rheinische ART
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rheinische ART 04/2025

GESCHICHTE
Marlene und die Schauburg


Nicht nur US-Soldaten trauten ihren Augen nicht. Auch so manche Deutsche, die verängstigt aus den Kellern in Stolberg bei Aachen krochen. Ein leibhaftiger Hollywood-Star stakste durch Trümmer und Schlamm.

 

Mit Helm, Stiefeln und in US-Uniform: Marlene Dietrich (links) im März 1945 an einer Panzer-Höckerlinie im pfälzischen Kirchheimbolanden zwei Monate vor dem Ende des Kriegs. Foto © Deutsche Kinemathek Marlene Dietrich Collection Berlin. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025

 

Der Kalender zeigte den 29. November 1944. Der Zweite Weltkrieg war noch längst nicht zu Ende, als sich der Weltstar Marlene Dietrich im schwer zerstörten rheinischen Stolberg unweit der umkämpften Frontlinie einfand und ein Konzert für US-Soldaten gab. Ort der Handlung: Das weitgehend schadenfreie örtliche Kino Schauburg.

 

Gruppenbild mit Dame: Marlene Dietrich mit Soldaten vor einer Ruine in Stolberg. Foto © Deutsche Kinemathek Marlene Dietrich Collection Berlin. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025

 

Es war der erste Auftritt, den die glamouröse Aktrice in Hitler-Deutschland absolvierte und der Auftakt zu einer Reihe von Shows im Rahmen der US-Truppenbetreuung.
     Dietrich war 15 Jahre zuvor durch die Tragikomödie „Der Blaue Engel“ zu einer Kino-Ikone avanciert und so gut wie allen Deutschen bekannt. Auch, oder vielleicht gerade, weil sie als Antifaschistin vor dem Nazi-Regime das Weite gesucht und die deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt hatte. Dass die NS-Machthaber vergeblich um wie warben, war allgemein ebenso bekannt. Die gebürtig aus Berlin stammende Diva war seit 1939 amerikanische Staatsbürgerin.

Seit Frühjahr 1944 legt sie sich wie niemand sonst aus dem amerikanischen Showbusiness an vorderster Front bei der Truppenbetreuung ins Zeug. Die 43-Jährige war Teil einer Entertainer-Crew, die die Soldaten bei Laune halten und sie in ihrem Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland moralisch unterstützt sollte.
     Es war Kriegsdienst, den sie da leistete, für die amerikanische U.S.O., United Service Organization. Zwar offiziell als zivile Begleitung, aber – quasi als Sonderlösung – mit metallener Erkennungsmarke zwecks Identifizierung im Todesfall und im gleichgestellten Rang eines Captain.
 

Buchcover. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025. Ergänzende Bildunterschrift siehe unten

 

Ihre abenteuerlichen Einsätze führten die Künstlerin zunächst nach Nordafrika, danach mit Pausen durch Italien, Frankreich, Belgien und schließlich in das deutsch-belgische Grenzgebiet und in das Vennvorland.
     Was sie in dem schwer umkämpften Raum zwischen Ardennen und Kölner Bucht erlebte, und wie sie überlebte, erzählt F.A.Z.- Journalist Reiner Burger im lesenswerten Bildband „Marlene Dietrich an der Front“, erschienen im Kölner Greven Verlag.
     Burger ist damit das Kunststück gelungen, einen bislang wenig belichteten Lebensabschnitt des Weltstars mit spannenden Texten und zahlreichen Fotos auszubreiten. Vor allem durch die zum Teil unbekannten Fotografien wird dieser Bildband zu einer faszinierenden wie interessanten Fundgrube für Nachkriegshistoriker, professionelle wie private Heimatforscher oder Dietrich-Fans.
 
Reiner Burger zeichnet ein vielschichtiges Porträt dieser außergewöhnlichen Frau und ihrer unverbrüchlichen Haltung – furchtlos, modern und inspirierend, wie es heißt. Manche Anekdoten und Vorgänge sind bekannt, aber der Autor präsentiert viel Neues, aus Briefen, Zeitungsartikeln, Interviews oder Notizbüchern.
     Von der Front im Hürtgenwald und in Aachen, über Stolberg und Köln nach Frankfurt und Heidelberg, und letztlich bis nach Berlin, bewegte sich der Kinostar couragiert und mit großer Zähigkeit durch das europäische Kriegsgeschehen – trotz Kälte, Ratten, Beschuss und der ständigen Gefahr, von der Wehrmacht aufgegriffen zu werden. Davor, so ist zu lesen, hatte sie wohl am meisten Angst.
 

Marlene Dietrich umringt von Marinesoldaten. Naval Station Great Lakes, Illinois, Juni 1942. Foto © Deutsche Kinemathek Marlene Dietrich Collection Berlin. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025

 


Sie war nicht die einzige Prominente, die Ende 1944 bei „Enter to Germany“ dabei sein wollte. Ein Tross von Medienleuten aller Couleur folgte den alliierten Truppen. Zeitgleich waren etwa der US-Buchautor und Journalist Ernst Hemingway sowie der spätere Bestellerautor J.D. Salinger bei den Kämpfen im Hürtgenwald vor Ort (mehr). Als Bildjournalisten arbeiteten ferner die US-Fotografie-Legenden Tony Vacchero und Robert Capa (mehr) im Grenzgebiet. Bekannt wurde auch die US-Kriegsreporterin Lee Miller. Und zwar nicht nur durch spektakuläre Bildreportagen aus der Etappe sondern auch durch ein Bad in Hitlers Badewanne in München (mehr).
 

Anfang März 1945. Marlene Dietrich mit Paillettenkleid auf einem Panzer in Gillrath bei Heinsberg. Sie notierte darunter: TRYING TO KEEP THEM SMILING „Versuche, sie zum Lächeln zu bringen“. Foto © Deutsche Kinemathek Marlene Dietrich Collection Berlin. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025

 

Hemingway und Dietrich kannten sich schon seit Jahren und pflegten ein trautes Verhältnis. Eine mehr oder weniger platonische Romanze im Schatten des Krieges.
     Ernest, der 45-jährige Draufgänger nannte seine Marlene machohaft zärtlich „Kraut“, sie, nur zwei Jahre jünger, ihn ebenso zugeneigt „Papa“.
     Schon kurz nach der Befreiung von Paris hatten beide mit namhaften Kulturschaffenden im Pariser Hotel Ritz und anderen Lokalitäten heftig gefeiert. Mit dabei zum Beispiel Pablo Picasso (mehr), Jean-Paul Sartre und dessen Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, der spätere französische Kulturminister André Malraux (mehr) und George Orwell, sowie weitere Persönlichkeiten aus der internationalen Glitzerwelt von Film und Gesellschaft.
     Im befreiten Paris residierte daneben auch die extravagante Modedesignerin Elsa Schiaparelli (mehr). Von ihr hatte sich „die Dietrich“ schon ein Jahrzehnt zuvor edle Mode schneidern lassen. Im Herbst 1944 kaufte der Hollywood-Star von ihr einen Wintermantel. Den sollte sie Wochen später im kalten Rheinland noch brauchen.
     Auch die paillettenbesetzten, glitzernden und fast orientalisch inspirierten Outfits waren von Schiaparelli. Dietrich trug sie bei ihren improvisierten Auftritten auf Bühnen, in Kneipen, Scheunen wie auf Lkw-Ladeflächen. Kurzum: Man kannte sich, man schätzte sich und blieb sich verbunden.

Aber in Stolberg war Marlene Dietrich eine Solistin und ihre Schau ein sagenhafter Vorgang, wie Autor Burger mit gut recherchierten Texten darlegt. Oft zitierte Episode aus dem Stolberg-Auftritt: Eine Tasse Kaffee, so rar wie wertvoll in jenen Kriegstagen, wurde ihr von Deutschen in der Schauburg angeboten. Sie solle den besser nicht trinken, rieten ihr US-Militärs und Begleiter. Der Trunk könnte vergiftet sein (siehe Anmerkung unten). War er nicht. Die berühmte Marlene Dietrich, der Kaffee in der Schauburg zu Stolberg und ihr dortiger erster Bühnenauftritt vor Kriegsende in Deutschland gingen in die Geschichte ein.
cpw
 
Das Foto des Covers zeigt Marlene Dietrich Mitte März 1945 nördlich von Reims bei einem Manöver der 82. US-Airborne Division. Aus heiterem Himmel nimmt die Übung vor ihren Augen eine tragische Wendung. Eines der Flugzeuge stürzt mitten in die herunterschwebenden Soldaten und reißt mehrere von ihnen in den Tod. Foto © Deutsche Kinemathek - Marlene Dietrich Collection Berlin. Bildquelle © Greven Verlag Köln 2025

► Unbegründet war die Furcht vor deutscher Rache nicht. Es gab Anschläge der sogenannten Werwolf-Organisation, einer von den Alliierten gefürchteten Untergrund-Gruppe. Das tödliche Attentat auf den ersten Nachkriegsbürgermeister von Aachen Franz Oppenhoff, am 25. März 1945, wurde von einem Werwolf-Kommando durchgeführt und verdeutlicht die gefährliche Lage in den letzten Kriegsmonaten in der Region Eifel/ Aachen.

► Die Publikation basiert auf einer Kooperation mit der Deutschen Kinemathek — Marlene Dietrich Collection Berlin. So gut wie alle Fotografien stammen aus dem Nachlass von Marlene Dietrich. Viele davon wurden von ihrer U.S.O.-Kameradin Lin Mayberry gemacht. Die Texanerin war als Komikerin monatelang Mitglied der amerikanischen Show-Truppe.

Literaturhinweis:

Reiner Burger Marlene Dietrich an der Front, Leinen mit Schutzumschlag, 160 Seiten, 124 Abbildungen, 21 x 27 cm. Greven Verlag Köln, ISBN 978-3-7743-0988-3.  Preis 38,- EUR