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rheinische ART 11/2025

FOTO-KUNST
DDR-Relikte in Paris


Die 1941 in Berlin geborene Sibylle Bergemann gehörte zu jenen raren Ostfotografinnen, die über Jahre die in Grau getauchte Realität im „Arbeiter- und Bauernstaat“ dokumentierte.


 

Kein „schwebender Engel“ von Barlach, sondern der „schwebende Engels“ des Bildhauers Ludwig Engelhardt bei der Montage. Sibylle Bergemann Das Denkmal (The Monument), East Berlin, February 1986 © Estate Sibylle Bergemann. Bildquelle © The Foundation Henri Cartier-Bresson 2025

 

Jetzt zeigt die Pariser Fondation Henri Cartier-Bresson in einer Ausstellung eines ihrer berühmten Werke unter dem französischen Titel Le Monument (Das Denkmal).

     Es handelt sich um eine Langzeit-Fotoserie, die Bergemann zwischen 1975 und 1986 schuf und die den Bau eines Denkmals für die Vordenker des Kommunismus, Marx und Engels, im Ostberliner Bezirk Mitte zum Gegenstand hatte.

     Auftraggeber für die Bronzeplastik und für die Foto-Dokumentation war die Kunstkommission des Ministerium für Kultur der DDR. Sibylle Bergemann hielt alle Phasen des Entstehungsprozesses fest, von den ersten Modellen bis zur Einweihung des Denkmals am 4. April 1986 in Ost-Berlin, „Hauptstadt der DDR“. Aus über 400 entwickelten Filmrollen wählte sie zwölf Fotografien aus, die sie unter dem Titel „Das Denkmal“ zusammenfasste. Diese Fotoserie gilt heute als eine der ikonischsten Foto-Arbeiten der gelernten Bürokauffrau und Autodidaktin, die nie eine fototechnische Ausbildung erfahren hatte.

 

Kopfloses Denkmal-Modell aus Gips und Pappe: Marx sitzend, Engels stehend. Zwei Jahre später wurde eine Zehn-Tonnen-Bronzeplastik daraus. Sibylle Bergemann Das Denkmal (The Monument), Gummlin, Usedom, May 1984 © Estate Sibylle Bergemann. Bildquelle © The Foundation Henri Cartier-Bresson 2025


Die Realisierung des Marx-Engels-Denkmals war 1973 dem Bildhauer Ludwig Engelhardt auf der Insel Usedom anvertraut worden, der sich mit mehreren anderen Künstlern zu einem Kollektiv zusammenschloss. Bergemann begann dort zunächst informell zu fotografieren, bevor sie 1977 den offiziellen Auftrag von der DDR-Behörde für eine Dokumentation erhielt. In Gänze arbeitete sie elf Jahre lang an dem Projekt.
     Obwohl bereits 1983 einige Fotografien in der Presse veröffentlicht und in einer offiziellen Ausstellung präsentiert wurden, nahm Bergemann die Foto-Serie erst nach Abschluss des Auftrags vollständig in Besitz. Im postkommunistischen Licht, so heißt es heute, erscheinen ihre „Dekonstruktion heroischer Figuren“ und die zugrunde liegende Ironie verblüffend vorausschauend. Denn niemand hätte damals den Fall der Berliner Mauer und das Ende des „Deutschen Demokratischen Republik“ nur drei Jahre später vorhersehen können.

     Zwei der berühmtesten Fotos hierzu: Der bei der Montage in Berlin (Ost) 1986 fotografierte „schwebende Engels“ von Ludwig Engelhardt. Sowie das im Mai 1984 auf Usedom geschaffene Schwarz-Weiß-Werk der „kopflosen“ Protagonisten Marx und Engels, als Modelle in Gips und Pappe. Letzteres wurde als cultural and political icon in das New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) aufgenommen.

 

Sibylle Bergemann Das Denkmal (The Monument), Gummlin, Usedom, Spring 1976 © Estate Sibylle Bergemann. Bildquelle © The Foundation Henri Cartier-Bresson 2025

 

Bergemann, die ohne Zweifel zur DDR-Kunst-Bohème gerechnet werden konnte, erfreute sich bereits in den Sechzigerjahren des Privilegs, auch zum „Klassenfeind“ in das „kapitalistische Ausland“ reisen zu dürfen. Dies wurde bekanntlich nur linientreuen DDR-Bürgern eingeräumt. Dabei entstanden ab etwa 1965 sehr interessante Sichten auf Städte wie Paris, Venedig, Rom oder New York.

     Sibylle Bergemann schuf trotz gefährlicher Rahmenbedingungen eine Bildsprache, die weit entfernt von aller offiziellen sozialistischen Ästhetik und Kunst, dem sogenannten sozialistischen Realismus (mehr), war. Mit einer disziplinierten und strengen Objektivität gelang es ihr, der scharfen Zensur zu entgehen und gleichzeitig ein schonungsloses und lakonisches Bild vom Niedergang einer Ideologie und eines ökonomisch zerbrechenden Landes zu zeichnen.
rART/cpw


Sibylle Bergemann gehört mit Helga Paris (mehr) und Gundula Schulze Eldowy zu den bedeutendsten Fotografinnen der DDR. „Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte“, wird sie zitiert. Mit diesem Credo prägte sie vor allem den Blick auf die Mode in Ostdeutschland für Generationen. Bergemanns Mode-Fotos wurden ab 1973 in der Modezeitschrift „Sibylle“ gedruckt. 2010 starb sie im Alter von 69 Jahren.


 Die Ausstellung ist eine Produktion der Fondation Henri Cartier-Bresson in Zusammenarbeit mit dem Centre régional de la photographie Hauts-de-France (CRP) und unter Beteiligung der Nachlass-Verwaltung von Sibylle Bergemann sowie der deutschen Kuration Sonia Voss.


Literaturhinweis: Zur Ausstellung ist der gleichnamige Katalog mit Texten von Christian Joschke, Heiner Müller, Steffen Siegel, Sonia Voss, Frieda von Wild und Lily von Wild im Kerber-Verlag erschienen. 160 Seiten, 65 s/w Abbildungen. ISBN 978-3-7356-1044-7

 

Die Ausstellung Sibylle Bergemann The Monument endet am 11. Januar 2026.
Fondation Henri Cartier-Bresson
79, Rue des Archives
75003 Paris
Tel +33 (0)1 40 61 5050
Öffnungszeiten
DI 
 SO 11–19 Uhr

Letzter Eintritt 18.20 Uhr

 

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