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rheinische ART 01/2017

Archiv 2016

REFLECTIONS ON MEMPHIS

Sinnliche Abenteuer


Vor gut 35 Jahren zeigte das Designer-Kollektiv Memphis in Mailand seine erste Ausstellung. Die Exponate waren Gegenstände des Alltags wie Möbel und Accessoires – jedoch spektakulär neu gestaltet: spielerisch, polymorph, schrill mit knallig bunten Farben und Kitsch-Motiven.


 

Tobias Rehberger cutting, preparing, without missing anything, and being happy about what comes next, 2009, mixed media, 181 x 250 x 245 cm Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf Courtesy Galerie Bärbel Grässlin

 

Die Schau fand am 18. September 1981 in der Galerie ARC´74 statt, parallel zur Mailänder Möbelmesse. Zu sehen gab es 31 Möbelstücke, elf Keramiken, drei Uhren und zehn Lampen. Die Besucher standen Schlange, waren begeistert und wurden gleichzeitig Geburtszeugen einer neuen Stilrichtung.

      Die hieß Memphis-Design und war eine Art Anti-Design-Bewegung! Man könnte auch sagen, es war ein designtechnischer „Mittelfingergruß“ an die damals vorherrschende Stilistik, bei der Farben und Dekorationen verpönt waren und der sogenannte „gute Geschmack“ der alleinige Maßstab.

 

Ettore Sottsass Tahiti, 1981, Höhe: 60 cm Tischlampe in Kunststofflaminat und Metall (Table lamp in plastic laminate and metal) Photo: Credit Pariano Angelantonio Courtesy Memphis Milano

 

Michele de Lucchi Kristall, 1981, 50 x 63 x 65 cm, Kunststofflaminat, lackiertes Holz und Metall (plastic laminate, lacquered wood and metal) Foto: Pariano Angelantonio Courtesy: Privatsammlung Münster/ private collection Münster & Memphis Milano

 

Alessandro Mendini Poltrona di Proust, 1978, 108 x 101,5 x 84 cm Bemaltes Holz und bemalter Stoff (painted wood and painted fabric) Foto © Museum Kunstpalast - Horst Kolberg – ARTOTHEK Courtesy Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf

 

Die Düsseldorfer Arthena Stiftung erinnert derzeit mit der Ausstellung Less is a Bore. Reflections on Memphis an diese rasante Zeit des italienischen Designs, die oft als ein Wendepunkt in der Geschichte der Gestaltung angesehen wird, und zeigt heutige Kunstwerke mit Memphis-Bezug und Werke der Protagonisten von damals.

     Das markante Merkmal der Memphis-Designer Anfang der Achtziger: Sie stellten die vordergründige Funktionalität von Objekten radikal in Frage, wollten weg vom Grundsatz „form follows function“ und interpretierten die Alltagsformen phantasie- und lustvoll neu.

     Das Memphis-Styling hatte eine unverwechselbare Optik mit hohem Wiedererkennungswert: es kam frech farbig daher, überschwänglich, glitzernd, kitschig - es war ein absoluter „New Style“.

     Im Vordergrund standen Möbel, die aus den Formen Würfel, Kegel, Kugel und Pyramide gebaut und mit grellen Laminaten beschichtet wurden. Der Frontalangriff der Mailänder Design-Revolutionäre auf das Bestehende rief naturgemäß unterschiedliche Reaktionen hervor; sie reichten von Euphorie bis zum Entsetzen. Auf jeden Fall aber krempelte das Memphis-Design die Welt der Gestalter um, erschütterte sie sozusagen nachhaltig in ihren Festen und hatte erheblichen Einfluss auf die Ästhetik der Gestaltung in den Achtzigerjahren.


Die denkwürdige Präsentation in der Mailand Galerie war ein Gemeinschaftswerk von heute als legendär gehandelten Designern, Architekten und Produktentwicklern, die sich ein Jahr vorher unter dem Namen Memphis zusammengeschlossen hatten.

     Als Vordenker, Patron und Namensgeber der neuen Gestalter-Gruppe gilt der multitalentierte Ettore Sottsass (mehr), Designer, Architekt und „Pate der italienischen Kühle“ - so der britische „The Guardian“ in einer Würdigung. Ettore Sottsass (1917-2007) war lange Zeit Chef-Designer beim Industriekonzern Olivetti, dessen Produktgestaltung anerkanntermaßen auf höchstem Niveau lag und für manchen gestalterischen Meilenstein gesorgt hatte. Als ein Meisterstück von Sottsass gilt die Olivetti-Reiseschreibmaschine „Valentine“.

     Ab 1980 betrieb er ein eigenes Unternehmen unter der Bezeichnung „Ettore Sottsass Associati“. Die von Sottsass mitgegründete Memphis-Gruppe verfolgte bei aller Design-Revolution letztlich nur ein Ziel: Die von den Mitgliedern entworfenen Produkte sollten zügig produziert und vermarktet werden. Memphis mochte zwar das Ende des damals vorherrschenden „Internationalen Stils“ ausrufen und sich als ein Anti-Design-Kollektiv feiern lassen, war aber auf keinen Fall anti-kommerziell.


Verbürgt ist, dass am Gründungstag der Gruppe in Sottsass` Wohnung der Bob Dylan-Song „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ lief – und zwar unablässig wegen eines Sprungs in der Platte. Die akustische Non-Stop-Berieselung hatte Folgen!

     Denn der Hausherr hatte damit den Namen für das neue Team gefunden: Memphis - altägyptische Herrscherstadt im Nildelta, Metropole im US-Südstaat Tennessee und Heimat von Elvis Presley. Den markigen Namen fanden auch die Mitgründer angemessen. Zu diesem Rebellenkreis gehörten unter anderen Michele de Lucchi, Matteo Thun, George J. Sowden, Marco Zanini und die Schriftstellerin und Journalistin Barbara Radice, seit 1976 Ehefrau von Sottsass. Allesamt waren sie Verfechter einer Stilrichtung, die im Grenzbereich von Kunst, Architektur, Alltagskultur und Design mit Farben, Materialien und Formen experimentierte und neue Wege beschritt, und dies bereits seit Jahren. Provokativ und dekorverliebt, den übermächtigen Modernismus herausfordernd und von der Architektur beseelt - so machte Memphis-Design in den Folgejahren Furore.

 

Installationsansicht Less is a Bore (Installation view), KAI 10 Arthena Foundation 2016 Memphis Design & Raymond Barion, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf © VG Bildkunst, Bonn 2016 für die Werke von (for works by) Ettore Sottsass.

Links im Bild: Ettore Sottsass Carlton, 1981, 195,5 x 190 x 40 cm, laminatbeschichtetes Holz (laminate covered wood) Foto: Uwe Dettmar Courtesy Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main © VG Bildkunst, Bonn 2016

 

Die Schau bei Arthena am Düsseldorfer Kai 10 zeigt Objekte aus den ersten Produktionsreihen der Memphis-Gruppe. Zu sehen sind Arbeiten von Ettore Sottsass, Martine Bedin, Michele de Lucchi, Alessandro Mendini, Peter Shire und Matteo Thun. Die Kuratoren setzen diese gleichzeitig in eine Beziehung zu aktuellen Werken internationaler Künstler. Less is a Bore ist eine stilgeschichtliche Skizze und spannt einen Bogen zwischen Historie und Gegenwart. Denn bis heute sind Spuren dieser damals revolutionären Gestaltungssprache auch in der Kunst nachvollziehbar.
     In den in Düsseldorf ausgestellten aktuellen Kunstwerken internationaler Kreativer finden sich die für Memphis charakteristischen Kippeffekte und das Unbestimmte der Erscheinung zwischen Kanne und Kreatur, zwischen Möbel und figürlicher Gestalt wieder, sie wechseln zwischen Architekturmodell und autonomer ästhetischer Illusion, betonen die Veranstalter.

 

Graham Little Facts are stupid things (fruit vs fashion), Detail, 2008, 445 x 180 cm, Sperrholz, Acryl, Gouache, Buntstift, Lack (plywood, acrylic, gouache, coloured pencil, varnish) Courtesy Alison Jacques Gallery, London © the artist

 

Eva Berendes Assemblage (bag), 2015, Stahl, Lack, perforiertes Stahlblech, Plastiktasche, Digitaldruck (Steel, Lacquer, Perforated Sheet metal, plastic bag, digital print) 250 x 150 x 30 cm, Courtesy the artist

 

Raymond Barion Projector, 1983, 160 x 260 cm, Courtesy of the Artist

 

Barbara Kasten Construct NYC 21, 1984, Polacolor photograph, 20 x 25 cm, Courtesy Galerie Kadel Wilborn, Düsseldorf

  

Zeitgenössische Kunst So zeigen etwa die kantigen Objekte des britischen Künstlers Graham Little (*1972) eine deutliche Verwandtschaft zu den Memphis-Entwürfen und deren opulente Oberflächen. Die Motive gehen auf Dekore, Muster und Formen aus der Mode zurück, Inspirationen liefern aber auch historische Gebäudefassaden. Little überzieht seine Skulpturen mit einer illusionistisch gemalten "Haut" und erinnert auf diese Weise an die polarisierende Co-Existenz von Oberfläche und Form vieler Memphis-Objekte.

     Die Bonner Künstlerin Eva Berendes (*1974) schöpft aus dem Pool alltäglicher Gebrauchsgüter und nutzt diese als formale Elemente der Gestaltung. Die Assemblagen aus unterschiedlichen Werkstoffen und Objekten sind von der Flächenkomposition abstrakter Malerei inspiriert, erinnern aber ebenfalls daran, dass die Dinge Träger kultureller Bedeutungen sind.

     Das Memphis-typische Spiel mit Skalierungen zwischen Architektur und Modellhaftigkeit findet sich auch in den Gemälden des Belgiers Raymond Barion (*1946), dessen Motive Impulse aus Architektur und Kulturgeschichte aufgreifen und auch im Kolorit einen Hauch jener Objekte versprühen, welche die Gruppe um Ettore Sottsass hervorgebracht hat.

      Barbara Kasten (*1936) wiederum nutzt Materialien und Objekte, unter anderem aus dem architektonischen Modellbau, die sie arrangiert und anschließend fotografiert. Ihre Aufnahmen konzentrieren sich auf das ephemere Erscheinen der Dinge, die durch ihren fotografischen Blickwinkel im Wortsinn gefärbt sind. Der Vorstellung einer, von dieser subjektiven Konstruktion unabhängigen Realität entzieht die Künstlerin damit den Boden. Auch dadurch erweisen sich Kastens Arbeiten als Zeugen jener Zeit, in der sich Architektur und Design von ihrem funktionalen Auftrag lösten und in ein sinnliches Abenteuer verwandelten.

     Für Tobias Rehberger (*1966) ist die Grenze zwischen künstlerischem Objekt und gestaltetem Gebrauchsgegenstand dynamisch. Die Skulptur Cutting, preparing, without missing anything, and being happy about what comes next (2009, siehe Bild oben) basiert auf der Vorstellung des befreundeten thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija über sein bevorzugtes Wohnumfeld. Nicht ohne Humor spielt Rehberger damit auf die zeitgenössische Rolle des Designs zur Erzeugung eines individuellen Lebensstils an. Ursprünge dieser Entwicklung finden sich in den Entwürfen von Memphis, die das Design von seinem funktionalen Zuschnitt entkoppelten und es als Projektionsfläche für individuelle Stimmungen und Gefühle nutzten.

 rART/cpw

 

► Auf dem Vogelsanger Weg 49 im Düsseldorfer Stadtteil Mörsenbroich, nicht weit entfernt vom Ausstellungsort im Medienhafen, befindet sich eines der wenigen Architekturobjekte von Ettore Sottsass im Memphis-Stil. Das als technisches Denkmal geschützte Bau-Dokument wurde 1985/86 von Sottsass für den Textilkonzern Esprit als Showroom gestaltet.
 


Die Ausstellung Less is a Bore. Reflections on Memphis kann bis zum 11. Februar 2017 besucht werden.
KAI 10 Arthena Foundation
Kaistraße 10
40221 Düsseldorf
Tel 0211 / 99 434 130
Öffnungszeiten
DI - SA 12 - 17 Uhr

 

 

 

 

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