ARCHIV 2012
Galerie Sebastian Brandl zeigt Birgit Verwer
SO AT THAT POINT WE USE A PARACHUTE
Birgit Verwer: none of the above seems very important (2012) ist eine Christusfigur mit ausgebreiteten Armen. Ein altes gedrechseltes Holzkreuz auf Rädern bildet den Corpus. Das Herz des Erlösers scheint grell und steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heils. Doch scheint dieser Christus seinen eigenen Heilsversprechungen nicht mehr so recht zu trauen, hat er doch vorsorglich einen Helm übergezogen und trägt eine Sicherheitsbrille |
Sie dürften nicht jedem genehm sein, die Arbeiten der niederländischen Künstlerin Birgit Verwer (*1972). Rebellisch, provokant und polarisierend treten ihre Werke dem Betrachter entgegen, die in ihren Realismen dem Alltag so nahe sind und dennoch weit über ihn hinausweisen. Der Blick der Künstlerin ist zutiefst von ihrer katholischen Erziehung geprägt und oszilliert beständig zwischen lustvoller Zeigefreude und aufklärerischem Gestus.
EINEN hohen Anteil daran haben nicht zuletzt die Themen, mit denen Birgit Verwer schonungslos die Schwächen der Gesellschaft offen legt. Sie widersprechen den Forderungen des Konsumwahns, der Bigotterie und der Verklemmtheit, interessieren sich für alternative Wege, den Schmutz, die Ausgeschlossenen, die Randgruppen der Gesellschaft und formulieren Einsprüche gegen eine in ihren Augen enthemmte Konsumkultur. Als Material dienen ihr hauptsächlich Alltagsgegenstände und Fundstücke, nach denen sie gezielt Trödelmärkte durchstöberte, sowie Abfälle von den Deponien der westlichen Konsumkultur. Das clowneske Spiel, bei dem Sakrales und Profanes miteinander kurzgeschlossen werden, wird zum Ereignis. Darüber hinaus sind die Assemblagen mit ihren christlichen Devotionalien symptomatisch für die tiefe Skepsis der Künstlerin gegenüber dem institutionalisierten Glauben, die manchmal in spöttelnder Ironie, manchmal in offener Empörung ihren Ausdruck findet.
Birgit Verwer zeigt eine zeltartige Beichtkapelle (BLESSED BEYOND MEASURE, 2012), deren Wände aus weißen Herrenunterhosen gebildet werden. Im Inneren befindet sich ein hell erleuchteter Theaterspiegel, der schonungslos das eigene Abbild wiedergibt sowie ein Beichtstuhl, dessen Pendant außerhalb postiert ist |
‚An dieser Stelle gebrauchen wir den Fallschirm’ – so nennt Birgit Verwer ihre Ausstellung mit aktuellen Arbeiten, die allesamt die Verheißungen und Widersprüchlichkeiten des kirchlichen Glaubens thematisieren. Der Titel suggeriert, dass es gilt, die Reißleine zu ziehen, den Rettungsschirm für Aussteiger zu entfalten. Nur ein Bruchteil von Sekunden entscheidet schließlich über den exakten Zeitpunkt, zu dem eine halbwegs sanfte Landung noch möglich ist. Bis dahin darf jedoch das Glücksgefühl des freien Falls bis zum Anschlag ausgekostet werden. Verhandelt wird der Sachverhalt, dass es tatsächlich irritierende Dinge gibt. Zu fragen bliebe, ob ein Leben denkbar ist, das einem nicht als Besitz, sondern zum Gebrauch gegeben ist. Einen Vorgeschmack vom Weltgericht zumindest liefern uns die Arbeiten von Birgit Verwer, wenn auch mit einem Augenzwinkern ausgestattet.
rART / Harald Uhr
Die Ausstellung "SO AT THAT POINT WE USE A PARACHUTE von Birgit Verwer ist bis zum 27. Oktober 2012 zu sehen.
Sebastian Brandl
Moltkestraße 81
50674 Köln
Tel. 0221 / 222 997 93
Mobil 0178 / 9252198
Öffnungszeiten
MI - FR 13 – 18 Uhr
SA 12 – 16 Uhr
und nach Vereinbarung