstadt den Aufruf „Vive l´art dégénéré!“ (Es lebe die Entartete Kunst). Sie forderten unter Abbildung von Picassos „Guernica-Gemälde“ und mit Blick auf den heraufziehenden Kulturkahlschlag im Europa der Achsenmächte: „Lasst uns gemeinsam das Mittelalter besiegen, das im Herzen des Okzidents entsteht.“ Ein erstaunlicher wie mutiger Ruf, eine radikale Kritik am europäischen Faschismus – dazu noch aus Nordafrika.

 

Manifest Vive l’art dégénéré (Es lebe die Entartete Kunst), 1938, Papier, Scottish National Gallery of Modern Art Archive, Edinburgh. Foto © Kunstsammlung NRW 2017, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

Die treibende Kraft der oppositionellen Künstlergruppe war der in Kairo geborene und dort lebende Dichter und Literaturkritiker Georges Henein (1914-1973). Ein Diplomatensohn und Kosmopolit, der bereits ab etwa 1930 Kontakt mit dem Pariser Surrealisten-Kreis um den Gründervater André Breton hatte, dem bekannte Persönlichkeiten wie der schillernde Dada-Vertreter Tristan Tzara (mehr) oder der Fotograf Man Ray (mehr) angehörten.

 

Georges Henein, surrealistischer Autor und Mitbegründer von Art et Liberté. Foto © Boula Henein, Palace of Art, Cairo 2016. Sharjah Art Foundation Exposition „When Arts Become Liberty.The Egyption Surrealists (1938-1965).

 

Das Manifest war zunächst als Protest gegen Faschismus, Nationalismus und Kolonialismus gedacht. Es wurde aber auch als eine Art Weckruf in Form kulturellen Widerstands gegen herrschende Regeln und Regime - und dies über Nationalitäten und Religionen hinweg - verstanden.

     Die Gegner waren zahlreich, stark und gut vernetzt. In Berlin, Rom und Moskau befanden sich die Diktatoren Hitler, Mussolini und Stalin auf dem Zenit ihrer Macht. Spanien stand im zweiten Bürgerkriegsjahr und der rechtsgerichtete General Franco vor seinem Sieg. Es war der Vorabend des Zweiten Weltkriegs.

     Der oft provokative, immer poetische, subversive und anarchische Surrealismus mit seiner engen Verschmelzung von Dichtung und Malerei war zu diesem Zeitpunkt die erste Kunstströmung der Moderne, die eine internationale Wirkung entfaltet hatte und die reichte auch bis in die arabische Welt im Nahen Osten. Denn von Kairo aus, der vom britischen Empire kontrollierten Metropole des korrupten Königreichs Ägypten, traten, wie die Ausstellung beindruckend dokumentiert, Künstler für ein freiheitliches Menschenbild ein und wandten sich gegen politische Willkür.

 

Ramses Younane Ohne Titel, 1939, Öl auf Leinwand, 46,5 x 35,5 cm, Sammlung S.E. Scheich Hassan M.A. Al Thani, Doha. Foto © Kunstsammlung NRW 2017, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

Amy Nimr Ohne Titel (Anatomische Leiche), um 1940, Gouache und Tusche auf Papier, 36,5 x 27,5 cm, Sammlung S.E. Scheich Hassan M.A. Al Thani, Doha. Foto © Kunstsammlung NRW 2017, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

Mayo Portrait, 1937, Öl auf Leinwand, 46 × 36 cm, Europäisches Kulturzentrum von Delphi, Griechenland, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto © Kunstsammlung NRW 2017, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

Ein Merkmal der ägyptischen Art et Liberté-Bewegung: Sie war entschieden antifaschistisch und antikolonialistisch und damit eine Antwort auf die stärker werdenden pro-faschistischen Tendenzen im eigenen Land. Denn das Kairo der Dreißigerjahre war nicht nur ein Tummelplatz übler Geschäftemacher, Agenten, Kriegsprofiteure und Militaristen, sondern auch ein Hort von Islamisten und Antisemiten,  die mit dem Faschismus liebäugelten.

 

Aufgeblättert wird dieses weitgehend unbeachtet gebliebene, spannende Kapitel der Kulturgeschichte im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Mehr als 200 Exponate aus rund 50 Sammlungen und zwölf Ländern - Gemälde, Fotografien, Filme, Bücher und Dokumente - belegen das Wirken der heute fast vergessenen Gruppe Art et Liberté (Kunst und Freiheit). 


Man muss sich vor Augen halten, dass Kairo in jenen Jahren nicht Frontstadt, wohl aber militärisches Aufmarschgebiet war. Im Westen Ägyptens kämpfte ab Dezember 1940 die britische Desert Force mit Hilfe von Kolonialtruppen aus Indien und Armeeverbänden aus Australien gegen Mussolinis Einheiten aus der benachbarten italienischen Kolonie Libyen.

     Ein Jahr später griff nach Italiens Niederlange das deutsche Afrika-Korps unter General Rommel ein. Es kam zu schweren Kämpfen an den Küstenstreifen des Landes. Tod und Zerstörung durch den Krieg und die unmittelbaren Folgen wie bittere Armut und Prostitution sind daher die Sujets der Künstler.

     Überhaupt entwickelte sich das Motiv des fragmentierten und „ausgemergelten“ Körpers - so die Art et Liberté-Künstler – zum Abbild der schreienden sozialen Ungleichheit zwischen der Masse des Landvolks und den Feudalherren und Wirtschaftseliten Ägyptens, wie in der Ausstellung betont wird. Schmerz, Leid und Demütigung zeigt etwa der ägyptische Künstler Mayo (Antoine Malliarakis) in seinem Werk Coups de bâtons (Knüppelschläge); eine einzige Anklage gegen Gewalt und Polizeibrutalität.

     Auch das Bild der Prostituierten, der „Stadtfrau“ wie es in einem Henein-Gedicht von 1938 heißt, ist ein häufig wiederkehrendes Objekt.

 

Ida Kar Still Life, ca. 1940, Bromid auf Papier, 23,40 X 22,80 cm, Courtesy National Portrait Gallery, London. Foto © Kunstsammlung NRW 2017, Art et Liberté: Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten

 

In neun Kapiteln präsentieren die Kuratoren Sam Bardaouil, Till Fellrath (Art Reoriented, München und New York) und Doris Krystof vom K20 das politische, ästhetische und soziale Engagement der Künstler-Gruppe.

     Der engen Verknüpfung von geschriebenem Wort und bildlicher Darstellung, was den philosophisch-literarischen Charakter des Gruppen-Programms unterstreicht, kam besondere Bedeutung zu. Zwei eigene Verlage in Kairo brachten innerhalb des Jahrzehnts 30 Bücher wichtiger Autoren auf den Markt - teils illustriert von Gruppenmitgliedern.

     Ein weiteres Spezifikum war die surrealistische Fotografie als Ausdruckmittel. Die Fotokünstler arbeiteten mit Verfremdungen durch Collagen, Montagen oder Solarisation. Zudem bot die Fotografie, wie es in der Schau heißt, Möglichkeiten zur Kritik am ägyptischen Nationalismus.

     Beispiele hierzu sind das ausgestellte Stillleben mit Stoffpuppe und Pharaonenkopf der armenisch-stämmigen Fotografin Ida Kar (1908-1974) und die in schwarz-weiß aufgenommenen Fragmente altägyptischer Skulpturen von Étienne Sved (1914-1996), der später in der legendären Fotoausstellung „Family of Man“ (mehr) vertreten war.

Claus Peter Woitschützke

 

Die Wanderausstellung war zuvor im Centre Pompidou, Paris, sowie im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, zu sehen. Sie wird nach Düsseldorf in der Tate Liverpool und anschließend im Moderna Museet in Stockholm gezeigt. 


 Die K20-Schau wird nach Angaben des Hauses auch als Prolog zu der für den Herbst 2018 geplanten großen Präsentation „Die exzentrische Moderne“ (Arbeitstitel) verstanden, die nicht-westliche moderne Kunst auf verschiedenen Kontinenten zum Gegenstand haben wird.

 

Die Ausstellung "Art et Liberté – Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)" wird bis zum 15. Oktober 2017 gezeigt.
Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
K20 

Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Tel. 0211 / 8381 730
Öffnungszeiten
DI - FR 10 - 18 Uhr
SA, SO 11 - 18 Uhr
Jeden 1. Mittwoch im Monat 10 - 22 Uhr

 

 

 

 

 

 

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