ARCHIV 2012
Avantgardistische Kunst des 20. Jahrhunderts
1912 - Mission Moderne
Paul Gauguin, L’invocation, Öl auf Leinwand, 1903, National Gallery of Art (Gift from the Collection of John and Louise Booth in memory of their daughter Winkie), Washington
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Vor 100 Jahren fand in Köln eine Kunst-Revolution statt. Mit langem Namen „Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler 1912“ genannt, war die Schau bereits die vierte Präsentation der in Düsseldorf gegründeten Vereinigung Sonderbund. Die ersten drei, die auch in Düsseldorf stattfanden, zeigten bereits moderne Kunst mit dem Ziel, die "neue" Kunst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aber die vierte, landläufig als „die Sonderbundausstellung“ bezeichnet, braucht keine weiteren Attribute um zu bedeuten, dass 1912 und die Ausstellung in Köln gemeint ist. Sie war bahnbrechend und wirkt bis heute nach. Das Wallraf-Richartz-Museum hat sich der Herausforderung gestellt, im Jubiläumsjahr eine Rekonstruktion dieser Jahrhundertschau zu zeigen. Sie ist gelungen.
Pablo Picasso, Sitzender Harlekin, 1901, Öl auf Leinwand, The Metropolitan Museum of Art (Purchase, Mr. and Mrs. John L. Loeb Gift, 1960), New York
August Macke, Rokoko, 1912, Öl auf Leinwand, The Savings Bank Foundation DnB NOR, Dauerleihgabe im National Museum of Art, Architecture and Design, Oslo |
ES IST eine Kunst, die heute mit der allumfassenden Formel „Moderne“ bezeichnet wird und die sich hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Tendenzen stilistisch kaum wissenschaftlich-analytisch abgrenzen lässt. Es ist die avantgardistische Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich deutlich vom vorherrschenden Kunstbegriff einer akademischen Malerei löst und mit neuen Bildkonzepten, mit der Veränderung von Perspektiven und Formen Objekte und Motive abstrahiert und mit einem für die damalige Zeit wahrlich berauschenden Farbeinsatz die Gemälde förmlich flutete.
Moderne Kunst stieß zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder auf Ablehnung. Die kunstinteressierte Öffentlichkeit entsetzte sich und scheute sich auch nicht, in ihrer Ablehnung sehr deutlich zu werden. Was das Rheinland betrifft fand dieser Prozess in den Sammler-Hochburgen wie Wuppertal-Barmen (mehr) ebenso statt wie in Düsseldorf. Der herausragende Ruf der Düsseldorfer Kunstakademie als Künstlerschmiede, ihre Internationalität und die etablierte, tradierte Düsseldorfer Malerschule (mehr) waren im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert maßgeblich.
Ein Kreis von Künstlern sah sich allerdings mit den neuen Strömungen, die sowohl aus Italien aber vielmehr aus Frankreich mit den Fauves, den "wilden" Malern, das Rheinland erreichten, in ihrer neuartigen expressionistischen Malauffassung bestätigt. Einerseits suchten diese Kreativen die Auseinandersetzung mit der Kunst und den Künstlern anderer Länder, andererseits wollten sie der Diskrepanz im Publikum mit mehr Öffentlichkeit begegnen. Aus dem „Kunstverband Düsseldorf“ von 1905, dem Max Clarenbach, August Deusser und Wilhelm Schmurr angehörten, ging 1909 die erweiterte Gruppe mit Malern wie etwa Julius Bretz und Walter Ophey hervor, die sich „Sonderbund Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ nannte. Erster Vorsitzender war kein geringerer als der große Künstlerfreund und Förderer, der Gründer der Folkwang Schule und des Museums Folkwang (mehr), Karl Ernst Osthaus aus Hagen. Immer mehr Künstler und Mäzene, darunter auch der namhafte Galerist Alfred Flechtheim (mehr), brachten sich ein und es entstand die nachhaltigste Ausstellungsbewegung dieser Jahre.
Vincent van Gogh, Allee bei Arles, 1888, Öl auf Leinwand, Pommersches Landesmuseum, Greifswald
Edvard Munch, Vier Mädchen auf der Brücke, 1905, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln Foto: © Rheinisches Bildarchiv, Köln
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Da sich die Düsseldorfer nicht nur begeistert über die Sonder-Ausstellungen zeigten, suchten und fanden die Organisatoren neue Unterstützer - in Köln. Es war der damalige Direktor des Wallraf-Richartz- Museums, Alfred Hagelstange, der zu jener vierköpfigen Sonderbund-Jury gehörte, die mit ihrer Auswahl Köln weltweit als „Vorort der neuen Kunst“ bekannt machten. Die Domstadt hatte für die Schau eigens eine temporäre Ausstellungshalle der Brüsseler Weltausstellung von 1910 angekauft und am Aachener Tor errichten lassen.
Neue Wege
Die Sonderbundschau 1912 gilt als Abschied von den eher konzeptionslosen Sammelschauen des 19. Jahrhunderts. International ausgerichtet, programmatisch und nichtkommerziell begründete sie einen neuen Ausstellungstypus. So wurden die Exponate auf weiße Wände und teils sogar nur einreihig gehängt. Diese heute geläufige Präsentation war damals eine Innovation und verlieh den gezeigten Werken eine kräftigere Ausstrahlung. Der Ideenreichtum der Organisatoren reichte aber noch weiter: Erstmals gab es für die Besucher einen Kurzführer zu den Exponaten und in einem Erfrischungsraum wurde für ihr leibliches Wohl gesorgt. Darüber hinaus wurde die Schau flächendeckend mit Plakaten, Transparenten und Fahnen beworben. Alle diese Neuerungen machen die Sonderbundschau zu einem der wegweisenden Ereignisse in der Organisation von Kunstausstellungen. Für die Kunstgeschichte kann aber wohl erst heute, mit dem Abstand von 100 Jahren, vermerkt werden, dass die damals noch wenig bekannten künstlerischen Ausdrucksformen Höhepunkte der europäischen Kunst sind.
1912 ist die Schau mit mehr als 650 Kunstwerken von Meistern wie (Auswahl) Cézanne, Cross, Gauguin, van Gogh, Picasso, Macke, Munch, Nolde, Barlach, Lehmbruck, Braque, Maillol, Marc, Clarenbach, Modersohn, Heckel, Hodler, Jawlensky, Kandinsky, Kirchner, Kokoschka und Schiele in ihrer Quantität und Qualität atemberaubend zu nennen. Rund ein Fünftel davon, knapp 120 Gemälde und Skulpturen, hat das Wallraf nun wieder in Köln versammelt.
Sonderbundausstellung, Köln 1912 - Prominenz in Saal 5 (van Gogh) |
► Nicht nur der Erste, auch der Zweite Weltkrieg bewirkten einen jähen Stillstand, gar einen Aderlass in dieser modernen Kunstszene. Während der NS-Zeit wurde die „moderne“ Kunst als entartet verschmäht und hatte keine Chance auf Entfaltung. Wie gründlich der offizielle Kunstbegriff jener Jahre die Moderne verdrängte zeigt sich auch darin, dass es zum Kriegsende junge Menschen gab, die zwar den Krieg erlebt hatten, aber mit Anfang Zwanzig noch nie etwas von einem Picasso oder einem van Gogh gehört hatten. Dass die Werke der Moderne die Zeiten überdauerten, ist vielfach den Museen und Sammlern zu verdanken. Was die Domstadt betrifft war es beispielhaft Josef Haubrich (mehr), der die Moderne auch während des Zweiten Weltkriegs sammelte und der seine Sammlung 1946 der Stadt Köln (heute im Museum Ludwig) schenkte. Ihre Präsentation erlebten die Kölner damals „wie eine Botschaft aus einer besseren Welt“.
Irmgard Ruhs-Woitschützke
Die Ausstellung "1912- Mission Moderne" ist bis zum 20. Dezember 2012 zu sehen.
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Obenmarspforten (am Kölner Rathaus)
50667 Köln
Telefon 0221-221/2 11 19
Öffnungszeiten
DI - FR 10-18 Uhr
DO bis 22 Uhr (außer an Feiertagen)
SA und SO 11-18 Uhr
©Fotos: Wenn nicht anders vermerkt Wallraf-Richartz-Museum