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rheinische ART 08/2024

FOTOGRAFIE
Vergangene Lebenswelten


Fotografien aus den Zwanzigern und Dreißigern sind nicht selten. Zahlreiche Fotoschaffende jener Zeit werden immer wieder ausgestellt. Anders ist das bei Anne Winterer!

 

Hüttenarbeiter Ort unbekannt, 1920er/1930er Jahre Foto © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

Die aus Süddeutschland stammende Fotografin Anne Winterer (1894–1938) war zu ihrer Zeit bekannt und geschätzt. Heute ist sie mehr oder weniger nur noch Fotofachleuten und Kunsthistorikern unter dem Stichwort „frühe Moderne“ bekannt.

 

  

Ein Eis von der Oma, Ort unbekannt, 1920er/1930er Jahre, Foto © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

Anlässlich ihres hundertdreißigsten Geburtstags zeigt das LVR-Industriemuseum in der St. Antony-Hütte in Oberhausen erstmals Arbeiten von ihr.

     Die Ausstellung Anne Winterer – Rheinland und Ruhrgebiet im Blick. Fotografie der 1920er und 1930er Jahre führt mit über 60 Aufnahmen in vergangene Lebenswelten an Rhein und Ruhr und ermöglicht eine Wiederentdeckung der früh verstorbenen Fotografin.

     In Konstanz am Bodensee geboren, absolvierte sie dort eine Fotografen-Lehre und legte 1915 die Gesellenprüfung ab. Noch im selben Jahr ging sie nach Düsseldorf und vertiefte ihre Kenntnisse bei dem Fotografen Emil Lichtenberg.

     Aus dieser Zeit dürfte ihr Wissen über Industriefotografie und deren spezifische technische Anforderungen in Handhabung, Belichtung und Motivwahl stammen.

 

Fischer am Niederrhein, 1920er/1930er Jahre, Foto © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

Ab 1917 war sie bei dem Düsseldorfer Lichtbildner Constantin Lück tätig. Das Atelier Lück war bekannt für Portraitaufnahmen und Fotoarbeiten für den Düsseldorfer Malkasten und für Künstler der Düsseldorfer Malerschule (mehr).

 

Salto Ort unbekannt, 1920er/1930er Jahre, Foto © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

Paar vor Industrieanlage, Ort unbekannt, 1920er/1930er Jahre, © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

In der damaligen schlesischen Hauptstadt Breslau lernte Winterer die jüngere Erna Hehmke (1905–1992) kennen und bildete sie ein Jahr lang aus.

     Mit ihr gründete sie in Düsseldorf 1925 die Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer. Zehn Jahre bestand die Kooperation. In dieser Zeit entstanden verschiedene Fotoserien mit einem breiten Spektrum an Motiven. Sie zeigen Menschen und Industrie im Ruhrgebiet, Landschaften am Niederrhein, aber auch Alltag und Freizeit jener Jahre.

     1935 zog Anne Winterer zurück an den Bodensee, wo sie von da an Aufnahmen unter ihrem Namen veröffentlichte.

 

Für Industrieunternehmen und Verlage führte Winterer regelmäßig umfangreiche Bilddokumentationen aus. Stilistisch angelehnt an die Neue Sachlichkeit, wie sie etwa zeitgleich von der Fotoagentur Dr. Paul Wolff & Tritschler oHG (mehr) vertreten wurde.

     Eine Auswahl von Industrieaufnahmen, etwa der Gutehoffnungshütte (GHH) in Oberhausen, steht in der Ausstellung stellvertretend für diesen wichtigen Bildbestand im Werk der Fotografin.

     Winterer rückte aber auch immer nah an die Menschen heran und fing Momente außerhalb der Industriebetriebe ein, wie es in der LVR-Schau heißt. Darunter Motive wie „Taubenvater“, ein Lehrjunge auf der Leiter beim Blumengießen, Menschen auf der Kirmes und am Eisstand oder ein junges Paar vor einer Industriekulisse.

 

Schlackenabstich an der Thomasbirne, Ort unbekannt, 1920er/1930er Jahre, © LVR-Industriemuseum, Foto: Anne Winterer

 

Es war ja nicht nur das Bestreben künstlerisch interessierter Frauen, in der damals boomenden Fotografie Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung zu finden. Industriemotive galten lange als männliche Fotodomäne.

     Dass Frauen beauftragt wurden, Schmelzöfen, Maschinenanlagen, Silos und Bergwerke zu fotografieren, gründete auch darin, dass der Bedarf an Fotos für die illustrierte Presse stark anstieg. Vor allem war es die Nachfrage nach Industrieaufnahmen für Werkszeitschriften.

 

Dies eröffnete auch Frauen die Möglichkeit, sich in diesem Berufsfeld zu etablieren. Neben den bekannten Vertretern der Industriefotografie und Industriewerbung wie Albert Renger Patzsch (mehr), dem kurzzeitigen STERN-Chefredakteur Heinrich Hauser oder dem Krupp-Industriefotograf Josef Stoffels, wurden so Anne Winterer, die später verheiratete Erna Wagner-Hehmke oder die Kölner Nachkriegsfotografin Ruth Hallensleben (1898-1977) zu wichtigen Chronistinnen des Ruhrgebiets.
rART/K2M


Im Bestand des LVR-Industriemuseums befinden sich rund 900 Fotografien und Dokumente von Anne Winterer. Andere Fotografien aus ihrer Lichtbildwerkstatt, die nicht zum Bestand des LVR-Industriemuseums gehören, wurden für propagandistische Zwecke der Nationalsozialisten genutzt, wie zum Beispiel in der SS-Schrift "Der Untermensch". Ihre politische Haltung in der NS-Zeit ist bisher nicht eindeutig geklärt, merkt der LVR an.

 

► Die Kooperationspartnerin Erna Wagner-Hehmke beendet im März 1977 im Alter von 72 Jahren ihre Tätigkeit als Fotografin. Die Düsseldorfer Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer wurde am 31. Dezember 1986 offiziell abgemeldet.

 

Die Ausstellung Anne Winterer – Rheinland und Ruhrgebiet im Blick. Fotografie der 1920er und 1930er Jahre ist bis zum 22. Juni 2025 zu sehen
LVR-Industriemuseum
St. Antony-Hütte

Antoniestraße 32-34
46119 Oberhausen
Tel 02234/9921-555
Öffnungszeiten
DI – FR 10 – 17 Uhr
SA, SO 11 – 18 Uhr

 

Weiterführende Literatur in diesem Zusammenhang:
Für immer Recht und Freiheit, Erna Wagner-Hehmke, Hrsg. Stiftung Haus der Geschichte Bonn, 140 Seiten, 168 Abbildungen. Greven Verlag Köln, ISBN 978-3-7743-0945-6.

 

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