Archiv 2021
HISTORIE
Zwei Rheinländer in Japans Diensten
Japan und Deutschland, die beiden großen Industrienationen, feiern aktuell das 160-jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen. Am 24. Januar 1861 unterzeichneten die Staaten einen Vertrag über Freundschaft, Schifffahrt und Handel.
Das neo-barocke Justizministerium in Tokio von 1895. Einziges erhaltenes Gebäude nach dem Bebauungsplan „Forum Japanum“ von Wilhelm Böckmann. Bei dem schweren Kantô-Erdbeben 1923 erlitt es kaum Schäden, da Eisenstäbe verbaut waren. 1945 hingegen wurde es fast vollständig zerstört und erst 1995 wiederaufgebaut. Es dient jetzt als „Bibliothek der Justiz“. Foto © Wikipedia |
Dies ist Anlass genug für Düsseldorf und das Rheinland, bekanntlich größter Japan-Standort in Kontinentaleuropa, auf die gemeinsame Geschichte zu blicken. Und es sei an zwei rheinische Preußen erinnert, die sich im Japan jener Jahre einen Namen machten. Der eine war der Meteorologe Erwin Knipping (1844–1922) aus Kleve. Der andere der aus Elberfeld stammende Architekt Wilhelm Böckmann (1832–1902).
160 Jahre Deutsch-Japanische Freundschaft. Logo © Auswaertiges Amt 2021
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Was war der Grund für diese Männer, in dem fernen Land am Pazifik zu wirken? Das feudalistische Japan hatte sich erst 1852 unter politischem Druck dem „Westen“ geöffnet und befand sich bei Vertragsschluss mit Preußen in der ersten Phase der revolutionären Meiji- oder Restaurationszeit.
Die folgenden Jahrzehnte ebneten seinen Weg zu einem modernen Staat und die Hauptstadt hieß nicht mehr Edo sondern Tokio.
Ziel der japanischen Regierung war es, eine neue moderne Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung in Anlehnung an westliche Staaten aufzubauen. Sie lud daher Hunderte ausländische Fachleute aller Disziplinen als Berater ein, darunter auch viele Deutsche. Alle waren im japanischen Sprachgebrauch „Kontraktausländer“ (o-yatoi gaikokujin). Also Spezialisten, die befristet im Land lebten und ihr Wissen vertragsgemäß gut bezahlt vermittelten. Bestes Beispiel war der deutsche Internist und Tropenmediziner Erwin Baelz (mehr). Entsprechend sind die preußischen Einflüsse in Japan bis heute legendär, im Rechtswesen, in Industrie, Wirtschaft, Geschichts- und Erziehungswissenschaften wie im Medizin- und Militärwesen.
Knipping und Böckmann kamen für unterschiedlich lange Zeit nach Japan. Sie lernten sich im überschaubaren Kreis der rund 200 Personen umfassenden Community der sogenannten „Meiji-Deutschen“ in Yokohama und Tokio kennen und schätzen.
Erwin Knipping Meteorologe und Kartograf, baute den japanischen Wetterdienst auf und fertigte die erste Wetterkarte für Japan. Foto nach 1900, Fotograf unbekannt. Foto © Wikipedia gemeinfrei
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Erwin Knipping, der Niederrheiner, verdingte sich nach dem Abitur zunächst als Seemann. Er heuerte auf deutschen und niederländischen Schiffen an und bestand als 20-Jähriger 1864 in Amsterdam ein Examen als „Derde Stuurman“. Knipping interessierte sich früh für maritim-meteorologische Themen und verfasste Wetterberichte, die er der Norddeutschen Seewarte in Hamburg lieferte.
Bei einer Schiffsreise nach Ostasien kam er im Mai 1871 nach Japan. Noch im selben Monat nahm er ein Angebot der Regierung an, als Lehrer an der „Hauptschule für Fremde Wissenschaften“, der späteren Tokio Universität, Deutsch und Mathematik zu unterrichten.
In den folgenden Jahren vertiefte Knipping seine Forschungen zu Landeskunde, Wetter, Taifune und Erdbeben und veröffentlichte zahlreiche Berichte und Kartenwerke. Insgesamt war er offiziell in drei Funktionen für Japan tätig: Anfänglich als Sprach- und Naturkundelehrer, dann als Prüfer bei der japanischen Handelsmarine und dem Amt für Posttransporte sowie schließlich als Meteorologe für das Innenministerium.
Erwin Knipping Skizze des Weges von Tokio nach Yumotto (Nikko Berge) nach eigenen Aufzeichnungen von 1876. Foto-Auszug © Gallica.bnf.fr 2021 |
Seine Fachaufsätze hatten dazu geführt, dass Tokio ihn beauftragte, den nationalen Wetterdienst zu organisieren. 1881 legte er einen Plan für einen Sturmwarnungsdienst vor. Bereits zwei Jahre später brachte dieser Wetterdienst in dem von Taifunen regelmäßig heimgesuchten Inselstaat die ersten Sturmwarnungen heraus.
Knipping gründete 1887 den telegraphischen Wetterdienst in Japan, dessen wissenschaftlicher Leiter er schließlich bis 1891 war. Dann zog er mit seiner Familie wieder nach Deutschland. Für ihn war Japan nach 20 Jahren zur zweiten Heimat geworden. Mit seiner Frau Auguste, die ebenfalls aus Kleve stammte, hatte er fünf Kinder, die alle in Japan geboren wurden.
Wilhelm Böckmann Architekt und Geheimer Baurat, Fotograf unbekannt. Fotoquelle © Centralblatt der Bauverwaltung 1902, S. 525
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Wilhelm Böckmanns „japanische Karriere“ verlief völlig anders. Für den renommierten rheinisch-bergischen Baumeister blieb Japan eher eine Architektur-Anekdote, allerdings eine nachhaltige.
Nach dem Abitur in Elberfeld studierte er in Berlin Bauwesen. Mit seinem Studienfreund Hermann Ende gründete er 1859 in der Hauptstadt das Architekturbüro Ende & Böckmann, das zu den erfolgreichsten ihrer Zeit gehörte, international auftrat und vor allem das Stadtbild Berlins mitprägte.
Die Privatarchitekten entwarfen und bauten in Berlin repräsentative Villen und imposante Gebäude überwiegend im Stil des Historismus. Ferner auch Siedlungen wie etwa die „Colonie Neubabelsberg“. Böckmann wurde lebenslang Fleiß und Tatkraft nachgesagt und „das fröhliche Vertrauen und die leichte Beweglichkeit des Rheinländers“.
Der weltweit exzellente Ruf der Baufirma reichte bis nach Tokio, wie Regierungsaufträge verdeutlichen. Im April 1886 reiste Böckmann mit ersten Entwürfen für in Tokio geplante Projekte im Gepäck nach Japan. Gemäß Vertrag sollten zunächst das Parlamentsgebäude, der Oberste Gerichtshof und das Justizministerium unter deutscher Regie errichtet werden, danach das Polizeipräsidium sowie das Marineministerium.
Tatsächlich wurden davon aber nur das Justizministerium (siehe Bild oben) und der Oberste Gerichtshof nach Bauplänen aus Berlin realisiert. Daran wirkten vor Ort Angestellte von Ende & Böckmann mit, so der spätere Kulturreformer und Werkbund-Vertreter Hermann Muthesius und der ebenfalls aus Elberfeld stammende Architekt Ludwig Richard Seel.
Parlamentsgebäude in Tokio (Zeichnung) von Ende & Böckmann. Nicht realisiert, da zu teuer und zu europäisch. Foto © Architektonische Rundschau, 1893. In: Horiuchi Masaaki. Die Beziehungen der Berliner Baufirma Ende & Böckmann zu Japan / Japan und Preußen 2002 Abb. 8 S. 332
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W. Böckmann Bebauungsplan für Tôkyô: 1 Gerichtsgebäude, 2 Polizeipräsidium, 3 Parlamentsgebäude, 4 Residenz des Premierministers, 5 Justizministerium, 6 Kaiserpalast. Foto © Ishida,Yorifusa (Hrsg.), Mikan no Tôkyô keikaku [Unausgeführte Bebauungspläne für Tôkyô], Chikuma Shobô, 1992, in: Horiuchi Masaaki. Die Beziehungen der Berliner Baufirma Ende & Böckmann zu Japan / Japan und Preußen 2002 Abb. 5 S. 330
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Das Engagement von Ende & Böckmann in Tokio ging noch deutlich weiter und bis heute ist das Wirken dieser Architektur-Sozietät in Ostasien fast nur Fachleuten geläufig.
Unter dem Terminus „Forum Japanum“, eine Wortschöpfung Böckmanns, sollte ein neues und modernes, stilistisch an Europa und damit am Historismus ausgerichtetes Regierungsviertel gebaut werden. Die Blaupausen lieferten die großen Metropolen Berlin, Paris und Wien.
Böckmann sah eine lockere Bebauung vor, durchbrochen von Parks und Grünflächen. Ein zentraler Boulevard, ähnlich den Pariser Champs-Élysée oder der Wiener Ringstraße (mehr), war für das Flanieren und gleichzeitig als Feuerschutz gedacht. Selbst der Kaiserpalast sollte neu errichtet werden.
Die anfänglich in Regierungskreisen gefeierten Pläne gerieten allerdings als zu starke „Europäisierung“ in die Kritik und eine Rückbesinnung auf die eigene japanische Bautradition griff Raum. Wirtschaftliche Probleme und ein Sparzwang bedeuteten letztlich das Aus für Ende & Böckmanns „Forum Japanum“. Das Parlamentsgebäude wurde lediglich provisorisch in Holzbauweise ausgeführt.
Und dass Japan bautechnisch nicht mit Europa zu vergleichen war, wurde Böckmann bei einer Studienreise durch mehrere Regionen der Hauptinsel Honshu schnell klar. Bodenbeschaffenheit, Erdbebengefahr, Taifune, extreme Luftfeuchtigkeit und Schwüle in den heißen Sommern benötigten andere, nicht typisch europäische Bauweisen. Welche speziellen Schwierigkeiten letztendlich bestanden, erfuhr der Elberfelder vor Ort auch vom Sachkenner Erwin Knipping. Eine frühe rheinische Kooperation im Land der aufgehenden Sonne!
cpw
► Ein weiterer einflussreicher Rheinländer in Japans Diensten war der gebürtige Kölner Klemens Wilhelm Jacob Meckel (1842–1906). Als preußischer Generalmajor sowie Militärberater legte er in den Jahren 1885 bis 1888 die Grundlagen für eine Reform des japanischen Heereswesen.
Eine Ausstellung mit dem Titel „160 Jahre Japan – Deutschland“ wird in Berlin gezeigt.
Deutsch-Japanische Gesellschaft e.V.
Gesundheitszentrum Potsdamer Platz / Eichhornstr.2
10785 Berlin
Tel. 030 / 3199 1888
Öffnungszeiten (Einschränkungen durch Pandemie)
MO – FR 8 – 20 Uhr
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Literaturhinweis
● Franziska Pagel Ende & Böckmann. Ein Berliner Architekturbüro im 19. Jahrhundert. Gebr. Mann Verlag Berlin, 2019. 288 Seiten, ISBN 978-3-7861-2814-4
● Gerhard Krebs (Hg.) Japan und Preußen, München, Iudicium-Verl., 2002 (Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien; Bd. 32) ISBN 3-89129-843-9. Der Band beinhaltet Vortragstexte aus einem Symposium zu den historischen Beziehungen zwischen Japan und Preußen in Berlin. Weitere Beiträge behandeln die bilateralen Beziehungen u.a. in Industrie, Wirtschaft, Kunst und Kultur, Politik und Verwaltung.