Archiv 2014
ALFRED LICHTWARK
Pionier der Kunstpädagogik
Er war ein leidenschaftlicher Museumsmann und ein kompromissloser Förderer der ästhetischen Bildung. Seiner Heimatstadt Hamburg hinterließ er die großartige städtische Kunsthalle, der Pädagogik unter anderem die bahnbrechende Kunsterziehung. Alfred Lichtwark meinte, dass schon die Schule zum Sehen von Kunst erziehen müsse. Sein Freund Max Liebermann nannte ihn gerne "Lehrer Deutschlands".
Die Bildung des Auges und des Geschmacks war sein Ziel. Dieses heute so modern anmutende Gedankengut (siehe in NRW Projekt Kulturrucksack mehr) stammt aus der Kaiserzeit. Der, der es formulierte und lebte, der gelernte Volksschullehrer und spätere Kunsthistoriker Alfred Lichtwark (1852-1914), ist es wert, dass sein 100. Todestag (13. Januar 2014) in Erinnerung gebracht wird. Mit dem Berliner Maler Max Liebermann, den er mit Auftragsarbeiten förderte, verband Lichtwark eine über 25 Jahre währende Freundschaft. Liebermann über Lichtwark: „Kultur war ihm Veredelung des Menschen und das Streben nach Kultur das Ideal seines Lebens.“
Albert Marquet (1875- 1947), Schlepper, 1909, Pinsel in Schwarz, 172 x 219 mm, © Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang
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Von der Volksschule in die Kunsthalle Der lebenslange Junggeselle Alfred Lichtwark, der aus einer bescheidenen Müllerfamilie nahe Hamburg stammte, war ein begnadeter Kunstvermittler, ein rastlos aktiver Kunst- und Künstlermäzen, visionärer Museumsleiter und -gestalter, ein Autor, gefragter Vortragsredner und Pädagoge, der ein Museum als Ort der Volksbildung verstanden wissen wollte. 1886 wurde Lichtwark erster Direktor der damals noch kleinen Hamburger Kunsthalle, die er systematisch erweiterte und an die zeitgenössische Moderne heranführte. Das alleine hätte schon gereicht. Doch er, der mit dem Bildungswesen unzufrieden war, blickte weiter. Seine Vision: „Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung der Bevölkerung eingreift." Wie das aussehen sollte, lebte er vor. Lichtwark arbeitete eng mit der „Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung“ zusammen und stellte das Kunstwerk, das Bild, und seine Vermittlung ins Zentrum des Interesses. Der Museumschef selbst führte Schulklassen durch seine Kunsthalle und unterhielt sich mit Schülern über ausgewählte Werke. Seine 1898 erschienenen „Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken“ sind noch heute eine interessante Lektüre. Das Werk machte Alfred Lichtwark schließlich zu einem der maßgeblichen Mitbegründer der deutschen Kunst- und Museumspädagogik.
Édouard Vuillard (1868-1940), Blick auf die Binnenalster, 1913, Gouache auf Pappe, 74 x 55,2 cm, © Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Elke Walford |
Feinde und Freunde Eine andere Seite des Pädagogen: Mit radikalen Ansichten hielt er nicht hinterm Berg, und mit unerbetenen Ratschlägen auch nicht. 1887 erklärte er, Deutsche seien Franzosen und Engländern zwar nicht im Wissen, wohl aber in der Lebenskultur unterlegen. Genau genommen: im Äußeren wie in den Manieren. In Hamburg beklagte er das seiner Ansicht nach mangelnde kulturelle Interesse der Kommune, was in dem Satz gipfelte: „Der kostenspieligste Luxus, den sich eine Stadt leisten kann, ist Beschränktheit und Unwissenheit.“ Das schaffte Abneigung und Feinde. Die Konflikte nahmen zu, als er Bilder von Impressionisten wie Monets „Früchtestillleben“ (1886) für sein Museum kaufte. Schwere Kulturkost für konservative Senatoren und spendable, einflussreiche „Pfeffersäcke“, die das Bild als „Spinat mit Rührei“ verteufelten und das Museum selbst als „Schreckenskammer“. An der Alster wurde Lichtwark bald als Kunstbürgermeister oder Kunst-Imperator bespöttelt. Sein Freund Liebermann nannte ihn eher humorvoll den Praeceptor Germaniae, den Lehrer Deutschlands. Seine Ideen kamen auch andernorts nicht immer an. Für das Bismarckdenkmal am Rhein bei Bingen, das nie gebaut wurde, konnte er seinen Anspruch Qualität vor Quantität nicht durchsetzen. Der Geschmack des Publikums war ein anderer.
Alfred Lichtwark Fotografie von Rudolf Dührkoop, 1899, Foto Wikipedia |
Alfred Lichtwark starb am 13. Januar 1914 an den Folgen eines Krebsleidens. Bei seiner Beerdigung ergriff kein Hamburger Politiker das Wort. Was sie an ihm hatten, erkannten viele hanseatische Stadtgrößen erst später. Da gab es reichlich Ehrungen - postum. Denn Lichtwarks Erbe war gewaltig. Er hatte in seiner Amtszeit als Museumsdirektor für die Kunsthalle über 1130 Gemälde, Pastelle und Aquarelle, 890 Plastiken, Reliefs und Medaillen, rund 22400 Graphiken und Handzeichnungen sowie mehr als 2500 Münzen, 8000 Bücher und 14300 Photographien gesammelt. Alfred Lichtwarks Engagement ist bis heute in der Hansestadt erkennbar. Neben dem vom Senat vergebenen Lichtwark-Preis für Kunst gibt es die Lichtwark-Gesellschaft und das Lichtwark Haus. Bis 1937 existierte die reformierte koedukative Lichtwarkschule, zu deren prominenteste Schüler Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Ehefrau Hannelore („Loki“) gehörten.
► Eine von Lichtwarks weitblickenden Ideen war, Künstler einzuladen, um sie vor Ort in Hamburg Landschaften und Portraits anfertigen zu lassen, die dann in die Kunsthalle aufgenommen wurden. Um zeitgenössische Kunst zu vermitteln, gründete er 1889 die Sammlung von Bildern aus Hamburg und erteilte zunächst lokalen Malern und später Künstlern aus ganz Deutschland und dem Ausland Aufträge. Lichtwark bestellte Gemälde unter anderem bei Arthur Illies, Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt und auch bei den Postimpressionisten Pierre Bonnard und Edouard Vuillard in Frankreich. Werke wie Bonnards Abend am Uhlenhorster Fährhaus (1913) oder Vuillards Blick auf die Binnenalster (vom Alsterdamm auf den Jungfernstieg) von 1913 gehören heute zu den bedeutendsten Gemälden der Hamburger Kunsthalle.
► Ab Mai bis September 2014 zeigt die Hamburger Kunsthalle „Lichtwark heute“. Die Ausstellung greift den Gedanken Alfred Lichtwarks auf und lädt renommierte Künstler und Künstlerinnen ein, Werke zu schaffen, die sich mit Hamburg auseinandersetzen.
cpw